Im Düsseldorfer K 21 wird das vielgestaltige Werk des Künstlers Mike Kelley in einer großen und großartigen Retrospektive vorgestellt.
Mike Kelley in DüsseldorfPlüschtiere und andere Heimsuchungen
Große Papier- und Fotoarbeiten hängen an den Wänden, Objekte liegen und stehen ausgebreitet auf dem Boden, auf Podesten und in Vitrinen und erinnern an ihre einstige Verwendung ( z.B. „Performance Related Objects“, 1998). Sie sind Skulptur und Installation zugleich, manchmal erkennt man, was mit ihnen angestellt wurde. Auf Monitoren und im Kinosaal laufen Filme von Aktionen, werden auf die Wand projiziert. Es gibt Architekturmodelle und ein riesiges Mosaikbild aus falschen Perlenketten, Plastikbroschen und anderem Tinnef; mit der Schreibmaschine eng beschriebene Blätter mit Regieanweisungen für eine nie aufgeführte Performance, Skizzen aus Notizbüchern, ausgedachte Landschaften und eine mit einem fantastisch wehenden Schleier tanzende Frau, und und und. Es ist bunt und manchmal ein bisschen laut und doch scheinen die vielen locker verbundenen Elementen einer verborgenen Choreografie zu gehorchen.
Die Kunstsammlung NRW zeigt im K 21 die große und großartige Retrospektive „Mike Kelley. Ghost and Spirit“, die die Tate Modern, London in Zusammenarbeit mit der Kunstsammlung NRW, Bourse de Commerce, Paris und dem Moderna Museet, Stockholm organisiert hat.
Fies und niedlich zugleich, rührend und verstörend
Fies und niedlich zugleich, rührend und verstörend, opulent, unheilvoll, disruptiv, bedrückend... die Zu- und Beschreibungen seines Werkes lassen keinen Zweifel: Mike Kelleys vielgestaltige Kunst lässt sich nicht so einfach festlegen, es verweilt in einem ambivalenten Dazwischen, so wie auch Aliens, Gespenster und Geister in einem Dazwischen zu Hause sind.
„Okkultistische Rituale interessieren mich, weil sie mit der Kunstproduktion verwandt sind“, erklärt der US-amerikanische Künstler und mehrfache Documenta-Teilnehmer Mike Kelley (1954 Detroit-2012 Pasadena/ Kalifornien) 2011 in einem Gespräch. Er hat sich immer schon für diese Zwischenwelten interessiert, für den schöpferischen Akt, den Austausch von Materie und Energie, für Spiritismus genauso wie für die Fantasiewelten der Superman-Comics und „die psychologischen Untiefen dieser Figur“.
In der Serie „Kandors“ (1999-2011) spürt der Künstler dem geheimen (in Miniaturformat geschrumpften und unter eine Glaskuppel gesperrten) Rückzugsort des einsamen Superhelden nach und verknüpft ihn buchstäblich mit dem Gefühl des Unter-einer-Glasglocke-Eingesperrt-Seins der Dichterin Sylvia Plath, das ihrer Depression geschuldet war.
Wie kein anderer habe er es in seinem Schaffen verstanden, „unverwechselbare wie treffende Bilder für die Werte, Traumata und Psychosen der westlichen Gesellschaft zu erschaffen“. Es sei ihm in seiner Arbeit stets um „die gleichberechtigte Einbeziehung des als minderwertig Angesehenen und Verdrängten“ gegangen, zitiert „Welt online“ 2012 die Stellungnahme der Münchener Pinakothek zum Tod des US-amerikanischen Künstlers, der, da ist man sich einig, einer der einflussreichsten Künstler der späten 1970er und 1980er Jahre war.
Besonders markant und erinnerbar sind wohl die Plüschtiere, Decken und anderen Häkel-Kreationen, die Ende der 1980er Jahre in seiner Kunst auftauchten und die auch die Noise-Rock-Band Sonic Youth 1992 auf dem Cover ihres Albums Dirty verwendete. Die von den meisten als ein bisschen unheimlich empfundenen Kuscheltier-Installationen, wie etwa die große Wandarbeit „ More Love Hours Than Can Ever Be Repaid“ (1987) oder „Arena #4 (Zen-Garden)“ (1990) wurden damals zur großen Überraschung des Künstlers „mit sexuellem Missbrauch in Verbindung gebracht“, heißt es in der Presserklärung. Das sei, so Kelley, eigentlich gar nicht seine Intention gewesen, veranlasste ihn aber schließlich, über unterdrückte Erinnerungen, Traumatisierung, die Macht der Imagination und der Systeme und Institutionen künstlerisch nachzudenken und nun auch „die eigene (katholische) Erziehung und künstlerische Ausbildung als institutionellen Missbrauch zu lesen“.
Welchen Stellenwert hat die Kunst im und für das Leben?
Bei der vielteiligen Rauminstallation „Day is Done“ (2005) finden sich zahllose Fotografien und Multimedia-Installationen („Extracurricular Activity Projective Reconstruction“, 2004-2005), die ihr Ausgangsmaterial in den Highschool-Jahrbüchern finden, die jedes Kind in den USA kennt. Porträts oder Szenen von Schultheater-Aufführungen, Gospel-Gesängen oder Maskenbällen werden rekonstruiert, wieder-aufgeführt und nun paarweise, jetzt in Farbe fotografiert, mit den alten schwarz-weißen Aufnahmen verknüpft. Die Gespenster vergangener Zeiten erwachen zu neuem Leben.
Der letzte Beitrag des Kataloges ist ein „Liebesbrief an Mike Kelley“, den die Künstlerin Grace Ndiritu geschrieben hat und in dem sie sich als Fangirl outet und schildert, wie viele Menschen - und eben auch sie selbst - Kelley mit seiner Kunst und künstlerischen Haltung inspiriert hat, „sich einen eigenen Weg in der (Kunst-)Welt zu bahnen, gegen den Mainstream zu rebellieren und ‚Leck mich‘ zum Establishment zu sagen.“ Sie beschreibt seinen trockenen Humor, mit dem er gegen die konservative Rechte in den USA austeilte und alleine schon mit den von ihm verwendeten Materialien „George Bush, dem US-Militär und der gesamten Schwerindustrie mit ihrer maskulinen Ausrüstung den Mittelfinger zeigte“.
Mike Kelley, der ewige Teenager, ein Punk beim Handarbeiten... auch er stellte sich die unausweichliche Frage: Welchen Stellenwert hat die Kunst im und für das Leben?
Mike Kelley. Ghost and Spirit, Düsseldorf Kunstsammlung NRW K 21, bis 8. September 2024, dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr