Interview

Interview mit Marcus Bensmann von Correctiv
„Weidel hat das Land vor den russischen Bus geworfen“

Lesezeit 7 Minuten
Marcus Bensmann sitzt an einem Tisch und spricht in ein Mikrofon. Auf dem Tisch sidn zwei Büchern auf Aufstellern. Bensmann trägt eine hellbraune Lederjacke und darunter ein weißes, gestreifes Hemd. Im Hintergrund weitere Bücher in einem Schrank.

Markus Bensmann am Samstag, 23. April 2022 bei seiner Lesung beim Literaturfest auf der Akazienallee in Essen.

Die Correctiv-Recherche zu einem rechten Geheimtreffen in Potsdam brachte viele Menschen auf die Straße. Wir sprechen mit Marcus Bensmann über die AfD.

Herr Bensmann, nach den Correctiv-Recherchen zu den Vertreibungsplänen der AfD gab es großflächige Proteste, in Köln waren schätzungsweise 30.000 Menschen auf der Straße. Haben Sie mit so einem Echo gerechnet?

Damit hat keiner gerechnet. Ich glaube, ich habe noch nie von einer Recherche gehört oder gelesen, die so lange die Leute bewegt hat. Wenn man Veranstaltungen dazu macht, die sind immer sehr gut besucht. Viele Leute kennen die Recherche, man wird darauf angesprochen, also das ist schon besonders. Uns war aber schon bewusst, wie brisant das alles war, als wir die Quellen gesichtet haben.

Wie kam es zur Recherche?

Wir recherchieren schon sehr lange zur AfD. Wir haben den Spendenskandal der Partei maßgeblich mit aufgedeckt und viel zu ihrer Russlandnähe geschrieben. Letztes Jahr haben wir beobachtet, dass 2024 wichtige Wahlen anstehen und uns gefragt: Gibt es einen Plan der AfD hier in Deutschland? Oder der Rechten europaweit? Und da haben wir unsere Fühler ausgestreckt und von der Einladung nach Potsdam erfahren. Das zentrale Thema der Veranstaltung war eben die „Remigration“, wobei der Begriff erstmal harmlos klingt, aber Ungeheuerliches meint. In Potsdam wurde über die „Remigration“ nicht-assimilierter Staatsbürger diskutiert, als Jahrzehnteprojekt mit maßgeschneiderten Gesetzen und Anpassungsdruck. Hier wird zwischen eigener Bevölkerung und Fremden getrennt und überlegt, wie man die anderen loswerden kann. Das kommt für mich einer Vertreibung gleich.

Marcus Bensmann über die Correctiv-Recherche und die AfD

Manche Teilnehmer des Treffens wehren sich gegen diese Gleichsetzung. Mit „Remigration“ sei eine freiwillige Auswanderung gemeint.

Sie sagen immer, es sei freiwillig, aber wenn ich Druck ausübe, ist es nicht freiwillig. Das ist eine Taktik dieser rechtsextremen und völkischen Ideologen, erstmal einen harmlos klingenden Begriff in die Gesellschaft reinzubringen. Die „Remigration“, so wie Sellner und Krah sie verstehen, betrifft im Gegensatz zur Abschiebung ja nicht nur Menschen, die ausreisepflichtig sind. Wenn man die Zahlen ansieht, von denen sie ausgehen, kommt man auf die Menschen, die seit den 60er Jahren hier in unserem Land heimisch geworden sind und an unseren Wohlstand mitgearbeitet haben. Alice Weidel hat auf dem letzten Parteitag die „Remigration“ nicht mehr betont. Vielleicht ist es unserer Recherche zu verdanken, dass die sie in diesem Thema zumindest teilweise zurückrudern. Aber man sollte sich da nicht irren. Diese Idee schlummert in dieser Partei. Und die Träger dieser Ideen stehen in ostdeutschen Landtagswahlen zur Wahl. Wenn sie dort politisch obsiegen, dann werden wir diese Debatte ganz massiv wieder zurückbekommen.

Wenn man das etwas flapsig übersetzt, haben Björn Höcke und sein Vater die DDR als ein von Stasi und Sowjetarmee bewachtes Germanenterrarium gesehen.
Marcus Bensmann

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“, dass die Absicht der Vertreibung schon vor dem Treffen in Potsdam klar benannt wurde.

Diese Idee der „Remigration“ ist tief in der AfD verwachsen. Björn Höcke redet davon. Maximilian Krah, der zu der Zeit Spitzenkandidat für die Europawahl war, formuliert das in seinem Buch ganz offen und bedauert, dass man über 25 Millionen Menschen nicht gegen ihren Willen ausweisen kann. Das Trennen zwischen Fremden und Eigenen, der Wunsch nach Erhalt einer ethnokulturellen Identität setzt das Zerrbild einer Idealgesellschaft voraus, die von einem homogenen Volksbegriff ausgeht. Herr Höcke nennt das Vertrauensgemeinschaft. Das ist eine klassische Idee der deutschen Rechten, die immer wiederkehrt. Und da wird immer einer gesucht, der als fremd gilt und wenn man den entfernt, dann könnte sich die ideale Gesellschaft entfalten.

Sie beziehen sich im Buch auch auf eine von Höckes Reden, in der er sich erinnert, die deutsche Einigung betrauert zu haben. Für ihn und seinen Vater sei die DDR eine der letzten intakten Vertrauensgemeinschaften gewesen.

Das ist für mich ein faszinierender Punkt. Viele erinnern sich an die Rede von Höcke, in der er vom „afrikanischen Ausbreitungstyp“ spricht. Aber wenn man sich diese Rede noch weiter anhört, beschreibt er sehr emotional, mit wechselnden Tempi und Pausen, wie er als Jugendlicher in Hessen mit seinem Vater den Mauerfall verfolgte. Die beiden haben dann geweint und sein Vater sagte zu ihm, das sei das Ende des deutschen Volkes. Die Vertrauensgemeinschaft, die sich in der DDR gebildet hat, würde nun von dem Multikulturalismus aus dem Westen bedroht. Wenn man das etwas flapsig übersetzt, haben Björn Höcke und sein Vater die DDR als ein von Stasi und Sowjetarmee bewachtes Germanenterrarium gesehen.

Wie kommen Sie eigentlich an Ihre Informationen?

Wenn ich Journalist-Professor wäre, würde ich meine Studenten und Studentinnen immer zu AfD-Parteitagen schicken. Ich bin die ersten Jahre von einem Parteitag zum anderen gegangen und in den Raucherecken hat man sich dann unterhalten. Und wenn ich nicht akkreditiert wurde, habe ich mir einen Stuhl genommen und mich mit einer Thermoskanne vor die Halle gesetzt. Das führte dann teilweise zu Spott, aber teilweise sind die Leute rausgegangen und haben mir Informationen mitgeteilt oder mich angerufen. Wir haben es aber auch mit einer sehr redseligen Partei zu tun, weil die interne Konkurrenz so groß ist. Ich glaube, es gibt kaum eine Partei, in der die Leute so daran interessiert sind, Informationen über den Parteifreund oder die Parteifreundin durchzustecken.

Bensmann rät dazu, Aussteigern der AfD eine Chance zu geben

Wie gefährlich ist ihr Job? Bekommen Sie auch Drohungen?

Bei so einer Recherche macht man sich nicht nur Freunde. Die AfD sieht uns ja nicht mehr als Medium, sondern als Gegner. Das betrifft vor allem meinen Kollegen Jean Peters, der auch im Hotel in Potsdam war und eine gewisse aktivistische Geschichte hat. Oft werden Journalisten schlichtweg lächerlich gemacht, aber damit kann man leben. Wenn man aber wie Jean Peters als Feind markiert wird, muss man Sicherheitsvorkehrungen treffen. Da wird Dogwhistling betrieben, also sie sprechen aus, dass der gefährlich ist und andere fühlen sich dann ermutigt, das auszuführen, was andere nur andeuten.

Sie raten in ihrem Buch trotz allem dazu, Aussteigern der AfD eine Chance zu geben. Selbst Menschen, die ihre Probleme mit dem Kurs der Partei haben, würden sich sonst nicht trauen, der AfD den Rücken zu kehren.

Ich kann mir vorstellen, dass einige da die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Aber unsere Bundesrepublik hat die besondere Stärke, immer wieder Leute aufnehmen zu können. Keiner ist vor Fehlern oder Extremen gefeit. Mir hat mal einer gesagt: Wenn ich in der AfD bin, bin ich für die Außenwelt ein Nazi, habe aber ein Netzwerk. Trete ich aus, bleibe ich ein Nazi, aber die ehemaligen Parteifreunde und -freundinnen sehen mich als Verräter. Und da geht es nicht nur darum, dass man dann Silvester allein feiern muss. Die Leute haben Angst, nie wieder einen Job zu kriegen. Ich frage mich, ob diese Dämonisierung sinnvoll ist, weil das eine Wagenburgmentalität schafft und die Leute abweist, die den Mut haben, aus der Partei auszutreten. So bleiben viele in der AfD, obwohl sie mit einigen Positionen nicht mehr leben können, das betrifft eine ganze Menge.

Welche Positionen meinen Sie konkret?

Das betrifft ganz verschiedene Elemente. Die Russlandnähe ist ein gutes Beispiel dafür. Mit dem Satz: „Die Ukraine gehört nicht zu Europa“, hat Weidel im Grunde genommen das Land vor den russischen Bus geworfen. Da gibt es schon auch in der AfD Leute, die das nicht gut finden.

Sie sind also trotz ihrer Einblicke nicht entmutigt?

Es entsteht manchmal der Eindruck, als würde alles untergehen. Ich erwische mich auch dabei, wie ich im Zug nach Berlin sitze und schimpfe, weil er wieder 90 Minuten Verspätung hat. Aber im Grunde genommen können wir immer noch glücklich sein über die Gesellschaft, in der wir leben. Wir sehen vieles als gegeben an. Aber wenn Putin die Ukraine angreift, müssen wir verstehen, dass wir nicht Mediatoren sind, sondern Beute. Sein Ziel ist ein von Russland dominiertes Europa von Lissabon nach Wladiwostok. Und wenn man den Leuten die politische Macht gibt, die sich als Büchsenspanner dieses Machtanspruchs aus dem Kreml aufführen, dann hat Konsequenzen für unser aller Leben. Wir müssen wissen, wo wir leben wollen. Westbindung oder Sibirien. Diese Diskussion muss man offensiv führen. Man kann mal über die Wärmepumpe schimpfen oder eben mit der Ampel unzufrieden sein. Aber diese liberale Demokratie, die hat die perfekte Form für den unperfekten Menschen.

Zur Veranstaltung

Marcus Bensmann stellt sein Buch „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“ in Köln vor. 9. Juli, 19 Uhr in Stadtbibliothek, Josef-Haubrich-Hof 1a, 50676 Köln. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist erforderlich. Alle Informationen gibt es hier

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