Lindenberg zum 75. GeburtstagDanke fürs Lockermachen, Udo!
Hamburg – Eines der schönsten deutschen Gedichte hebt folgendermaßen an: „Getrampt oder mit ‘m Moped/ Oder schwarz mit der Bahn/ Immer bin ich dir irgendwie/ Hinterhergefahr‘n.“
Die Zeilen stammen aus der Ballade „Cello“ von Udo Lindenbergs drittem Album „Alles klar auf der Andrea Doria“. Aber das wussten Sie schon. Schon Ende 1973 wusste das bald jeder in Deutschland. Dass sich da einer gefunden hatte. Dass da einer eine Möglichkeit gefunden hatte, dieses geschichtsbelastete und mit seinen ellenlangen Komposita schier unrockbare Deutsch in einen lockeren, lakonischen und vor allem singbaren Slang zu verwandeln.
An diesem Montag feiert Udo Lindenberg seinen 75. Geburtstag, allein, als letzter verbliebener Gast des Hamburger Hotels Atlantic, wo er nun schon seit 26 Jahren residiert. Es ist der immer noch großmöglichste Abstand zum kleinbürgerlichen Aufwachsen im westfälischen Gronau, auch vom Trinker-Erbe des Vaters, der als Klempner arbeitete und von einer Dirigentenkarriere geträumt hatte.
Dompteur im Irrenzirkus
Aber kehren wir noch einmal zurück, auf die „Andrea Doria“. Allein schon das Cover! Udo Lindenberg sitzt auf dem Beifahrersitz seines Tourbusses, mit einem Fischaugenobjektiv fotografiert, der debil grinsende Fahrer und die Parade schräger Typen, die er durchs vernebelte Gelände kutschiert, sie sehen aus wie auf einen Luftballon gezogen. Nur Udo bleibt cool und unverzerrt, liest Prawda, raucht Zigarre, schenkt sich Sekt nach. Er ist der Dompteur im Irrenzirkus.
Nach dem Überraschungserfolg von „Andrea Doria“ handelt Lindenberg einen Plattenvertrag aus, der ihm eine Million Deutsche Mark und die künstlerische Freiheit garantiert. Unerhört ist das, in einem Land, das sich keine Stars erlaubt, nur Schlagersänger, die nach der Peitsche von Dieter Thomas Heck tanzen.
Unvorstellbare Mengen Alkohol
In seiner vor drei Jahren erschienen Autobiografie hat Lindenberg die Kosten dieser Freiheit bilanziert, vor allem die schier unvorstellbaren Mengen an Alkohol, die er bis zum harten Schnitt vor 15 Jahren konsumierte. Damals diagnostizierte ein Arzt den erstaunlichen Wert von 4,7 Promille Blutalkohol im Anschluss an eine für Lindenberg desaströse „Rock gegen Rechts“-Tournee.
Der Suff hat ihn fest im Griff, die Bank verkündet, dass sein Depot leider leer sei, künstlerisch lebt er schon länger auf Kredit. Im neuen Jahrtausend scheint es hinterm Horizont nicht mehr weiter zu gehen, da lauern Baumärkte und Möbelhäuser. Tatsächlich findet sich Lindenberg kurz darauf als Alleinunterhalter auf einer Kreuzfahrt mit schlohweißem Publikum wieder.
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Den Fans erscheint der aufgedunsene Nuschler nur noch als sein eigener zweitbester Parodist (gleich hinter Helge Schneider), selbst die eigene Entourage schimpft ihn „die singende Bockwurst“. Und dann stirbt sein älterer Bruder Erich, der erfolglose, aber unkorrumpierbare Maler, sein gutes mahnendes Gewissen: „Der Udoway war jetzt nur noch ein Highway ohne Leitplanken“, wie Lindenberg in seiner Autobiografie gut lindenbergisch feststellt.
Doch er rappelt sich noch einmal auf, legt sich trocken und veröffentlicht 2008 mit „Stark wie zwei“ ein Comeback, sein erstes Nummer-Eins-Album. Jetzt kann er, hofiert von jüngeren Stars wie Jan Delay und Clueso, endlich seinen Thron einnehmen, als derjenige, der der deutschen Sprache die Lässigkeit gelehrt hat, als Deutschlands Rockstar Nummer Eins. In Berlin und Hamburg läuft das Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ und auch auf der Leinwand fand sein Leben schon statt: „Lindenberg! Mach dein Ding“ hatte es gerade noch rechtzeitig vor der Pandemie in die Kinos geschafft.