Nachruf zu Jean-Paul BelmondoEin Tunichtgut, den man bewundern musste
Köln – Wie man sterben sollte, das hat Jean-Paul Belmondo gleich in seinem ersten großen Filmerfolg vorgeführt. „Du bist wirklich zum Kotzen“, fährt er als in den Rücken geschossener Kleinkrimineller die unirdisch schöne – aber verräterische! – Jean Seberg an. Dann schließt er sich selbst die Lider und stirbt, cool und rotzig bis zuletzt.
Ein Polizistenmörder und Tunichtgut, den man doch nicht anders als bewundern konnte, für eine Schönheit, die gängige Ideale und Moralvorstellungen mit einem Schulterzucken hinter sich ließ.
Jean-Paul Belmondo wurde mit 26 zum Star
Belmondo war 26 Jahre alt, als er in Jean-Luc Godards „Außer Atem“ (1959) zum Star wurde und die Nouvelle Vague auslöste; die Welle, die Opas Kino hinfortspülen wollte. Raus aus den Studios, hinein ins pralle Leben. Der Sohn des sizilianischstämmigen Bildhauers Paul und der Tänzerin Madeleine Belmondo war ihr idealer Protagonist. Ein Gesicht, wie gemeißelt, doch mit der Körpersprache eines Zirkusartisten. Oder eines Clowns.
Jetzt ist er also wirklich tot, im Alter von 88 Jahren ruhig entschlafen, wie die AFP Belmondos Anwalt Michel Godest zitiert. Seit einiger Zeit sei er sehr erschöpft gewesen. Endgültig außer Atem. Mit ihm stirbt auch ein europäisches Kino, in dem sich Avantgarde und Populismus nicht nur nicht ausschlossen, sondern sogar bedingten.
Denn während er dem von ehemaligen Filmkritikern erdachten neuem Kino – das zunächst nur auf dem Papier aufrührerisch war – Körper, Elan und Starglanz verlieh, hielt er gleichzeitig, in einem waghalsigen Alleingang, den guten, alten Abenteuerfilm am Leben.
So arbeitete er gleichzeitig an der Dekonstruktion des in die Jahre gekommenen Mediums und führte es zurück zu seinen Anfängen in Jahrmarktsbuden. Er malte sich in Technicolorblau an, wickelte sich eine Reihe Dynamitstangen um den Kopf und sprengte sich spektakulär in die Luft: Nein, das war kein Slapstick, sondern Godards und Belmondos dritte gemeinsame Arbeit „Elf Uhr nachts“ von 1965, der Originaltitel „Pierrot le fou“ verweist auf das Clowneske dieses Ausbruchs aus biederer Bürgerlichkeit.
Der musste nicht zwingend tragisch enden: Für den Regisseur Philippe de Broca warf sich Belmondo in Mantel und Degen, raubte als „Cartouche, der Bandit“ (1962) den Reichen, was er den Armen gab, oder stürzte sich noch überschwänglicher in ein „Abenteuer in Rio“ (1964), vollgepfropft mit Verfolgungsjagden, geheimnisvolle Inka-Statuen, megalomanischen Architekten, Wasserflugzeugen, Massenschlägereien und circensischen Waghalsigkeiten, die Belmondo selbstredend keinem Stuntman überließ.
Franzosen nannten Jean-Paul Belmondo liebevoll Bében
Er musste es ja selbst sein, der stellvertretend für uns Zuschauer im Dunkeln zwischen schwindelerregenden Abgründen und einander widersprechenden Denksystemen balancierte: Eine Ikone der Moderne (und der nicht so geheime Vorläufer von George Lucas’ und Steven Spielbergs Indiana Jones).
Seine Landsleute riefen ihn liebevoll Bébel, worin sich ja ein „bébé“ versteckt, das man kosend beschützen will. Der französische Präsident Emanuel Macron würdigte ihn in einer ersten Reaktion auf sein Ableben als „nationalen Schatz“: „In ihm haben wir uns alle wiedergefunden.“ Und doch war Jean-Paul Belmondo nicht einfach nur ein so anbetungswürdiger wie nahbarer Star, sondern auch ein großer Schauspieler.
Nach seinem Abschluss am Pariser Konservatorium verdingte sich Belmondo zunächst als schlecht bezahlter Tourneeschauspieler, mit so einer Knautschvisage wie der seinen, sagte man ihm damals, könne er unmöglich zum Film gehen. Ein Alain Delon würde er nie werden. Aber dann veränderte sich eben das Filmschaffen und Belmondos Boxernase wurde zum Schönheitsideal: Hier war ein Mann, der der rauen Wirklichkeit sein Gesicht entgegenhielt.
Jean-Paul Belmondo erlitt 2001 schweren Schlaganfall
In der zu seinem Tod veröffentlichten Erklärung schreibt seine Familie: „Er ist gegangen, um seine alten Komplizen vom Konservatorium wiederzutreffen. Sein ehrliches Lächeln wird immer da sein.“
Der Schauspieler kam vor dem Star: Jean-Pierre Melville besetzte ihn in „Eva und der Priester“ aus dem Jahr 1961 als Pfarrer, der während der deutschen Besatzung einer schönen Kommunistin die Beichte abnimmt. Selbstredend verliebt sie sich in den Geistlichen mit der weltlichen Boxernase; doch Belmondo bleibt standhaft, hilft selbstlos, wo Not ist – und führt die Abspenstige schließlich in den Schoß der Kirche zurück. Das hätte man dem jungen Gangster gar nicht zugetraut, aber der tiefe Ernst von Belmondos Darstellung bekehrt auch das Publikum.
Später, als er burschikoses Draufgängertum nicht mehr glaubhaft verkörpern konnte, gab er in Filmen wie „Der Greifer“ (1976), „Der Puppenspieler“ (1980) und „Der Profi“ (1981) abgefeimte Ganoven und Geheimagenten, Männer, auf die man sich in jeder Situation verlassen konnte.
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Erst spät, nach seinem schweren Schlaganfall im Jahr 2001, sah man ihn auf der Leinwand als alten, gebrochenen Mann. „Ein Mann und sein Hund“ (2008), war ein Remake von Vittorio de Sicas „Umberto D.“, aber der Film floppte; niemand wollte Bébel als vom Leben abgeschobenen Wohnungslosen im Kino sehen. Ihn, der doch das Leben selbst war, ein Tanz, ein Spruch und eine geballte Faust.