Kriege, Querdenker, Männlichkeit: Mit „Monde vor der Landung“ liefert Clemens J. Setz einen hochaktuellen historischen Roman, in dem man sich fragt, was Fakt und was Fiktion ist – und ob das überhaupt wichtig ist.
lit.COLOGNEIn „Monde vor der Landung“ entschwebt Clemens J. Setz der Realität
Clemens J. Setz’ Bücher schicken ihre Leser auf merkwürdige Trips, nach denen die Welt immer ein wenig verschoben und verbogen scheint. Wer „Monde vor der Landung“ liest, sollte sein Gehirn also vorher gut anschnallen: Die literarische Reise geht ins Innere der Erde oder zumindest ins Innere des Gehirns von Peter Bender, einem Vordenker der Hohlwelttheorie.
Dieser Peter Bender hat tatsächlich gelebt – er wurde Ende des 19. Jahrhunderts bei Worms geboren, meldete sich 1914 als Kriegsfreiwilliger und wurde Fliegerleutnant. Clemens J. Setz fügt auch historische Aufnahmen, Schriftstücke und Zitate aus einem Buch ein, das Peter Bender tatsächlich 1927 veröffentlicht hat.
Die Leser, die vor lauter Hohlwelttheorie ohnehin schon nicht mehr so recht wissen, wo oben und unten ist können sich also auch noch den Kopf darüber zerbrechen, was in diesem Roman eigentlich Fakt und was Fiktion ist – und ob das überhaupt wichtig ist.
Historischer Roman über einen Vorzeige-Querdenker
Damit trifft der Autor mitten ins Schwarze unserer Jetzt-Zeit, wo „alternative Fakten“ längst salonfähig geworden sind. Heute wäre Peter Bender ein Vorzeige-Querdenker.
Als einer der wenigen – so glaubt er –hat er die echten Gesetze des Universums erkannt. Der Rest der Menschheit: „Schafe, alles Schafe!“ Kurios ist sein Gedankengebäude ohne Frage und auch seine Überheblichkeit beschreibt der Autor mit Amüsement: „Es würde ein großes Werk werden, ein Jahrhundertschlüssel“, denkt Peter Bender über sein eigenes Buch.
Nichts läge Clemens J.Setz aber ferner als sich einfach über ihn lustig zu machen. Im Gegenteil: Etwas Tröstliches liegt in dessen Fähigkeit, sich das Universum einfach so zu denken, wie es ihm gefällt.
Eine unsympathische, aber beeindruckende Hauptfigur
So entflieht er gedanklich den Grauen des ersten Weltkrieges. Später dann seiner immer trostloser werdenden Existenz als verkanntes Genie und schließlich dem nächsten, noch viel irrsinnigerem Weltkrieg.
Ist dieser Peter Bender also verrückt? Oder ist es der Krieg, in dem Menschen verletzt, traumatisiert und getötet werden? Nicht zuletzt liegt auch eine große Poesie in Benders Sicht der Welt: „Im Traum sah er Menschen in einer weiten Ebene vor sich. Sie strebten alle nach oben, zum Licht. Allerdings waren sie untereinander und mit dem Dunkel unter ihnen verbunden, wie Blumen, deren erdige Knollen nichts über die krönende Schönheit ihrer Blütenköpfe verrieten. Frechheit.“
Wegen solcher Gedanken folgt man der Hauptfigur fasziniert über mehr als 500 Seiten – sympathisch ist sie eigentlich nicht, aber beeindruckend in ihrem völligen Entschwebt-Sein vom Alltag.
Um alles Praktische – das Geld, die zwei Kinder – muss sich notgedrungen Peter Benders Frau Charlotte kümmern. Die hat er im Lazarett kennen gelernt, nachdem er im Ersten Weltkrieg mit dem Flugzeug abgestürzt war.
Zu exzentrisch für den Nationalsozialismus
Charlotte hängt an seinen Lippen, wenn er von seinen neuesten Erkenntnissen fabuliert. Oder zumindest tut sie meistens so. Viele Frauen liegen ihm anfangs zu Füßen, fallen bei seinen Vorträgen sogar regelmäßig in Ohnmacht.
Peter Bender wähnt sich schon als Führer einer weltumspannenden „Gemeinde“. Doch zum Zeitgeist des Nationalsozialismus passt der Exzentriker nicht mehr – zumal Charlotte Jüdin ist. Beide sterben im KZ.
Mit dieser kurz und sachlich formulierten Information ganz am Schluss des Romans krachen Fakt und Fiktion schließlich ungebremst ineinander und implodieren im Kopf der Leser. Damit ist Clemens J. Setz das gelungen, was seine Hauptfigur gerne geschrieben hätte: Ein großes Werk.
Tipp: lit.Cologne-Lesung mit Clemens J. Setz und Hubert Winkels am 8. März, 19 Uhr, Kulturkirche Köln