Marius Müller-Westernhagen: „Wut muss drin sein”
Berlin – Für Rock-Musik gab es mal eine gefühlte Altersgrenze. Mit zunehmenden Jahren vieler Musiker und ihrer Fans haben sich allerdings die Kriterien verschoben.
Marius Müller-Westernhagen („Freiheit”) ist jetzt 73 Jahre alt. Zu hören ist das nicht: sein neues Album lässt kaum Erwartungen unerfüllt. Es rockt, viel Blues gibt es, Balladen sind dabei, Texte berühren.
Das Album „Das eine Leben” ist deutlich von der Pandemie geprägt. Den ersten Teil schrieb der Sänger nach eigenen Worten während eines über Wochen anhaltenden Corona-Lockdowns in Südafrika. „Das war ein Zustand, den man noch nicht kannte”, sagt Müller-Westernhagen, „da fängst man natürlich an zu reflektieren: Was ist eigentlich los in der Welt?”
Es sind die ersten neuen Songs nach acht Jahren. Zuletzt hatte Müller-Westernhagen vor drei Jahren eine Blues-Version seines Erfolgsalbums „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz” von 1978 eingespielt. Die dazu geplante Tour durch hochklassige Konzertsäle fiel allerdings pandemiebedingt aus.
Keine Kompromisse
Das neue Album hat er in Berlin und in den USA fertiggeschrieben und aufgenommen. „Ich weiß ja, wie das heute läuft in der Industrie. Also mache ich meine Alben fertig, finanziere die selbst und biete sie dann an. Ich will auch keine Kompromisse.” Es steckt also ganz viel Müller-Westernhagen in „Das eine Leben”.
„Ich will mich spüren”, sagt er dazu, Musik sei Seelenfutter. Und: „Es muss ein bisschen Wut drin sein”. Die steckt schon in der ersten Auskopplung „Zeitgeist”. Darin rechnet Müller-Westernhagen mit politischen und gesellschaftlichen Oberflächlichkeiten ab.
Müller-Westernhagen gehört in der deutschen Musikszene zu einer Klasse für sich. Musiker - gendern überflüssig - mit sehr eigenwilliger Stimme. Nicht wirklich kunstvoll, aber unverwechselbar und vielleicht auch deswegen erfolgreich. Auch etwa Lindenberg und Grönemeyer zählen dazu. Westernhagen raunt dann eher als zu singen, auf dem neuen Album etwa in „Ich will raus hier”. Auslautende Vokale drehen sich ins umlauthafte. Dann klingt er so dreckig wie einst sein „Pfefferminz-Prinz”.
Vergänglichkeit und Tod
Auffallend viele der elf neuen Songs befassen sich mit Themen wie Vergänglichkeit, Alter, Tod, Begräbnis. „Schnee von gestern” blickt auf schräge Alltagsbegebenheiten zurück. „Ich werde Dich lieben bis in den Tod” ist ein Bekenntnis auch zu schwierigen Menschen. Bei „Abschied” ist es die Trennung eines Paares. „Wenn wir über den Berg sind” fragt nach Konsequenzen und Lernfähigkeit.
Im balladigen „Achterbahngedanken” verarbeitet Müller-Westernhagen Träume, Wünsche, Fantasien. Kaum etwas erfüllbar, denn „das Leben ist das Leben, es ist nicht das Paradies”. Noch einen Schritt weiter geht er, wenn er in „Dunkle Phantasien” tief verborgene Lüste besingt.
Ähnlich „Die Wahrheit” in einem selbst geschaffenen „aufblasbaren Himmelreich”, auch hier der kritische (Rück-)Blick: „Ich tat es, weil die andern fanden's toll”, singt er. So spricht der Musiker heute auch über seine erfolgreichste Phase. In den 90er Jahren füllte Müller-Westernhagen regelmäßig riesige Stadien und spielte dabei teils vor mehr als 100.000 Menschen.
„Der Ehrgeiz, großen Erfolg zu haben, der ist vollkommen weg. Der ist auch mehr als befriedigt”, sagt er heute. Der Song „Spieglein, Spieglein an der Wand” nimmt sich solche Eitelkeiten, Seelenstriptease, Ambitionen, Egotrips vor.
durch den musikalischen Nachwuchs gefordert. So hat er für „Das eine Leben” in den USA mit einem Schlagzeuger zusammengearbeitet, der zuletzt die Drums für zwei Alben von US-Sängerin Beyoncé beisteuerte. Er werde von jungen Musikern mit offenen Armen aufgenommen, „was immer eine Bestätigung ist und gut tut”, sagt Müller-Westernhagen. Und: „Da kneifst du die Arschbacken zusammen, weil da willst du ja mithalten.”
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