Die lit.Cologne widmete ihre Auftaktveranstaltung den Protesten im Iran. Es war ein wichtiger Abend der Solidarität, der dennoch einige Chancen ausließ.
Auftakt der lit.CologneNavid Kermani fordert politische Isolation des Iran
Traurigkeit, Mitleid, Hoffnung - jedes Mal, wenn sie „Baraye“ hört, das Lied, das zur Hymne des Protests im Iran geworden ist und gerade mit einem Grammy ausgezeichnet wurde, überkomme sie diese Gefühlsmischung, sagte Moderatorin Ferdos Forudastan zu Beginn der Auftaktveranstaltung der 23. Ausgabe der lit.Cologne.
Dieser Abend im Sartory-Saal sei denjenigen gewidmet, „die gegen das repressive Regime aufbegehren“. Auch wenn der Protest nun, ein knappes halbes Jahr nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini, vielleicht weniger sichtbar sei, halte er immer noch an. Daran wollte das Festival mit iranischer Literatur und einer Diskussionsrunde erinnern. Der Erlös der Veranstaltung wird an Amnesty International gespendet.
Proteste gegen den Auftritt von Azadeh Zamirirad
Wie gespalten auch die iranische Exil-Gemeinschaft ist, hatte sich schon im Vorfeld der Veranstaltung gezeigt. In einem offenen Brief hatten Mitglieder der iranischen Gemeinschaft in Köln die Ausladung von Azadeh Zamirirad gefordert. Sie werfen der Iranforscherin und stellvertretenden Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin eine zu große Nähe zum Regime in Teheran vor - sie sei "eine der Lieblingsfiguren der Islamischen Republik". Auch vor den Sartory-Sälen gab es Protest.
Niemand auf der Bühne stehe dem iranischen Regime nahe oder betreibe Propaganda in deren Sinne, betonte hingegen Moderatorin Forudastan zu Beginn. Und in der Tat herrschte zwischen Navid Kermani, Asal Dardan, Azadeh Zamirirad und Isabel Schayani in vielen Punkten große Einigkeit.
Schayani sieht den Iran in einer „Zwischenzeit“. Die Menschen warteten nur darauf, dem Regime zu zeigen, dass sie es ablehnen. Es regiere gegen die Mehrheit der Menschen. Zamirirad betonte, die Menschenrechtslage habe sich rapide zugespitzt. Die Vergiftung von Schülerinnen sei eine Art Rache für das große Engagement besonders vieler junger Menschen bei den Protesten. Sie sieht eine enorme Steigerung des Tempos bei den Gerichtsverfahren. Repressionen und Terror zeigten Wirkung. „Aber es gibt noch Protest.“ Dieser sehe nur häufig anders aus. Slogans auf Dächern, Graffiti, Gesänge - die Formen seien subversiver. „Wir sehen nicht das Ende der Proteste, wir sind mittendrin.“
Navid Kermani betonte, man könne die Proteste nicht isoliert betrachten, sie seien eine Fortsetzung früherer Aufstände. Die Qualität sei aber dieses Mal eine andere, deshalb sei die Entwicklung nun nachhaltig. „Die Wut und Verzweiflung ist so groß, dass die Menschen standhalten.“ Er sieht Risse im System. 80 Prozent der Bevölkerung lehnten das System ab. „Unsere Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Es darf nicht zu einer Normalisierung kommen.“
Asal Dardan sagte, sie werfe sich vor, zu lange daran festgehalten zu haben, dass Reformen möglich seien. Schayani hingegen betonte, sie haben diesen Reformglauben noch nie verstehen können. Was folgte, war eine lange, leider etwas unergiebige Debatte über die Haltung der Exil-Iranerinnen und -Iraner in dieser Frage.
Einig war man sich dann wieder, dass es keinen Raum mehr für Kompromisse gibt. „Die Dämme sind gebrochen, die Lager können nicht zueinander finden“, so Zamirirad. Dardan betonte, der Protest vereine auch unterschiedliche Ethnien und Religionen: „Sie lassen sich nicht mehr spalten.“
Die Literatur kam an diesem Abend zu kurz
Emotionaler wurde es hingegen zum Schluss der mehr als zwei Stunden dauernden Veranstaltung bei der Frage, was getan werden muss, um die Protestierenden zu unterstützen. Kermani war da sehr bestimmt: „Wir müssen der Regierung vor Augen führen, dass es kein Zurück mehr geben kann.“ Die Revolutionsgarden gehörten auf die EU-Terrorliste. Dieser Staat müsse auf allen Ebenen politisch isoliert werden.
Das sah Zamirirad anders, sie könne in der Rechtspraxis keinen Mehrwert in einem solchen Schritt erkennen. „Iran soll nicht das nächste Nordkorea werden.“ Dardan widersprach: „Es ist mehr als nur symbolisch zu sagen, wir erkennen euch als Verhandlungspartner nicht an.“
Wir seien zu fokussiert auf den Staat und nicht auf die Stärkung der Zivilgesellschaft. Zudem erhoffe sie sich finanzielle Unterstützung für die Menschen im Iran durch die Exil-Iraner. Schayani verwies darauf, dass jeder, der über irgendwelche Kanäle Geld aus dem Ausland erhalte, als Spion gelte.
Und wo blieb an diesem Abend die Literatur? Die gab es leider nur zu Beginn und am Schluss sehr kurz als Klammer. Das war sehr bedauerlich, weil die Vielfalt iranischer Literatur nur angedeutet wurde und weil man gern mehr von der Schauspielerin Eva Mattes gehört hätte, die Gedichte und Texte von Ahmad Schamlou, Forugh Farrochzad, Kermani und Dardan wunderbar vortrug.
Es war zweifellos die richtige Entscheidung, die Proteste im Iran zum Thema der Auftaktveranstaltung zu machen, auch wenn der Abend einige Chancen ausließ. Er war zu lang, die Debatte zu wenig strukturiert und die Literatur kam zu kurz - dennoch war er ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Menschen im Iran.