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Die besten Alben 2021Warum das Musikjahr weiblich war

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Tia Cabral alias Spellling

Köln – Vor zehn Jahren beklagte der Pop-Theoretiker Simon Reynolds in „Retromania“ die Ewige Wiederkunft des Gleichen in der Musik. Wenn Pop, als Musik zur Zeit, nur noch zurückblickte, war das dann ein Ausdruck unserer Unfähigkeit so forsch voranzuschreiten, wie etwa noch in den extrem beschleunigten 1960ern? Aber Stillstand ist meistens eine Illusion, gerade jetzt rasen Sie und ich zum Beispiel mit 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne. Am Ende des Lockdownjahres 2021 wollen wir deshalb noch einmal bekräftigen, dass sie sich doch bewegt, die Popmusik.

Die besten Alben des Jahres – freilich nur meiner subjektiven Meinung nach – stammen nämlich samt und sonders von Künstlerinnen. Das hätten die sonst so Utopie-freundlichen Sixties für Zukunftsmusik gehalten.

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Cassandra Jenkins

10. Cassandra Jenkins „An Overview On Phenomenal Nature“

2021 war das Jahr des Sprechgesangs: Rebecca Taylor alias Self Esteem rezitiert ihre Strophen in „I Do This All the Time“ mit unverhohlener Wut. Und Florence Shaw, die Nicht-Sängerin der britischen Band Dry Cleaning, spricht allen Stadtneurotikern und Social-Media-Opfern in Albumlänge aus der Seele. Cassandra Jenkins‘ Monolog in „Hard Drive“, der zentralen Song ihres zweiten, ansonsten übrigens gesungenen Albums, wirkt dagegen wie kühles, klares Wasser. Die New Yorker Singer-Songwriterin reiht eine Reihe von Zufallsgesprächen aneinander: Eine Museumswärterin, ein Hotelbuchhalter, ein Fahrlehrer und ein Medium teilen kleine Weisheits-Krümel mit ihr – und Jenkins fügt sie zu einem ungewöhnlich gehaltvollen Glückskeks zusammen. „An Overview On Phenomenal Nature“ erzählt von Trauer, aber auch von der Hoffnung am Ende dieses Prozesses.

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Adele

9. Adele „30“

Das Scheidungsalbum der schmerzensreichen Adele Adkins ist zugleich ihr abenteuerlustigstes. Endlich wagt sie sich auch einmal links und rechts des ausgetretenen Pfades. Stimmlich muss sie eh niemanden etwas beweisen, inzwischen hat sie auch gelernt, wann man seine Superkraft zurückhalten muss. Und wann man, mit häusereinreißenden Gefühlswallungen, bis zur Orkanstärke aufdrehen kann.

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Japanese Breakfast

8. Japanese Breakfast „Jubilee“

Michelle Zauner, Amerikanerin mit koreanischen Wurzeln, hat 2021 auch ihr erstes Buch veröffentlicht. In „Crying in H Mart“ verarbeitet sie den Krebstod ihrer Mutter mit koreanischen Kochrezepten. Am Ende des Jahres fand man ihr herzzerreißendes und magenfüllendes Debüt auf vielen Bestenlisten. Ebenso wie „Jubilee“, das dritte Album ihres Projektes Japanese Breakfast. Auch darin schlägt ein dunkles Herz, aber es treibt freudenstrahlende Songs an, genau an der Grenze zwischen zaghaftem Indie-Rock und Pop im Sinne von Carly Rae Jepsen.

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Arooj Aftab

7. Arooj Aftab „Vulture Prince“

Auch Arooj Aftabs drittes Album hadert mit der Akzeptanz von Verlust, hier ist es der jüngere Bruder der betrauert wird. Zufall? Oder ist das ein Thema, dass in diesem einsamen Jahr einfach mehr Schwingungen erzeugt? Aftab ist vor rund 15 Jahren aus Pakistan in die USA gezogen, um hier Musik zu studieren. Ihre Musik sucht westliche Anknüpfungspunkte für traditionellen Qawwali-Gesang und Urdu-Literatur und findet sie unter anderem in Minimal Music und Dub-Reggae. Das Ergebnis ist ein Album, dem man am besten im Dunkeln oder nach einer durchwachten Nacht lauscht, wenn einem Arooj Aftabs Gesang direkt ins Herz fährt.

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Indigo de Souza

6. Indigo de Souza „Any Shape You Take“

Eine beengende Beziehung beenden und dann mit den besten Freunden auf die Pauke hauen: Auf ihrem zweiten Album wechselt Indigo de Souza aus North Carolina die Stimmungen so fließend wie die Genres, von Stoner-Rock über 90er-Jahre-Indie bis zu elektronischem R’n‘B. Wo auch immer die die direkteste Leitung zwischen Emotion und Ausdruck liegt. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, aber durchweg mitsing-, nein kreischbar.

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Jazmine Sullivan

5. Jazmine Sullivan „Heaux Tales“

Die Form – bekenntnishafter R’n’B und Neo-Soul – von „Heaux Tales“ ist nicht neu. Aber so virtuos und unverblümt hat man das selten gehört. Jazmine Sullivan spricht all die Frauenthemen an, für die Beyoncé schlicht zu glamourös und zu verheiratet ist. Selbstbestimmte Sexualität klang nie besser.

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The Weather Station

4. The Weather Station „Ignorance“

Die ehemalige Kinderschauspielerin Tamara Lindeman hat mit dem ganz richtig betitelten „Ignorance“ ein sinfonisches Album (man denke an die späten Talk Talk, an Joni Mitchells Jazz-Ausflüge und natürlich auch an Kate Bush) über das Anthropozän geschrieben. Allerdings ohne plakatierbare Slogans, sondern voller Mikro-Beobachtungen, die auch Schönheit in der Klimakatastrophe entdecken.

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Olivia Rodrigo

3. Olivia Rodrigo „Sour“

Olivia Rodrigo war schon mit 13 Jahren ein Disney-Star. Jetzt ist sie gerade einmal 18 Jahre alt und kennt auf „Sour“ nur ein Thema: Ihr Boyfriend hat Schluss gemacht und das ist so unfair. So monothematisch „Sour“ ausfällt, so vielseitig zeigt sich die Songwriterin in seiner musikalischen Umsetzung: Powerballaden, Pop-Punk, Indie-Folk, elektronisch bearbeiteter Grunge-Rock. Und was für Songs! Ohrwurmig, direkt, aber auch ziemlich reflektiert. Zusammen mit den Debüts von Billie Eilish und Britney Spears ist Rodrigo das beste Teen-Pop-Album aller Zeiten gelungen.

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Little Simz

2. Little Simz „Sometimes I Might Be Introvert“

Das vierte Album der britisch-nigerianischen Rapperin Little Simz kann man sich als epische Schlacht vorstellen, zwischen ihrer öffentlichen Persona und der Privatperson Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo, genannt Simbi (das sich zugleich als Akronym des Titels auflösen lässt). Und so klingt es auch: Wie eine gut einstündige Selbsterkundung mit den Produktionsmitteln eines James-Bond-Films. Produziert wurde das Album übrigens vom nun wirklich introvertierten Inflo, dessen Band Sault mit „Nine“ auch eines der besten Alben des Jahres herausgebracht hat und der auch drei der besten Songs auf Adeles „30“ verantwortet.

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Spellling

1. Spellling „The Turning Wheel“

Chrystia „Tia“ Cabral aus Oakland, Kalifornien hatte unter dem Namen Spellling (absichtsvoll falsch buchstabiert) bereits zwei dunkel-funkelnde elektronische Avantgarde-Alben herausgebracht, mit denen sie sich in die erste Riege ihres Labels Sacred Bones Records (Amen Dunes, Zola Jesus und auch David Lynch) einreihte. Aber nichts konnte die Welt auf „The Turning Wheel“ vorbereiten: Eine ekstatische, vielfarbige, LSD-getränkte Disney-Fantasie. Ein Werk, dessen Maximalismus die kargen Pandemiejahre Lügen straft. Es ist nie falsch, mehr zu wollen. Aber dieses Verlangen künstlerisch so formvollendet und doch stets originell einzulösen, das kommt nicht häufig vor.