Pablo Garretons Musiktheaterstück „Transparence“ zeigt in Köln, wie die Musiker hinter ihren Projektionen verschwinden.
Digitales Musiktheater „Transparence“Zeigt man im Internet sein wahres Selbst?
Das Erbgut dieses Kollektivs ist digital. Der Name Electronic ID verweist auf das identitätsstiftende Profil elektronischer Medien. Pablo Garreton hat sein Musiktheaterstück „Transparence“ dem Kölner Ensemble auf den realen und virtuellen Leib geschnitten. In der ehemaligen Werkhalle Rufffactory in Ehrenfeld zeigen sieben große Gaze-Aufsteller digital animierte Netze, die wogende Wellen und Topographien bilden.
Über Lautsprecher verbreiten sich weiche, tiefe Drones zunehmend obertönig und leuchtend im Raum. Dann erscheinen auch die sieben Ensemblemitglieder, doch nicht leibhaftig, sondern nur als Videosamples auf den Projektionsflächen.
Die Musiker stehen hinter ihren Avataren
Schließlich treten die Instrumentalisten doch selbst auf. Ihre Körper werfen Schatten auf die Videos, hinter denen sie anschließend verschwinden. Die Menschen sieht man fortan vor allem auf den Projektionsflächen, eingekastelt wie auf den leuchtenden Displays übergroßer Smartphones. Genau das ist Thema des Stücks für Video, Ensemblemusik und Elektronik: Endgeräte und soziale Medien als Zugänge zur Welt und Schaufenster der Digital Natives.
Im Internet zeigt man sich, wie man gesehen werden möchte. Doch welches Bild präsentiert man? Entspricht dieses der eigenen Identität? Oder bleibt man dahinter verborgen? Welche Diskrepanz besteht zwischen Sein und Schein? Oder zeigt sich das eine im anderen? Gibt es Transparenz?
Ensemble Electronic ID überlagert die Ebenen der Realität
In „Transparence“ durchdringen sich die Realitätsebenen. Man sieht und hört die Musizierenden live spielen und plötzlich schieben sich deren mediale Schatten davor. Beide Dimensionen verbinden sich optisch und akustisch zu analog-digitalen Hybriden. Während die menschlichen Leiber an Raum und Zeit gebunden bleiben, entfalten ihre Avatare auf den Gaze-Wänden ein reges Eigenleben.
Sie vervielfachen sich, blenden sich nach Belieben ein und aus, überlagern sich mit sich selbst, schweben aus dem Bilderrahmen, springen von einem Display zum nächsten, zeigen Makroaufnahmen von sich und den Instrumenten. Die Differenz von Mensch und Abbild ist unverkennbar, selbst bei Live-Übertragungen, da die Videos immer ein paar Zehntelsekunden hinterher hinken.
Pablo Garreton erzeugt ein Symbolbild unserer Zeit
Pablo Garreton fordert das Publikum mehr durch Sehen als Hören. Während sich die Verhältnisse zwischen Musikerinnen und Projektionen ständig ändern, etablieren Liegetöne, Repetitionen und Akzente des Ensembles samt Elektronik bald einen tönenden Status quo. Weniger originell ist auch der zugespielte Text einer KI, die sich fragt, ob sie bloß Werkzeug und Maschine sei, oder auch eigene Identität und Kreativität habe.
Zum Schluss treten die Instrumentalisten hinter den Paravents wieder hervor, um im Strahl der Beamer wie verpixelt zu erscheinen. Nach endgültigem Abtreten bleiben ihre medialen Abbilder noch präsent, bis sich auch diese im digitalen Flackern von Schwarz-Weiß, An-Aus, Null-Eins pulverisieren. Ein Symbolbild unserer Zeit: Das Internet hat´s gegeben, das Internet hat´s genommen.