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Zum Tod von Paul AusterFür ihn war Schreiben eine Frage des Überlebens

Lesezeit 4 Minuten
Paul Auster

Paul Auster ist am Dienstag im Alter von 77 Jahren gestorben.

Er war Charismatiker durch und durch - und natürlich New Yorker, mit Leib und Seele. Nun ist der weltbekannte Schriftsteller Paul Auster gestorben. Ein Nachruf.

So etwas nennt man eine „Furie des Verschwindens“: Ein Autor namens Quinn wird für einen Privatdetektiv gehalten, der auf den Namen Paul Auster (!) hört. In dieser Rolle – als Auster – übernimmt er den Auftrag, jemanden zu überwachen, der von seinem Sohn beargwöhnt wird, ihm – dem Sohn – nach dem Leben zu trachten. Quinn heftet sich an die Fersen dieses Vaters. Umsonst, denn dieser hat sich, von Quinn unbemerkt, längst da Leben genommen. Aber auch der Auftraggeber ist eines Tages verschwunden, und Quinns während der Observation nicht mehr benutzte Wohnung wurde geräumt und anderweitig vermietet. Eine Auslöschung zieht die andere nach sich.

Ein magisches schwarzes Loch tut sich auf in Paul Austers Roman „Stadt aus Glas“, der seine legendäre New-York-Trilogie (1986 abgeschlossen) eröffnet. Tatsächlich wird hier auch der Lebensform der Ostküstenmetropole ein Denkmal gesetzt. Das Unerklärliche, das Fantastische tut sich auf in einer hyperrealistisch gezeichneten Umgebung, die – im deutschen Literaturraum an Hoffmann und Kafka erinnernde – Zersetzung der Wirklichkeit ereignet sich in deren Mitte.

Der Genredefinition zufolge lassen sich die Bücher der Trilogie als Krimis bezeichnen, und in der Tat bleiben sie, was Thrill und Drive anbelangt, keine Erwartungen schuldig. Aber die Einkehr in den Hafen eines Happy End verweigert der Autor. An die Stelle der beruhigenden Auflösung eines Rätsels tritt dessen Verschärfung: Der Krimi wird zu einer abgründigen Studie über die Lesbarkeit der Welt, über die verschwimmenden Grenzlinien von Fiktion und Realität.

Paul Auster: Autorschaft wird zum Problem

Nicht zuletzt wird Autorschaft als solche zum Problem: Wer schreibt eigentlich das Buch, wenn der Autor selbst – als „er“ – in der Handlung auftritt? Liest man diese Texte heute, fällt es immer noch schwer, sich ihrem atmosphärischen Sog zu entziehen. Und völlig einsichtig wird, dass der Verfasser damals schlagartig weltberühmt wurde. Der Autor ist übrigens keine Fiktion – was angesichts der ungesicherten Existenz etwa eines Thomas Pynchon, eines anderen Großen der amerikanischen Gegenwartsliteratur, keine ganz triviale Feststellung ist.

Aber in diesem Fall waltet keine Furie des Verschwindens, Paul Auster gibt es. Hat es gegeben, muss man jetzt traurig feststellen. Denn am Dienstag ist er 77-jährig im New Yorker Stadtteil Brooklyn gestorben, an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung, die seine Ehefrau, die Autorin Siri Hustvedt, vor zwei Jahren öffentlich gemacht hatte.

Geboren wurde Auster als Sohn jüdischer Einwanderer in Newark in der Nähe von New York. Er studierte Literatur in New York und Frankreich und hielt sich erst einmal mit Lehraufträgen und Übersetzungsarbeiten über Wasser. Schon als Teenager hatte er Schriftsteller werden wollen, der Durchbruch kam aber, wie gesagt, erst mit der New-York-Trilogie. Er habe immer, bekundete Auster, langsam geschrieben. Erst Entwürfe mit der Hand, dann fertige Manuskripte mit der Schreibmaschine. Eine Seite schaffe er so etwa pro Tag: „Zwei, wenn ich Glück habe, manchmal auch nur eine halbe. Aber wenn man dranbleibt, läppern sich die Seiten.“

Das Bekenntnis erstaunt ein wenig, denn auf diese Weise kamen mehr als 30 Bücher zusammen (die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden). Etliche Bestseller waren darunter, so die Romane „Mond über Manhattan“, „Mr. Vertigo“ und „Das Buch der Illusionen“. Vom Schreiben sei er besessen, pflegte Auster zu sagen: „Schreiben ist für mich kein Akt des freien Willens, es ist eine Frage des Überlebens.“ Gleichzeitig war das Schreiben aber auch ein ständiger Kampf für ihn: „Es ist das Härteste, was ich mir vorstellen kann.“

An der literarischen Technik konnten man einen Paul Auster stets erkennen

Dem Ergebnis ist das nicht anzumerken, Auster schrieb eine elegante, geschmeidige Prosa, in der hin und wieder sogar ein paar Ecken und Kanten zu fehlen scheinen. Sie balanciert gleichsam die Düsternis vieler seiner Sujets aus: Da geht es immer wieder, wie schon in der Trilogie, um gebrochene, zerrüttete Charaktere, die sich in den Abgründen der eigenen Identität verlieren. Gut möglich, dass da auch ein Stück weit die Lebensprobleme des Autors Gestalt annahmen.

Nicht nur daran, sondern auch an der literarischen Technik konnte man einen Auster stets erkennen. Exemplarisch sei in diesem Sinne „Unsichtbar“ von 2010 erwähnt, einem im Umfeld der Studentenrebellion von 1967 situierten Roman. Der stellt sich strukturell als russische Puppe in Wortkunst dar: Fiktionsebenen werden ineinander verschachtelt, es geht um Geschichten über Geschichten über Geschichten, fließende Erzähleridentitäten. Ein Festival postmoderner Selbstreferenzialität. Auster blieb bis zuletzt am Ball.

In den Jahren vor seinem Tod wurden mehrere Werke veröffentlicht. Der mehr als 1000 Seiten lange Roman „4 3 2 1“ von 2017 beispielsweise. Austers letzter Roman mit dem Titel „Baumgartner“ erschien im November – er handelt von einem um seine Frau trauernden Witwer.