Guillermo Del Toro hat seine eigene Pinocchio-Version auf die Leinwand gebracht. Mystischer und dunkler als zuvor taucht der Zuschauer diesmal ins faschistische Italien der 1930er Jahre ab.
Willkommen im faschistischen ItalienDieser Pinocchio ist nichts für Kinder
Braucht die Welt wirklich einen weiteren Pinocchio-Film? Dies dachten wohl zahlreiche Menschen, als Netflix im Januar dieses Jahres ankündigte, eine Neuverfilmung des Kinder-Klassikers von Carlo Collodi in Arbeit zu haben.
Der Disney-Film von 1940 gilt nach wie vor als die bekannteste Verfilmung der Geschichte rund um Meister Gepetto und seiner Holz-Puppe. Weitere Verfilmungen, mit Martin Landau oder Roberto Benigni, konnten bei Weitem nicht an den Erfolg des Disney-Vorbilds anknüpfen.
Außerdem erschien erst vor Kurzem bei Disney Plus ein weiterer Versuch, Pinocchio auf die Leinwand zu bringen. Obwohl Altmeister Robert Zemeckis Regie führte und Tom Hanks gleich mit im Schlepptau hatte, sind die Kritiken vernichtend. Steht Netflix mit seiner eigenen Pinocchio-Version also vor einer unüberwindbaren Hürde?
Zumindest auf dem Regiestuhl saß jemand, der nicht nur auf den ersten Blick wie gemacht für diese Herausforderung war: Guillermo Del Toro. Ob „Shape Of Water“ oder „Pans Labyrinth“. Der Großmeister des fantastischen Kinos hat schon oft bewiesen, dass er märchenhaftes Kino kann. Doch Del Toro versteht auch finsteres und bedrückendes Kino.
Und somit wird klar: Guillermo Del Toros „Pinocchio“ ist mehr als nur ein einfaches Remake der bekannten Geschichte. Viel mehr steckt in der Netflix-Produktion eine eigene mystische Version. Und auch wenn der wunderschöne Stop-Motion-Look es auf den ersten Blick vermuten lässt – dieser „Pinocchio“ ist kein Kinderfilm.
Netflix-Pinocchio: Faschistisches Setting erinnert an Chaplin und Brooks
Del Toro verfrachtet die Original-Geschichte ins faschistische Italien der 1930er Jahre. Benito Mussolini, der Duce del Fascismo regiert das Land mit diktatorischer Hand. Gepetto (gesprochen von David Bradley) hat seinen Sohn Carlos im Rahmen des Ersten Weltkriegs verloren. Seitdem lebt der Holzschnitzer zurückgezogen in seinem Haus und hat es noch nicht mal fertiggebracht, das Kreuz in der ortsansässigen Kirche fertig zu schnitzen.
Eines Tages ist er so von seiner immer noch tief sitzenden Trauer überwältigt, dass er sich eine Holzfigur schnitzt, die seinem Sohn ähnlich sieht. Höhere Mächte sorgen schließlich dafür, dass Pinocchio zum Leben erwacht. Schon bald trifft die fröhliche Puppe auf den zwielichtigen Zirkusdirektor Graf Volpe (Christoph Waltz) und den regimetreuen Regierungsbeamten Podesta (Ron Perlman). Beide haben ihre eigenen Pläne mit Pinocchio.
Das politisch aufgeladene Setting spielt Del Toros Pinocchio in die Karten. So funktioniert der etwas unter zwei Stunden lange Streifen nicht nur als Märchen, sondern auch als rekonstruierendes Aufarbeiten der damaligen faschistischen Zeit.
In einigen seiner überspitzt dargestellten Momente erinnert Pinocchio an Parodien wie „Der Große Diktator“ oder „The Producers“ von Mel Brooks. Hinter all dem Pointierten und Schwarzhumorigen steckt aber vor allem auch eins: Eine strikte politische Ideologie aus der Sicht eines Kindes. Dies hat in Del Toros „Pans Labyrinth“ schon hervorragend funktioniert – es funktioniert auch in „Pinocchio“.
Neuer Film von Guillermo Del Toro: Tod und Trauer werden in „Pinocchio“ zum Thema
Neben der bedrohlich wirkenden politischen Ebene werden in „Pinocchio“ fast beiläufig auch Themen wie Existenz, Trauerbewältigung und Tod abgehandelt. Ein Hindernis so groß, dass es wahrlich nur von Del Toro gemeistert werden konnte.
Zu all den düsteren Motiven gesellen sich aber auch – wie man es von Pinocchio erwartet – Slapstick-Einlagen, bei denen vor allem die Grille Sebastian J. Cricket (Ewan McGregor) im Vordergrund steht. Das kleine Wesen dient aber nicht ausschließlich als lustiger Sidekick, sondern auch als Erzähler und weiser Ratgeber. Zwar wechselt die Erzählperspektive manchmal etwas schlagartig, dennoch tut das dem Verständnis und der Nachvollziehbarkeit der Geschichte keinen Abbruch.
Und auch die typischen Pinocchio-Elemente dürfen nicht fehlen. Ja, die Nase der Holzpuppe wird immer länger, wenn er lügt. Dieser Aspekt sieht nicht nur herrlich natürlich aus, er dient im Finale des Films im wahrsten Sinne als auch Brücke, um die Story letztlich zu Ende zu bringen. Wer das Disney-Vorbild kennt, wird auch hier immer wieder Momente erkennen, die sich Del Toro zum Vorbild nahm. Um schließlich seine eigene, herzerwärmende Geschichte zu erzählen. Perfekt für die Weihnachtszeit!