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Skandalöse „Mein Kampf“-LesungSylvester Groth steigert sich in Hitler-Hasstiraden

Lesezeit 4 Minuten
Sylvester Groth

Darf man Hitler so gut sprechen? Sylvester Groth liest "Mein Kampf".

  1. Schauspieler Sylvester Groth liefert eine beeindruckende Leistung bei seiner Hitler-Lesung im Rahmen der lit.Cologne ab.
  2. Zu einer anschließenden Diskussion kommt es nicht.

Köln – „Hitler sells“, sagt Helgard Haug. Das weiß sie aus eigener Anschauung. Mit ihrem Theaterkollektiv Rimini Protokoll hat Haug Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ auf die Bühne gebracht, noch bevor sie als wissenschaftlich editierte, mit 3700 Anmerkungen versehene Ausgabe erschienen ist. Das Premierenpublikum, erzählt Haug, hätte sich vorwiegend aus Pressevertretern zusammengesetzt, und die anschließenden Vorstellungen waren äußerst gut besucht.

Hitler als Verkaufsargument, das gilt auch für die kritische „Mein Kampf“-Ausgabe, die erste, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland legal zu erwerben ist und die sich als Bestseller entpuppt hat. Die erste Auflage war sofort vergriffen, Exemplare wurden zu Wucherpreisen angeboten: „Hitler sells“.

Stabile Tragetüte gratis

Wirft das ein ungutes Licht auf die wissenschaftliche Leistung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte? Wohl kaum. Aber dass die Worte „Mein Kampf“ und „Bestseller“ im selben Satz ein flaues Gefühl in der Magengrube erzeugen, konstatiert auch Moderatorin Bettina Böttinger an diesem Dienstagabend auf der lit.Cologne, an dem sie über die umstrittene Edition reden will. Vor und nach der Veranstaltung kann man „Mein Kampf“ kaufen, an einem Stand der Buchhandlung Bittner vor dem Depot 1, der Ausweichspielstätte des Schauspiel Köln. Zum dicken Band gibt es eine stabile Tragetüte gratis dazu. Man trägt nicht nur symbolisch schwer an diesem Werk.

Der Abend beginnt nüchtern. Christian Hartmann, Herausgeber der kritischen Ausgabe, erzählt noch einmal von den Diskussionen im Vorfeld. Matthias Hageböck, Buchrestaurator der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek, äußert sich lobend über die nüchterne Aufmachung des Bandes. Er hat als „Alltags-Experte“ am „Mein Kampf“-Theaterabend des Rimini Protokolls teilgenommen. Aus dem wird sogleich ein kurzer Ausschnitt gezeigt, in dem die Teilnehmer nicht nur über das Tabu diskutieren, das die Schrift umgibt, sondern sich auch ein wenig darüber lustig machen. Christian Hartmann ist das allzu ironisch. Man müsse das Verbot schon ernst nehmen: „Sie spielen mit dem Tabu, wir haben einen Standpunkt produziert.“

Die Diskussion bleibt aus

Leider kommt es nicht zur Diskussion. Dabei wäre die bitter nötig gewesen. Stattdessen liest nun Sylvester Groth aus „Mein Kampf“. Er liest eine lange Passage, in der Hitler von seiner Verwundung durch Gelbkreuzgas in Flandern erzählt, von seinem anschließenden Lazarettaufenthalt in Pommern und seiner Verbitterung als er von der „größten Schandtat des Jahrhunderts“ erfährt. Gemeint ist die Novemberrevolution 1918, die zum Sturz des Kaisers und zum Ende des Ersten Weltkriegs führte.

Zunächst liest Groth den etwas schwülstigen, autobiografischen Bericht im gemessenen, jeden Halbsatz abwägenden Tonfall vor. Doch legt er zunehmend mehr Emotionen in die Sätze, von bloßer Wehleidigkeit bis zur echten Verzweiflung, steigert sich schließlich in gebrüllte Hasstiraden. Hitler beschreibt in dieser Passage seine Transformation vom Soldaten zum Politiker, beginnt mit der privaten Verletzung und endet im öffentlichen Kampfaufruf. Groth betreibt keine psychologische Einfühlung, er legt die Rhetorik der Textstelle frei, wiederholt etwa ein gebrülltes „Dafür?“ mit entsprechender Geste, ganz so, wie ein Shakespeare-Mime, die Rede des Marcus Antonius‘ mit „Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann“ zäsiert.

Nazi-Kundgebung vor der Machtergreifung

Aber selbstredend denkt kein Zuhörer im ausverkauften Depot 1 jetzt an Shakespeare. Sondern changiert zwischen der Gewissheit, gerade einem brillanten Schauspieler zuzuhören und dem Gefühl, auf einer Nazi-Kundgebung kurz vor der sogenannten Machtergreifung gelandet zu sein. Als könnte man sich die „Mein Kampf“-Ausgabe am Büchertisch kaufen und von Groth in Vertretung signieren lassen. Der Applaus fällt dementsprechend verunsichert aus. Darf man Hitler so gut sprechen? Christian Hartmann hatte die Passage ausgesucht. Nun erklärt er „große Ehrfurcht“ vor Groths „sehr, sehr mutigen Vortrag“: „Sie haben uns Hitler als einen von uns gezeigt.“

Aber muss man das? Der Tatbestand der Volksverhetzung, lernen wir in einem weiteren Video-Ausschnitt aus der Aufführung von Rimini Protokoll, ist erfüllt, wenn man sich den Hitler-Text zu Eigen macht. Ist das nicht genau das, was Sylvester Groth gerade gemacht hat? Wer das bejaht, hat nicht verstanden, was ein Schauspieler macht. Groth wollte wohl das Verführerische des „Führers“ offenlegen, die rhetorische Kraft wecken, die „Mein Kampf“ trotz aller verquaster Metaphern entwickeln kann. Das ist ihm auch ganz wunderbar gelungen. Doch vermeint man als Zuschauer eben auch die Süffigkeit des Materials für den Schauspieler herauszuhören. Es ist gerade die technische Brillanz, die diesen Vortrag so skandalös macht.

Später liest Groth noch eine zweite, programmatische Passage aus „Mein Kampf“ vor, in der bereits die Gaskammern anklingen. Jetzt verengt sich seine Stimme zu giftigem, Gollum-artigen Hass-Gezischel. Die Stelle ist schwer erträglich, der Vortrag endet mit einem gehauchten „Ja, ja“. Gehörte das noch zum Text, oder war das der Stoßseufzer des Sprechers, nach einer Aufgabe, die nicht zu meistern ist?

„War ‚Mein Kampf‘ ein Masterplan?“, fragt Bettina Böttiger. „Ein Skizze“, antwortet Hartmann. Und bekennt dann, dass Hitler ihm in den Jahren der Editionsarbeit noch unheimlicher geworden sei.

Das würden wohl die meisten Zuschauer im Depot unterschreiben.