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Von der Urzeit bis zum „Pussy Hat“Annabelle Hirschs 100 Objekte der Frauengeschichte

Lesezeit 3 Minuten
Die Schriftstellerin Annabelle Hirsch lebt in Rom und Berlin.

Die Schriftstellerin Annabelle Hirsch lebt in Rom und Berlin.

Eine überkommene Rangordnung: Annabelle Hirsch erzählt die Geschichte der Frauen in 100 Objekten. Die Schriftstellerin kommt am 7. März zur lit.Cologne.

Seit geraumer Zeit schon hält ein Trend Einzug in den Buchmarkt, der sich immer mehr verstärkt, weil er ganz offenbar boomt. Es geht um die inflationär gebrauchte Zahl „100“, die sich mittlerweile mit allem möglichen verbinden lässt: „100 Dinge, die du endlich tun kannst oder besser lassen solltest“etwa richtet sich an gerade 18-Jährige.

Während „100 Dinge, die jedes Paar einmal tun sollte“ einen eher privaten Touch zu haben scheint, im Gegensatz zu „100 Dinge, für die man im Ruhestand endlich Zeit hat“ – wobei: Ist das wirklich ein Gegensatz?

Und so geht das immer weiter. Und jetzt kommt noch Annabelle Hirsch dazu. Auch sie konnte der famosen Zahl 100 nicht widerstehen, was aber in ihrem Fall kein Makel ist.

Die Geschichte der Frauen von der Urzeit bis zum „Pussy Hat“

In ihrer „Geschichte der Frauen in 100 Objekten“ gelingt ihr Erstaunliches, dass mindestens 100 Millionen Menschen grundsätzlich mal gelesen haben sollten: Dass also die Geschichte der Menschheit von Anbeginn eben nicht nur von männlichen Helden und Errungenschaften lebt, wie es die Überlieferung glauben machen will.

Das beginnt schon in der Urzeit, mit einem verheilten Oberschenkelknochen, der einer Frau gehörte, die vor etwa 30 000 Jahren lebte. An diesem Beispiel zeigt Annabelle Hirsch die Wichtigkeit der Frau in der Gesellschaft der Menschen jener Zeit. Denn ein verheilter Knochen deutet darauf hin, dass die Person, die diesen Unfall erlitt, nicht ihrem Schicksal überlassen, sondern gepflegt wurde, weil sie eine besondere Bedeutung für ihre Umgebung hatte.

Doch nicht nur Prähistorisches trägt Annabelle Hirsch zusammen, um am Beispiel von Objekten zu illustrieren, wie der Alltag von Frauen im Laufe der Zeiten aussah. Ihre 100 Gegenständen stehen zudem für politische Bewegungen, die Frauen entfacht, für Geschichte, die sie geschrieben und für Politik, die sie gemacht haben.

Zu diesem Zweck erzählt Annabelle Hirsch auch die Geschichte der einstigen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir. Nach ihr, sagte etwa Margaret Thatcher im Jahre 1979, werde es für keine Frau mehr ein Problem sein, die Position einer Regierungschefin zu erlangen. Kurz darauf wurde Thatcher Premierministerin Großbritanniens.

Annabelle Hirsch beschreibt außerdem die reaktionäre Aufregung darüber, dass es ein Ding wie der Bikini in die Welt der Bademoden schaffte, damals, 1946. Dabei verstand es sein französischer Erfinder Louis Réard als ein Symbol der Modernität und des Fortschritts, musste aber feststellen, dass die beiden Kleidungsstücke in Italien und Spanien verboten wurden, während der qua Amt asexuelle Papst sich über den Anblick eines weiblichen Bauchnabels empörte.

Das Buch besticht ganz besonders durch seine schicke Aufmachung und seinen Aufbau. Jedem Kapitel wird das Foto eines Gegenstands vor rosa (warum auch nicht?) Hintergrund vorangestellt, das einen dreiseitigen Essay einleitet.

Der Erzählbogen reicht von verheilten Knochen 30 000 Jahre vor unserer Zeit bis hin zum „Pussy Hat“ aus dem Jahre 2017, einem mittlerweile in zahlreichen Museen der Welt ausgestellten Symbol des Aufstands und des Widerstands gegen die überkommene und gedankenlos übernommene gesellschaftliche Rangordnung der Geschlechter. Ihren Trägerinnen demonstrierte diese Kopfbedeckung: Ihr seid nicht allein.

Tipp: lit.Cologne-Lesung mit Annabelle Hirsch und Martin Stankowski am 7. März, 20 Uhr, Comedia-Theater