Nachruf auf Hagen LiebingDer Mann, dem schlechte Musik Zornesröte ins Gesicht trieb

Hagen Liebing war jahrelang Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Tennis Borussia Berlin.
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Eine Weile lang hatte ich das Vergnügen, das Redaktionshaus mit ihm zu teilen: Hagen Liebing saß im siebten Stock des Berliner Verlags am Alexanderplatz und arbeitete als Musikredakteur beim Stadtmagazin Tip; ich fuhr aus dem zwölften Stock oft zu ihm hinunter, um Schallplatten von ihm zu leihen und mit ihm zu diskutieren. Er besaß eine geradezu enzyklopädische Kenntnis der Rockmusik und warb leidenschaftlich für Künstler, die ihm am Herzen lagen, gleich ob populär oder obskur.
Viele Platten, die mich bis heute begleiten, hätte ich ohne ihn niemals kennengelernt. Seine Jugend hatte er in der Punkszene von West-Berlin verbracht. Deren besondere Paarung von Wut und Witz, von politischem Sendungsbewusstsein und Selbstironie prägte bis zuletzt sein musikalisches Weltbild. Und seinen Stil, der im direkten Gespräch ebenso angenehm und subtil war wie in seinen Texten.
Karriere als Musiker begonnen
Bei allem Hang zur Zurückhaltung und zu gelassenem Auftreten war Hagen Liebing ein überaus geistreicher, witziger Mensch; wobei ihm schlechte Musik insbesondere von New-Wave-Epigonen auch schon mal die Röte des Zorns ins Gesicht treiben konnte. Jedenfalls war er einer, von dem man viel lernen konnte; lediglich mit seinen wiederholten Versuchen, mich von den künstlerischen Qualitäten von Rammstein zu überzeugen, ist er erfolglos geblieben.
Geboren 1961 in Berlin, hatte er seine Karriere eigentlich als Musiker begonnen. Mit dem heutigen Swans-Gitarristen Kristof Hahn spielte er in der Neo-Western-Band The Nirvana Devils. Von 1986 bis zu ihrer vorübergehenden Auflösung 1988 bediente er den Bass bei der Gruppe Die Ärzte, von der passend zum Titel bis auf den heutigen Tag indizierten EP „Ab 18“ bis zu dem Album „Nach uns die Sintflut“.
Bei dem legendären Abschiedsauftritt der Ärzte im Kursaal von Westerland auf Sylt war er zum letzten Mal als Bandmitglied mit dabei, diese Episode in seinem Leben hat er später in dem schönen Buch „The Incredible Hagen – Meine Jahre mit Die Ärzte“ verarbeitet. Danach hat er nur noch gelegentlich als Gastmusiker gewirkt, etwa 2002 auf einer Benefiz-Single für seinen Fußballverein Tennis Borussia, für den er bis 2010 auch als Pressesprecher wirkte.
Er widersetzte sich jedem Service-Diktat
Hauptberuflich wandte Hagen Liebing sich aber seit Ende der Achtzigerjahre dem Musikjournalismus zu, er schrieb für den Tagesspiegel und den Rolling Stone und ging schließlich als Redakteur zum Tip. Mit den Autorinnen und Autoren, die er dort um sich versammelte, betrieb er ein zweiwöchentliches Pop-Feuilleton, das in Umfang, Qualität und kritischem Gestus weit über alles hinausging, was man in Stadtmagazinen sonst findet. Er widersetzte sich jedem Service-Diktat, das die wechselnden Verlagsbesitzer ihm aufzwingen wollten; er pflegte die Tradition und förderte das Neue und bot - keine leichte Aufgabe im unübersichtlichen Berlin - immer eine Perspektive auf das ganze musikalische Leben der Stadt.
Mit seiner Frau, der Radio-Eins-Musikchefin Anja Caspary, bildete er das schönste Paar, das man im Nachtleben antreffen konnte. Am Sonntag ist Hagen Liebing im Alter von 55 Jahren gestorben.