Rainer Osnowski, Geschäftsführer der lit.Cologne, fordert ein Moratorium am Offenbachplatz und kritisiert den Kölner Kulturdezernenten scharf.
Lit.Cologne-Chef Osnowski„Lasst uns ab sofort kein Geld mehr ausgeben für die Opernbaustelle“
Herr Osnowski, die Kölner Kulturszene war zuletzt in Aufruhr. Im Haushaltsplan für die Stadt waren viele Kürzungen vorgesehen. Manche wurden vergangene Woche zurückgenommen, dennoch ist die Verunsicherung sehr groß. Wie blicken Sie auf die Situation?
Wir sind als privatwirtschaftliches Kulturunternehmen von Kürzungen im Kulturetat nicht betroffen. Dennoch verfolgen wir die Debatte mit Entsetzen. In der kulturellen freien Szene sind zehntausende Menschen direkt oder indirekt beteiligt. Wenn wir über Demokratieförderung reden, ist das die Basis, ein wichtiges Fundament der Demokratie. Da zu kürzen, halte ich für einen großen Fehler. Es wird immer betont, die zur Kürzung vorgesehenen Gelder seien freiwillige Leistungen, während automatisch feste Etats an die sogenannte Hochkultur gegeben werden. Da wünsche ich mir einen Paradigmenwechsel, ein neues Denken. Die freien Träger brauchen Planungssicherheit, im Klartext Existenzsicherheit, die nicht jährlich infrage gestellt werden kann. Da darf auch eine Umverteilung von der Hochkultur kein Denkverbot sein.
Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die Opern-Baustelle, die einfach nicht fertig zu werden scheint?
Der Baudezernent hat ja gesagt, das Ensemble am Offenbachplatz wird planmäßig übergeben. Diese Parole hört man in regelmäßigen Abständen. Ich gehe allerdings davon aus, dass auch in diesem Jahr weitere Millionen an Forderungen kommen, die die Stadt bezahlen muss, um überhaupt weiterzubauen. Wir stehen gesellschaftlich und wirtschaftlich vor den größten Herausforderungen der letzten 50 Jahre. Ich schlage vor, über ein Moratorium am Offenbachplatz nachzudenken. Lasst uns ab sofort kein Geld mehr ausgeben dafür und die Baustelle erst einmal ruhen lassen.
Aber damit würde sich die Fertigstellung noch weiter verzögern.
Es gibt berechtigte Zweifel, ob das je aufgemacht werden kann. Unabhängig davon muss ich mir als Bürger bei einer so großen Summe, die für eine bauliche Hülle irgendwo zu Lasten von Inhalten in Kultur, Sozialem und Sport abgezwackt werden soll, dringend Gedanken machen. So kann das nicht einfach immer weitergehen, gerade in Zeiten knapper Kassen. Und deswegen bin ich für ein Moratorium. Bis wir eine aussagekräftige Zukunftsvision haben, verteilen wir dieses Geld zum Beispiel an die freie Kulturszene und die sozialen Träger.
Und im Zweifel würden Sie das Projekt ganz stoppen?
Bis eine Fortsetzung des Baus keine kulturellen und sozialen Angebote mehr vernichtet, ja. Vor allen Dingen, wenn man sieht, was auf dem Spiel steht. Die komplette freie Kulturszene sucht nach Stiftungen, weil die Unsicherheit so groß ist, wie sie sich finanzieren können. Außerdem erzählen mir viele, dass ihre Förderanträge schon lange beim Kulturamt liegen. Das ist aber umgezogen, was das Procedere weiter erschwert. Wenn es zu einem Kahlschlag in der freien Szene kommt, muss man bedenken, dass die Leute nicht mehr wiederkommen werden, wenn sie einmal weg sind.
Und was wird dann aus der Oper?
Die Oper hat ja eine Spielstätte. Es ist nicht ideal im Interim, aber es funktioniert – und das schon viel länger, als für die Sanierung ursprünglich geplant. Wenn wir zugunsten eines Bauprojektes jetzt die freie Szene kaputtsparen, verlieren wir eine ganze Generation. Bevor ich falsch verstanden werde: Die Hochkultur muss sein und beeinflusst andere Kulturformen, aber die Kölner Opernbaustelle einfach so weiterzumachen, kann keine Lösung sein.
Wie nehmen Sie den Kulturdezernenten in dieser heiklen Phase wahr?
Wir haben jetzt seit mehr als zehn Jahren in Köln keinen Kulturdezernenten. Wir hatten eine Kulturdezernentin, die eine Katastrophe war. Alle waren froh, dass die Zeit zu Ende war. Man dachte, es kann nur besser werden - wir wurden vom Gegenteil überzeugt. Dieser Mann ist nicht präsent, war etwa in den vergangenen Jahren lediglich einmal bei der lit.Cologne, eine Halbzeit lang bis zu Pause in der Philharmonie bei unserer Gala. Aber gerade bei Gelegenheiten wie der lit.Cologne mit ihren hochkarätigen Mitwirkenden aus aller Welt muss er doch präsent sein, nicht für uns, sondern, um Köln zu repräsentieren und Kontakte zu knüpfen.
Und das macht er nicht?
Nein. Gerade jetzt, wo die Kultur so angegriffen wird und von Kürzungen bedroht ist, muss er moderieren. Er muss nicht der Meinung der freien Szene sein, aber er muss diesen Themenkomplex im Blick haben. Er muss rausgehen, mit Leuten sprechen, den Etat verteidigen oder auch zusätzliche Mittel zum Beispiel durch Stiftungen akquirieren. Auf diese riesige freie Szene, die wir haben, sind andere Städte neidisch. Das breite Angebot, das wir haben, ist wichtig. Aber der Kulturstandort Köln schmiert gerade ab. Dass die Kultur keinen potenten Fürsprecher hat, der sie verteidigt, wird uns auf die Füße fallen. Aber wer in der Politik und in der Verwaltung hat die Kraft, diese Personalien infrage zu stellen?
Was können und müssen Kulturinstitutionen selbst tun, um ihre Zukunft zu sichern?
Nur, weil jemand einen Kellerraum hat und dann eine Birne in die Decke schraubt, ist das noch kein Kulturraum. Die Angebote aller freien Szenen müssen sich ständig hinterfragen und hinterfragt werden. Es reicht nicht, jedes Jahr einfach darauf zu vertrauen, dass wieder Geld reinkommt. Wird es rezipiert, hat es irgendeine Durchdringung oder ist es nur ein Selbstzweck? Es ist eine Schwäche von manchen freien Institutionen, dass eine Außenbetrachtung nicht zugelassen wird. Es ist falsch, einfach immer so weiterzumachen, nur weil Kultur draufsteht.
Muss sich die freie Szene mehr um Förderungen durch Stiftungen oder um Sponsoring bemühen?
Die Stadt Köln hat auch für die Kultur eine Daseinsfürsorge. Sie muss ein verlässliches Fundament bereithalten, damit gesellschaftliche Entwicklung funktioniert. Gleichzeitig ist jede Kulturinstitution, ob klein, mittel oder groß dringend drauf angewiesen, neue Bereiche zu eruieren. Es entstehen zum Beispiel immer mehr Stiftungen, weil es so viel Privatvermögen im Land gibt.
Die sollen dann einspringen?
Das heißt ja nicht, dass eine Institution dann von der Stadt nichts mehr kriegen soll. Sie bekommen im Idealfall Geld von der Stadt und darauf aufbauend von einer nichtstaatlichen Stelle. So sind sie breiter aufgestellt und können sich stärker entwickeln. Deshalb wäre es dringend angeraten, in einem besser geführten, modern strukturierten Kulturdezernat eine Stelle zu schaffen, wo mögliche externe Finanzierungen wie Stiftungen oder Erbschaften identifiziert werden, um diese zur Co-Finanzierung all der Leistungen im Sozialen, im Sport und in der Kultur zu vermitteln.
Es ist fünf Jahre her, dass Sie zu Beginn der Corona-Pandemie die lit.Cologne absagen mussten. Hat sich das Festival davon wieder erholt?
Es war für alle unvorstellbar, drei Tage vor Beginn das größte Festival, das wir je auf die Beine gestellt haben, abzusagen. Für uns war die Zukunft ab dem Moment ungewiss. Wir hatten zwar viele Tickets verkauft, aber die Frage war, ob die Leute sie zurückgeben oder ob sie sich solidarisieren. Insgesamt war der Zuspruch so groß, dass wir erstmal weitermachen konnten. Zudem ist es vor allem durch den Einsatz von Frau Reker und dem Rat der Stadt Köln ermöglicht worden, dass wir in der Übergangszeit ein digitales Festival präsentieren und unser Team zusammenhalten konnten.
Die 20. Ausgabe musste ausfallen, jetzt steht die 25. Ausgabe an. Was erwartet Ihr Publikum?
Wir machen das zweitgrößte Programm, das wir je hatten, mit der zweitgrößten Nachfrage an Tickets. Bei unserer lit.kid.Cologne ist zudem der Zuspruch so groß wie noch nie! Wir bewegen uns auf einem guten Niveau, müssen aber auch, wie ich das eben als Anspruch an die freie Szene formuliert habe, bei uns immer hinterfragen, was wir machen. Ist es noch zeitgemäß? Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Ein Ergebnis dieser Fragen ist, dass wir dieses Jahr die lit.Cologne pop für die 17- bis 27-Jährigen noch größer aufgezogen haben, weil das den Nachwuchs sichert. Nach dem Wahnsinn, der uns 2020 ereilt hat, bewegen wir uns jetzt wieder in gutem Fahrwasser.
Rainer Osnowski, geboren 1959 in Leverkusen, ist seit 2020 alleiniger Geschäftsführer der lit.Cologne. Der Legende nach entwickelte er die Idee zum Kölner Lesefestival gemeinsam mit Werner Köhler in einer Eisdiele. Im März 2001 gab es die erste Ausgabe. Seither ist das Festival kontinuierlich gewachsen. Die 25. Ausgabe findet vom 15. bis 30. März statt. Alle Infos zum Festival finden Sie hier.