Die Historikerin Hedwig Richter und der Journalist Bernd Ulrich diskutierten bei der lit.Cologne über die Klimapolitik.
lit.Cologne über Klima und Politik„Wir haben mehr Geld in Putins Armee investiert als in unsere“
Knapp ein Fünftel der Arten in Europa sind vom Aussterben bedroht – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die im November im Fachmagazin „Plos One“ veröffentlicht wurde. Von solchen drastischen Befunden hört man immer wieder – und jedes Mal stellt sich die Frage, warum wir nicht mehr für den Erhalt unseres Planeten tun. Zumal dies bedeuteten würde, auch die Grundlage unseres Lebens und unserer Demokratie zu schützen.
Diese wichtige Frage beantworten die Historikerin Hedwig Richter und „Zeit“-Journalist Bernd Ulrich bei der lit.Cologne. Die Veranstaltung am Montagabend in der Kulturkirche ist nach ihrem bald erscheinenden Buch betitelt: „Demokratie und Revolution: Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit.“
lit.Cologne-Abend über „Demokratie und Revolution“
Moderiert wird der Abend von Friedemann Karig („Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien – Wie Geschichten unser Leben bestimmen“), und es wird einer der seltenen Abende, an dem man sich wünscht, dass der Moderator sich stärker an der Diskussion beteiligt hätte. Mit „Was ihr wollt“ veröffentlicht Karig am 14. März ein Buch zu Aktivismus und Protest, doch mit seinen eigenen Erkenntnissen hält er sich am Montagabend stark zurück.
Schade drum, aber auch Hedwig Richters und Bernd Ulrichs Beobachtungen könnten mehrere Abende füllen. In ihrem Buch schildern sie die Geschichte der Umweltpolitik, die mit dem Verbot der FCKW internationale Erfolge feiern konnte, aber auch immer wieder Irrwege gegangen ist. So kommentiert Bernd Ulrich in Köln, wie sich Krisen auch gegenseitig bedingen können, etwa durch das deutsche Investment in russisches Öl: „Wir haben in den letzten Jahren mehr Geld in Putins Armee investiert als in unsere“.
Deshalb tut sich die Regierung mit Klimapolitik schwer
Warum tut sich die Politik immer noch schwer mit dem Thema Klimaschutz? Ständig würde sie im vorauseilenden Gehorsam nachhorchen, was sie ihrer Wählerschaft zumuten kann. „Die machen aus Demokratie Demoskopie“, sagt Hedwig Richter und erinnert an Willy Brandt, der auch unpopuläre Entscheidungen durchgesetzt habe. Ausgerechnet beim Klimathema hinter die repräsentative Demokratie zurückzufallen, hält sie für einen Fehler.
Der Fokus des Abends liegt aber, wie der Buchtitel erahnen lässt, auf der Selbstermächtigung der Mehrheit. Denn diese müsste für eine Klimawende ihre eigene Normalität zurücklassen. Eine ganz neue Bürgerlichkeit müsse Einzug halten. Dazu lesen sie eine Passage aus „Demokratie und Revolution“: „Unruhe ist die erste Bürgerpflicht. Alles-halb-so-schlimm-Bürgerlichkeit ist hingegen unbürgerlich geworden, sie pflegt einen die Demokratie gefährdenden Alltag, sie ist radikal maßlos und zerstörerisch, sie ist damit auf bräsige Weise umstürzlerisch geworden.“
Bernd Ulrich zieht ein Zeit-Projekt mit Ausreden heran
Bernd Ulrich erzählt von einem „Zeit“-Projekt, in dem beliebte Klima-Ausreden der Redaktion und ihrer Leserinnen und Leser gesammelt und aufgearbeitet wurden. Darunter etwa: „Aber die Chinesen“, „aber die Alten sind schuld“, „aber die Reichen.“, „aber was ich tue, fällt eh nicht ins Gewicht“. Es ist wohl kein Zufall, dass viele dieser Ausreden darauf zielen, dass andere etwas zur Lösung beitragen sollen.
Das Heikle daran: in Abstufungen sind diese Ausreden absolut nachvollziehbar. Oxfam etwa kommt im Bericht „Climate Equality: A Planet for the 99 Percent“ zum Ergebnis, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung 2019 so viel klimaschädliche Treibhausgase verursachte wie die fünf Milliarden Menschen, die die ärmeren zwei Drittel ausmachen. In Deutschland verursachte das reichste Prozent 2019 83,3 Tonnen CO₂-Emissionen pro Kopf, die ärmere Hälfte der Deutschen gerade mal 5,4 Tonnen CO₂ pro Kopf.
Hedwig Richter glaubt, die Menschen wollen das Richtige tun
Erst spät am Abend nehmen Hedwig Richter und Bernd Ulrich diese Gruppe in die Pflicht. Nicht, weil sie dazu keine klare Meinung haben: Nach den Superreichen gefragt, positioniert sich Richter klar für eine fairere Besteuerung. Aber der Fingerzeig auf diese Ungerechtigkeit sei kein Grund, nicht selbst etwas für die Umwelt zu tun: „Zwar sind nicht alle gleich schuld an der fatalen Entwicklung, aber unterm Strich muss man sagen: Der Weg in die Katastrophe führt über lässliche Sünden.“
Viele sind frustriert von einer Kauflandschaft, in der man CO₂-Sünden laufend miteinander abwägen muss. Danach gefragt, was ihr Hoffnung mache, meint Hedwig Richter: „Menschen wollen gut sein.“ Und vielleicht besteht der Trick darin, die Menschen eben als solche anzusprechen, die das Richtige tun wollen. Selbst dann, wenn sie es noch nicht tun.
Zum Buch
Demokratie und Revolution: Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit. Von Hedwig Richter und Bernd Ulrich. 368 Seiten, 25 Euro. Das Buch erscheint am 11. April 2024.