Guido Maria Kretschmer im Interview„Kleidung ist die Haut der Seele“
Köln – Modedesigner Guido Maria Kretschmer spricht im Interview über seinen ersten Roman „Das rote Kleid“, Size-Zero-Models und den Erfolg von „Shopping Queen“.
Herr Kretschmer, Sie haben bereits zwei Sachbücher geschrieben. Nun ist mit „Das rote Kleid“ Ihr erster Roman erschienen. Wie kam es dazu?
Ich liebe Geschichten. Damit kann man Menschen besser erreichen, sie berühren. Ich hatte gar nicht die Idee, jetzt einen Roman zu schreiben. Ich hatte das als Geschichte einfach schon so lange im Kopf, dass ich nicht eine Notiz brauchte.
Woher kam denn die Idee?
Ich habe vor zehn Jahren mit Detlev Buck und Katharina Thalbach meinen ersten Kinofilm gemacht: „Hände weg von Mississippi“. Das war eine wunderschöne Zeit. Ich habe mir dann überlegt, was meine Kleider jetzt wohl denken, wenn sie mitbekommen, dass sie plötzlich Kostüme sind. Und da hab ich Detlev und Katharina jeden Abend diese Geschichte erzählt. Und Kathi sagte, du musst das aufschreiben.
Und warum haben Sie es dann gerade jetzt aufgeschrieben?
Ich war auf den Malediven. Aber nach zwei Tagen Sonne fing es an zu regnen, und ich habe mich gefragt, was ich jetzt machen könnte. Auf einmal sah ich am Nachbarhaus einen nassen Bikini hängen und dachte mir, Bademode hat es auch nicht leicht. Wenn sie erzählen könnte, was sie alles erlebt. Und dann hab ich einfach geschrieben.
Kleidung, die lebendig ist – das erinnert ja ein wenig an ein Märchen. Würden Sie dem zustimmen?
Ja, das stimmt. Es ist eine textile Fabel. Ich habe auch bei allen Zeichnungen sehr darauf geachtet, nicht zu menschlich zu zeichnen. Ich wollte der Fantasie freien Raum geben. Es ist auch ein bisschen wie ein Film angelegt. Man könnte es perfekt verfilmen, wie in einer von Disney gezeichneten Welt.
Was gefällt Ihnen an der Idee, Kleider zum Leben zu erwecken?
Es geht um meine Verbindung zu Textilien. Ich möchte, dass man nach dem Lesen seine Kleidung nicht mehr einfach achtlos wegschmeißt. Der Leser wird ein anderes Verhältnis zu den eigenen Sachen bekommen. Denn Textilien werden jeden Tag von uns getragen, sind aber zu Massenartikeln verkommen. Dabei sollte doch jedes Teil die Chance haben, Lieblingskleid zu sein.
Ist Ihr Roman auch ein Appell gegen Billigmode?
Kleidung ist so austauschbar geworden. Man denkt ja, so ein Fummel ist schnell gemacht. Aber daran saß auch ein Mensch. Das ist vielen gar nicht mehr bewusst. Wenn ich früher etwas Neues bekam, war ich geradezu high. Ich habe nachts in meinen Klamotten geschlafen, sie aufs Bett gelegt, fest gehalten. Ich hätte schreien können vor Glück. Und auch heute noch würde ich niemals Klamotten auf den Boden werfen, das habe ich mein ganzes Leben lang nicht getan. Ich wollte, dass Menschen wieder achtsam werden mit ihrer Kleidung. Kleidung ist die Haut der Seele, das muss man Menschen beibringen.
Was sagen Sie Menschen, für die Kleidung nur Fassade ist?
Das ist Quatsch. Kleidung ist ein nonverbaler Weg zu erzählen, wer man ist. Man sollte Kleidung nicht überbewerten, aber sie ist auch Kunst und Sozialpflege. Richtig angezogen zu sein, kann eine Tür öffnen, kann vor den Blicken der anderen behüten, beschützen, kann auch sagen: Hier bin ich. In einem tollen Fummel kann man den Menschen des Lebens treffen oder die Welt retten. Wir sagen mit unserer Kleidung ja zum Beispiel auch: Ich trauere um dich. Wenn ich auf eine Beerdigung gehe, dann trage ich schwarz, weil ich zeige, dass ich traurig bin und in der Masse aufgehe. Mit Textilien kann man sagen, dass man dazu gehört. Ich lasse das nicht stehen, wenn Menschen sagen, Textilien seien überbewertet.
Schauen Sie denn bei Menschen zuerst auf die Kleidung?
Ja, aber es ist nicht so, dass ich bewusst bewerte. Ich kann mich bloß nicht trennen von Textilien. Sie erzählen mir sofort eine Geschichte. Ich weiß dann ein bisschen darüber, wer die Leute sind, was sie tun, wer bei ihnen zu Hause auf dem Sofa sitzt. Diese kleinen Zeichen sind für mich wie offene Bücher.
Funktioniert das deshalb so gut mit Ihnen und „Shopping Queen“?
Ich bewerte im Fernsehen aus Freude. Der Erfolg von „Shopping Queen“ hängt damit zusammen, dass ich die gute Freundin bin, die verbalisiert, was andere nur denken. Aber mir ist wichtig zu zeigen: Ich mache mich nicht über dich lustig. Ich lasse dir die Freiheit das zu tun, was du tun willst. Denn Kleidung ist die letzte Freiheit, die wir haben. Man kann alles tun und alles sein. Wir sollten sie nutzen.
Ich stand kürzlich in einer Umkleide, und nebenan sagte eine Frau zur anderen: „Guido würde jetzt sagen: Das tut nichts für dich.“
Das ist amüsant. Ich weiß natürlich, dass sich Frauen mit mir verbunden fühlen, weil ich sie wertschätze. Ich bin kein Designer, bei dem man eine Superbraut sein muss. Ich kann mich für Unterschiedlichkeiten begeistern. Da muss man keine Größe 36 haben. Ich kann auch dicke Beine gut finden, und wenn eine damit gut wackeln kann, dann sag ich das auch. Es geht darum, sich anzunehmen. Und es ist wichtig, dass auch ich als Designer das immer wieder sage.
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Wie stehen Sie denn zu der Frage, ob Designer Size-Zero-Models buchen sollten?
Ich weiß, dass es Size Zero gibt. Und es gibt auch Frauen, die sind von Haus aus so. Gerade junge Mädchen sind einfach mit 13, 14 oft sehr dünn. Da kann ich nicht sagen, du kannst kein Model werden, weil du so schmal bist. Aber ich buche keine Mädchen, wenn sie hauchdünn sind und ich sehe, dass sie krank sind. Da kommen manchmal Mädchen zum Casting, die kaum noch stehen können. Dann nehme ich sie sofort zur Seite und sage: ich verspreche dir, ich buch dich beim nächsten Mal, dann musst du aber fünf Kilo mehr haben. Und manchmal schaffen sie das. Ich würde nie eine Verhungerte nehmen. Aber es geht ja nicht darum, ob ich Size Zero Horror finde. Man ist weder automatisch toll, wenn man dick noch wenn man dünn ist. Die Gesellschaft muss einfach zeigen, dass andere Sachen wichtiger sind als die äußere Form.
Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Kritik an „Germany’s Next Topmodel“? Es gibt ja jetzt auch die Bewegung „Not Heidi’s Girl“ von Mädchen, die da nicht mitmachen wollen.
Das ist ja eine Show. Ich kenne Mädchen, die mitgemacht haben und dort eine tolle Zeit hatten. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass Mädchen sagen, dass sie davon genug haben. Wichtig ist, dass die Message sein muss, dass man frei ist. Junge Menschen dürfen ruhig auch mal ein bisschen moppelig sein. Ich kenne sehr viele moppelige Mädchen, die sehr erfolgreich durchs Leben gehen und tolle Männer haben. Man muss das an sich mögen. Jeder hat seine Form.