Die Kölner kennen ihn als Gürzenich-Chefdirigent, nun überzeugte Francois-Xavier Roth in der Philharmonie mit dem Pariser Originalklang-Ensembles Les Siècles.
Les Siècles in der PhilharmonieIntensive Farben und Gesten
François-Xavier Roth ist immer für Überraschungen gut – auch wenn er am Pult seines Pariser Originalklang-Ensembles Les Siècles steht, wie derzeit in zwei der Konstellation „Ligeti und Mozart“ gewidmeten Konzerten in der Kölner Philharmonie. Die Bläser vorne, wo sonst die Violinen sitzen, hinten die Streicher, der Dirigent ebenfalls in Rückwärtsposition hinter dem Soloinstrument, einem Hammerflügel – wo gibt’s denn so was?
Nun ja, diese Aufstellung war erkennbar dem aufzuführenden Werk geschuldet, Mozarts illustrem A-Dur-Klavierkonzert KV 488. Das ist reich gesegnet mit obligaten Partien der Bläser, die immer wieder mit dem Klavier konzertieren. Da liegt es nahe, sie auch räumlich in enge Nachbarschaft zu setzen und die Streicher als grundierenden Teppich im Hintergrund zu halten.
Vielleicht war die extravagante Verteilung auch der begrenzten Durchsetzungsfähigkeit des Hammerflügels geschuldet, dem die akustischen Verhältnisse in der Philharmonie auch so noch zu schaffen machten – im vom Solisten Alexander Melnikov mitgespielten Tutti war er überhaupt nicht zu hören.
Der KölnMusik-Porträtkünstler dieser Saison bot eine insgesamt souveräne Leistung mit singendem Allegro und elegantem Laufwerk, auch starken expressiven Rubati, wenn er allein auf weiter Flur agierte. Nicht alles konnte indes gefallen: Den Beginn des himmlischen fis-Moll-Adagio zerpflückte Melnikovs Phrasierung dergestalt, dass die melodische Linie unrettbar zusammenbrach. Zum Glück ging es in dieser Manier nicht weiter.
Intensive Farben und Gesten
Roth ließ sein Orchester mit intensiven Farben und Gesten spielen, stellte im langsamen Satz die Chromatik heraus und machte ihn dadurch zu einer abgründig-schmerzvollen Klage, zu einem wortlosen Epitaph. Von wegen heiterer Mozart! Auffallend ist allemal, wie stark der Grundklang von Les Siècles von dem des Gürzenich-Orchesters abweicht, als dessen Kapellmeister Roth bekanntlich ebenfalls amtiert.
Er ist, auf höchstem Niveau, härter, knackiger, in der Registerdisposition weniger integrativ, weniger romantisch, wenn man so will. Ein „besser“ oder „schlechter“ gibt es da nicht, und der direkte Vergleich ist allein deshalb problematisch, weil es sich hier um eine Originalklang-Formation, dort um ein städtisches Traditionsorchester handelt.
Auf das Klavierkonzert folgte zu später Stunde noch die Jupitersinfonie – jetzt in gewohnter Orchesteraufstellung. Ihr wurde ebenfalls eine inspirierte Darstellung zuteil, unter anderem dank einer ausgefeilten Dramaturgie der beredten Generalpause, die immer wieder Abgründe in der Partitur aufriss. Das Meisterwerk als Drama ohne Bühne!
Mozart nach Ligeti, dem hundertjährigen Geburtstagskind des laufenden Jahres – Roth als Meister der hintersinnigen Programmation hat sich bei dieser Zusammenstellung zweifellos etwas gedacht. Unbedingt sinnfällig wird sie freilich nicht, der gemeinsame Bezugsort Wien reicht jedenfalls als Klammer kaum aus.
Bei Ligeti sind Roth und sein Ensemble in ihrem Element
So oder so war die erste Hälfte des Konzerts allein deshalb aufschlussreich, weil sie den frühen Ligeti – genauer: das quasi-tonale Concert Romanesc über (modale) rumänische Volksmelodien, in dem Hörnersoli sogar für eine brucknerisch-romantische Anmutung sorgen – mit einem Werk seiner Reifezeit (dem Violinkonzert von 1990/92) kombinierte und damit die erstaunliche Stilentwicklung des Komponisten dokumentierte.
Bei dem Klangfarbenzauberer Ligeti sind Roth und sein Ensemble selbstredend in ihrem Element, und kongenial in diesem Sinne präsentierte sich Isabelle Faust als Interpretin des schweren Soloparts. Die Klangentstehung wie aus dem Nichts, der entmaterialisierte Flageolett-Zauber, die ständige Neumischung der Farben, dann wieder die emotionale Hochspannung der dichten Gesangslinie – all das kann man kaum besser machen. Das Werk verbeugt sich übrigens tief vor der Tradition: Ist es falsch, sich beim Erklingen des „Chorals“ an Alban Bergs Violinkonzert erinnert zu fühlen?
Am Sonntag, 24.09, 18 Uhr, spielen Les Siècles unter Roth ihr zweites „Ligeti und Mozart“-Programm. Dann erklingen das Kammerkonzert und das Klavierkonzert (mit Jean-Fréderic Neuburger) des Modernen und das Violinkonzert KV 216 (wieder mit Faust) und die Haffner-Sinfonie des Klassikers. koelner-philharmonie.de