Nachruf auf DJ AviciiNur in der Musik von Last befreit
Köln – Wer den Buddhismus nur als freundliche Lifestyle-Religion wahrnimmt, wird sich vielleicht wundern, dass auch die Lehre des Siddhartha Gautama eine Unterwelt kennt. Die bietet eine besonders hoffnungslose Alternative zum Nirwana: Auch, wer sich in der untersten Ebene dieser Hölle findet, hat den Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt durchbrochen, hier muss er ewig bleiben.
Avici, „ohne Wellen“, heißt dieses Kellergeschoss des menschlichen Daseins, und es ist schon bemerkenswert, dass sich der junge schwedische DJ Tim Bergling diese Bezeichnung als Künstlernamen ausgesucht hat. Er fügte ihr nur ein zweites „i“ hinzu. Avicii, das klang so hell und freundlich, wie die Musik, die Bergling fortan veröffentlichte. Tracks wie „Levels“, „I Could Be the One“ oder „Wake Me Up“ schienen noch die dunkelsten Winkel in warmes Licht zu tauchen.
Musizierte mit Madonna
Hatten sich Generationen von Elektronik-Produzenten vor Avicii mit jakobinischem Eifer an den feinen Unterschieden abgearbeitet – als könnte das richtige Tempo einer Bassdrum über Erlösung und Verdammung entscheiden –, pflegte Bergling eine All-Inclusive-Politik. Er kombinierte Folk- und Country-Melodien mit House-Rhythmen, musizierte mit Madonna und Coldplay, ließ Soul-Sänger wie Aloe Blacc, Mainstream-Größen wie Robbie Williams und Jon Bon Jovi, Pop-Punker wie Green Days Billie Joe Armstrong für sich singen.
War einst die Abgrenzung eines der Hauptmotive des Pop, repräsentierten DJs und Produzenten wie Avicii das neue Konsens-Gefühl der Social-Media-Generation. In den USA wurde elektronische Tanzmusik endlich massentauglich. Avicii und seine Kollegen lockten Hunderttausende Feierwillige auf Festivals, mehr als jede Rockband: ein Millionengeschäft. Und Bergling war mit seinen hohen Wangenknochen und blonden Haaren das Aushängeschild.
Eng getakteter Tourplan
Dementsprechend eng getaktet war sein Tourplan, oft absolvierte er zwei Sets pro Nacht. Hinterm DJ-Pult fühlte er sich wohl, im Studio und vorm Computerbildschirm noch wohler, doch das grelle Rampenlicht vertrug sich nicht mit dem hoch empfindlichen Gemüt. Wie 25 Jahre vor ihm Kurt Cobain flüchtete er sich in selbstzerstörerische Verhaltensmuster. Kaum 23 Jahre alt entzündete sich seine Bauchspeicheldrüse als Folge von Alkoholmissbrauch, zwei Jahre darauf musste er sich Blinddarm und Gallenblase entfernen lassen, hatte 20 Kilo abgenommen. Er zog sich vom Tourleben zurück.
Vergangenen Freitag starb Avicii in einem Hotel in Maskat, der Hauptstadt des Oman, wo er sich eine Auszeit nehmen wollte. Er wurde nur ein Jahr älter als der Nirvana-Sänger. „Ich habe versucht die Last der Welt zu tragen“, heißt es in „Wake Me Up“, „aber ich habe nur zwei Hände.“ Nur in seiner Musik war er von dieser Last befreit, konnte er die Schönheit des Augenblicks feiern. Hoffen wir, dass Tim Bergling nun dem Kreislauf des Leidens entkommen ist.
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