Das Kölner Odysseum verabschiedet sich mit einer Blockbuster-Schau. „Marvel: Die Ausstellung – Universe of Super Heroes“ überzeugt mit Wucht und Expertise.
Letzte Ausstellung im OdysseumErst kommen die Superhelden, dann die Schüler

Lady Deadpool betrachtet in der Kölner Marvel-Ausstellung ein Original-Deadpool-Maske aus den Filmen.
Copyright: Arton Krasniqi
Das kleine, rote Podest lässt sich leicht übersehen. Vor ihm bricht ein grüner Hulk wutschnaubend durch die Ausstellungswand. Drumherum leuchten animierte Superhelden und -schurken in allen Farbkombinationen auf Leuchtkästen und LED-Schirmen. Und über allem dröhnt Spannungsmusik aus den aufwendigen Verfilmungen der Fantasiegeschichten, die einst auf billigstem Papier gedruckt wurden.
Ein solches Printprodukt, doppelt gut verwahrt hinter Vitrinenglas und einer durchsichtigen Plastikhülle, thront auf dem roten Podest: „Marvel Comics Nr. 1“, erschienen im Oktober 1939. Es ist das erste Comic-Heft, das den Namen „Marvel“ trägt. Zehn Cent musste das junge Zielpublikum damals investieren, um sich in die Abenteuer der Menschlichen Fackel und des Unterwasserprinzen Namor flüchten zu können, heute ist ein Exemplar je nach Erhaltungszustand zwischen hunderttausend und mehreren Millionen Euro wert.
Das „Marvel Cinematic Universe“ ist das umsatzstärkste Filmfranchise
Ende der 1990er Jahre stand der Marvel-Verlag noch kurz vor dem Konkurs. Doch mit dem ersten „Iron Man“-Film gelang ihm 2008 ein spektakulärer Sprung ins Filmgeschäft, das „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) war geboren. Heute ist die Reihe das umsatzstärkste Filmfranchise überhaupt, mehr als 30 Milliarden Dollar haben die 35 Marvel-Spielfilme bislang eingespielt.
Die Marvel-Helden hatten sich in den Mainstream zurückgekämpft. Jetzt kennt sie wieder jedes Kind, trotz ihres manchmal beträchtlichen Alters. Und sogar solche wie etwa die „Guardians of the Galaxy“, die selbst bei Comic-Fans nur unter ferner liefen rangierten. Möglich, dass das MCU seinen kreativen Höhepunkt bereits überschritten hat. Eventuell befindet sich das Franchise auch nur in einem Zwischentief. Museumsreif ist Marvel auf jeden Fall.
35.000 Tickets im Vorverkauf abgesetzt
Am Freitag öffnet „Marvel: Die Ausstellung – Universe of Super Heroes“ im Kölner Odysseum ihre Tore. Ausgerichtet hat sie der zu Disney gehörende Entertainmentriese selbst, zusammen mit dem bayerischen Veranstalter Semmel Exhibitions. Eine Blockbustershow – 35.000 Tickets wurden bereits im Vorverkauf abgesetzt –, die sich an junge Filmfans und alte Comic-Kenner zugleich richtet, der Verlagshistorie und dem intellektuellen Überbau ebenso genügen will, wie der reinen Schau- und Spiellust. Das kann eigentlich nicht gut gehen. Tut es dann aber doch. Die beiden Kuratoren Ben Saunders und Patrick A. Reed haben die mehr als 200 seltenen Exponate mit großer Sachkenntnis ausgewählt, haben den Kontakt zu ihrer kindlichen Erstverzauberung jedoch offensichtlich nicht verloren.
Weshalb man sich hier virtuell in der Hi-Tech-Rüstung von Iron Man einkleiden und auch sofort losfliegen kann, das versteinerte Ding im Hauptquartier der Fantastischen Vier auf eine Tasse Kaffee trifft oder sich zur jungen Ms. Marvel, der ersten muslimischen Superheldin des Verlags, auf eine Parkbank setzt.
Unzählige Kostüme und Filmrequisiten aus dem MCU
Es gibt unzählige Kostüme und zahlreiche zu Reliquien gewordene Filmrequisiten zu bestaunen, Thors Hammer Mjöllnir und Thanos' Infinity-Handschuh, man kann sich mit Dr. Strange im Multiversum verlieren – na gut, es ist ein Spiegelkabinett – und Captain America unterm ewigen Eis entdecken.
Der verlockende Eskapismus des Marvel-Universums trifft in Köln allerdings auf die Geschichte eines Scheiterns. Denn mit Captain America, Hulk und Iron Man endet die 16-jährige Geschichte des „Wissenschafts- und Abenteuermuseums“, das als „Cologne Science Center“ mit großen Zielen zu einem Vorzeigeprojekt der Stadt werden sollte. Doch die Stadt ist nie warm geworden mit dieser Idee, die nach der Expo in Hannover im Jahr 2000 geboren worden war. Die Kölner Sparkasse – damals noch nicht mit den Bonnern vereint – kaufte ein Ausstellungsstück der Weltausstellung und gründete eine Stiftung. Das sollte ein Geschenk anlässlich ihres 175. Geburtstags an die Stadt sein. Bei der Beschenkten löste der Elan der Stifter jedoch keine Begeisterung aus.

Die beiden Kuratoren der Marvel-Ausstellung, Ben Saunders (l.) und Patrick A. Reed
Copyright: Arton Krasniqi
Somit war schon bei der Eröffnung im April 2009 klar, dass kleinere Brötchen gebacken werden mussten. Während das Marvel-Universum weltweit durchstartete, litt das Odysseum unter dem wenig attraktiven Standort zwischen Drive-in-Baumarkt und Polizeiparkhaus. Obwohl man ein außerschulischer Lernort für alle Schülerinnen und Schüler sein wollte, musste man hohe Eintrittsgelder nehmen, um sich zu finanzieren.
Die Stadt verweigerte weiterhin jeden Zuschuss, auch als der Sparkasse das Geld ausging. So mussten immer mehr Abstriche gemacht werden. Die Betreiberfirma Explorado Group holte attraktive Ausstellungen nach Köln, um möglichst viele nach Kalk zu locken. Nach Harry Potter, den Dinos von „Jurassic World“ und Ramses sind nun Marvels Superhelden eingezogen. Trotz ihrer Superkräfte werden sie das Odysseum nicht mehr retten können. Folglich begrüßte der Chef der Betreiberfirma, Andreas Waschk, die Gäste „mit einem lachenden, aber auch mit einem weinenden Auge“. Waschk ist von Anfang an dabei. An ihm und seinen Leuten hat es wohl nicht gelegen, dass die Odyssee jetzt mit den Superhelden endet.
Man werde das Haus „würdig schließen“, meinte Christoph Scholz vom Ausstellungsmacher Semmel Exhibitions. Waschk sucht nach einer neuen Lokalität in Köln, um weitere Ausstellungen im Stile der Comicstars zeigen zu können. Für eine Show wie diese braucht man kein Gebäude von der Größe des Odysseums. Das Haus soll ab Sommer 2028 Domizil einer neuen städtischen Gesamtschule werden. Der Pragmatismus hat gesiegt.
Eindrucksvolle Original-Zeichnungen von Jack Kirby und Steve Ditko
Freilich entspringen selbst die kühnsten Comic-Versionen geschäftlichem Kalkül und bescheidensten Mitteln: Autor und Marvel-Mastermind Stan Lee, der seinen Zeichnern größte Freiheiten lässt, Bleistift, Tusche. Saunders und Reed haben in Köln einige der eindruckvollsten Original-Zeichnungen von Größen wie Jack Kirby, Steve Ditko oder John Romita versammelt – und auch einige Arbeiten von Ausnahmekünstlern wie Mike Mignola („Hellboy“), Todd McFarlane oder Moebius.
In den eckig-vorwärtspreschenden Bildern Kirbys, in ihren kühnen Perspektiven, ihren fantastischen, gleichwohl glaubwürdigen Science-Fiction-Apparaten und dem von brodelnder Energie belebten interstellaren Raum, kann man schon die ganze Digitaltrick-Pracht der späteren Filme entdecken. Und in der täuschend einfachen Linie des Spider-Man-Zeichners Steve Ditko, die sich erst in der Bewegung zu ihrer wahren Eleganz aufschwingt, liegt bereits der ganze Charme der freundschaftlichen Spinne aus der Nachbarschaft.
Nahbarkeit als Geheimnis des Marvel-Erfolgs
Marvels Helden sind in die Tiefen des Weltraums vorgedrungen, haben mystische Reiche erkundet, von Asgard bis Wakanda, aber das wahre Geheimnis ihres Erfolges ist ihre Nahbarkeit. Das Marvel Universum, heißt es an einer Tafel der Ausstellung, sieht nicht nur zufällig aus wie unsere Welt, es ist unsere Welt. Und diese Welt ist eine maximal diverse. Da müsse man sich nur, sagt Kurator Ben Saunders, die Avengers angucken, mit seinen amerikanischen Supersoldaten, Wutmonstern, osteuropäischen Hexen, frivolen Tech-Milliardären und nordischen Göttern – ein Team, das gerade durch seine gegenseitige Unvereinbarkeit aneinander gebunden ist.
Oder die X-Men, keine Superhelden, sondern Mutanten – selbstredend dürfen auch Wolverines Adamantium-Klauen nicht in der Kölner Schau fehlen. Ein Kniff, den sich Stan Lee und Jack Kirby eigentlich nur ausgedacht hatten, weil sie es leid waren, sich immer neue Ursprungsgeschichten für ihre Charaktere auszudenken, der reine Pragmatismus. Der aber in der Folge zu einer mächtigen Metapher dafür wurde, wie es sich anfühlt, zu einer Minderheit zu gehören, die von der Masse missverstanden und verfolgt wird.
Man wird in dieser Ausstellung viel staunen, lachen, träumen. Vor allem aber gibt es hier einiges zu lernen, über unendliche Vielfalt, gigantomanische Träume und die Kraft kleiner Gesten, über den Wert des Eskapismus. Insofern ist der Übergang des Odysseums zur Schule ein fließender.
„Marvel: Die Ausstellung – Universe of Super Heroes“ ist noch bis zum 22. Juni 2025 im Odysseum in Köln zu sehen. Tickets gibt es hier.