Das Kölner Theater- und Zirkuspädagogische Zentrum Latibul plant für 23 Millionen Euro einen Neubau am Rhein - die Hälfte des Geldes übernimmt der Bund. Gleichzeitig drohen Kürzungen der Stadt Köln.
Neubau für Kölner Zirkus- und TheaterprojekteEhrgeizige Pläne in schwierigen Zeiten
„Latibule“ ist ein altes englisches Wort für einen kleinen Unterschlupf, an dem man dem Alltag entfliehen kann. So klein ist dieser Ort in Köln aber gar nicht - das Theater- und Zirkuspädagogische Zentrum Latibul führte vor drei Jahren zwei Einrichtungen desselben Trägervereins zusammen: das 1981 gegründete Theaterpädagogische Zentrum TPZ und den im Jahr darauf ins Leben gerufenen Kinder- und Jugendzirkus Wibbelstetz.
Noch wird Theater von und für Kinder und Jugendliche in kleinen Räumlichkeiten in der Genter Straße gespielt, während sich die zirzensischen Aktivitäten auf den ehemaligen Riehler Freibadwiesen direkt am Rhein auf zwei Zelte verteilten. Das soll sich in naher Zukunft ändern. Die kleine Zuflucht hat große Pläne. Auf dem Gelände am Rheinufer soll ein großer Holzrahmenbau sämtlichen Aktivitäten des Latibul ein Dach bieten. Ein zwölf Meter hohes Dach, mit zahlreichen Hängepunkten für Luftakrobatik.
Ein ehrgeiziger Plan, der kombinierte Zirkus- und Theaterbau kostet zwar nur einen Bruchteil der Kölner Bühnensanierung, aber 23 Millionen Euro müssen ja auch irgendwo herkommen. Vor zweieinhalb Wochen entschied der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Mittelvergabe des Förderprogramms „KulturInvest 2024“. Rund 21,8 Millionen Euro sollen in Kölner Projekte fließen und mehr als die Hälfte des Geldes – stolze 11,6 Millionen Euro – geht an das Latibul.
Zuerst, erzählt Eva Adorjan, seit fünf Jahren Geschäftsführerin des Latibul, habe sie sich noch gescheut, den Antrag an „KulturInvest“ zu stellen, schließlich zahlt der Bund nur die Hälfte der Baukosten. „Dann haben wir viele Gespräche über unser Vorhaben geführt, mit möglichen Stiftungen, Investoren und Banken – und die Resonanz war außerordentlich positiv.“ Vor allem das Argument, dass es an der Zeit sei, die kulturelle Bildung aus den Hinterhöfen herauszuholen, in die sie größtenteils verbannt wurde, habe die potenziellen Unterstützer überzeugt. „Das war vielleicht in den 70ern oder 80ern sexy“, sagt Adorjan, „aber heute wenden wir uns an Menschen, die sozial am Rande der Gesellschaft stehen, die traumatisiert sind, die Geflüchteten-Hintergründe haben. Denen sollten wir mit einem Ort begegnen, der zeigt, was wir als Gesellschaft erwarten und transportieren.“
Tatsächlich sehe es jetzt so aus, als könnte das Latibul die Hälfte des Geldes für den Bau aufbringen - für das letzte Drittel hofft Adorjan auf das Land NRW, mit dem sie jetzt Gespräche führen will: „Eine Bundesförderung in der Größenordnung, das ist schon ein krasses Statement für die Brückenfunktion der kulturellen Bildung. Das sollte auch auf der Landesebene zu denken geben.“ Das neue Haus sei eine langfristige Investition, sie soll die Einrichtung in die nächsten 50 Jahre führen. Die beiden alten Zirkuszelte auf den Rheinwiesen halten sowieso keine 10 Jahre mehr und sind auch sonst alles andere alle zukunftsfest. „Bei Gewitter oder Starkregen dürfen wir uns nicht in den Zelten aufhalten, im Sommer haben wir auch schon mal 60 Grad unter der Kuppel gemessen, und im Winter heizen wir den ganzen Park mit“, fasst Adorjan zusammen. Das sei nicht das, was man Kindern und Jugendlichen vorleben sollte: „Als kulturpädagogische Einrichtung müssten wir nachhaltiger unterwegs sein.“
Ein weiterer Vorteil des neuen Hauses ist die nicht nur räumliche, sondern auch inhaltliche Verknüpfung von Zirkus und Theater. Nachdem der Zirkus lange in einer Krise gesteckt hatte, als veraltete Unterhaltungsform, wenn nicht gar – so Tierdressur mit ins Spiel kam – als moralisch fragwürdig galt, haben sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker theatrale Formen des Zirkus herausgebildet. „Es gab diese Sehnsucht von Zirkus-KünstlerInnen zu zeigen, wir können auch Inhalt transportieren, wir sind nicht nur eine Nummer“, sagt Adorjan. „Eine Kunstform lässt sich nicht einengen, sondern sucht immer an der Grenze nach neuen Verbindungen und historisch betrachtet war der Zirkus ja auch eine darstellende Kunstform, die deutlich tiefer gegangen ist, ähnlich wie der Tanz heute.“
Die Kurse und Projekte des Latibul gehen schon lange in diese Richtung. Kulturelle Bildung, so Adorjan, könne ein Sprachrohr sein, zeigen, was Kinder und Jugendliche beschäftigt, was ihre Themen sind. „Und wenn Sie das zeigen können, dann können wir als Gesellschaft ganz anders damit umgehen und darauf reagieren.“
Dass dies nicht nur über Text funktioniert, zeigt etwa das Stück „Momo“, nach dem Buch von Michael Ende, das Adorjan mit neun Kindern zwischen neun und 14 Jahren und fünf Erwachsenen realisiert hat: Momo entkommt den Grauen Herren, in dem sie eine Stange zum Zeltdach hochklettert. Auch für das Ensemble sei das ein aufregender Moment, vor allem aber merke man, dass das etwas mit den Kindern mache, auf einer ganz tiefen Ebene: Momo will nicht der Spielball in den Händen der Erwachsenen sein, wir erleben, wie sie sich geschickt von deren Manipulationen befreien kann.
„Momo“ ist nur ein Projekt von Dutzenden, pro Woche finden 400 bis 500 Kinder Unterschlupf im Latibul, mehr als 200 stehen auf der Warteliste. Im neuen Haus könnten es bis zu 700 Kinder pro Woche sein, dazu käme unter anderem noch ein Café mit Spielecke als Anlaufstelle, „wo man auch mal nach der Schule hingehen kann, wo man Hausaufgaben macht oder wo Mütter mit kleineren Kindern warten können“, so Adorjan.
Neubau könnte schon Ende 2028 fertig sein
Das könne schon Ende 2028 so weit sein, der Holzrahmenbau lässt sich laut den Architekten aufgrund seiner vorgefertigten Elemente in anderthalb Jahren fertigstellen, am längsten dauere noch der Unterbau wegen Hochwasserschutz. Schwierig wird allerdings die Zeit bis dahin. Denn während der Bund Millionen zuschießt – die freilich nur in die Baumaßnahmen fließen dürfen – droht die Stadt mit der Kürzung der Förderungen. Weshalb sich das Latibul, sagt Eva Adorjan, in einer paradoxen Situation befindet: „Auf der einen Seite kriegen wir so einen Riesenbatzen Geld, auf der anderen Seite kämpfen wir gerade ums Überleben. Es sieht nicht so aus, dass wir unsere Strukturförderung überhaupt erhalten werden.“
Insgesamt rechne sie mit einem um 30 bis 40 Prozent geringeren Budget. Dazu kommen noch angehobene Honoraruntergrenzen, die im Prinzip begrüßenswert seien, nur eben auch erwirtschaftet werden müssen. Und das sogenannte „Herrenberg-Urteil“, das die Kriterien für die Beschäftigung von Honorarkräften so weit verschärft, dass es dem Latibul praktisch unmöglich sein wird, Kulturpädagogen als Freischaffende zu beschäftigen. Auch viele Musikschulen bangen ob des Urteils um ihre Existenz.
Gekürzt ist schnell, aber die Stadt läuft Gefahr, damit gerade in der kulturellen Bildung Strukturen zu zerstören, die in Jahren beharrlicher Beziehungsarbeit gewachsen sind. Gerade marginalisierte Kinder und Jugendliche anzusprechen, so Adorjan, sei „superschwierig“. Die Summen, die die Stadtgesellschaft dafür bereitstellen müsste, sind dagegen eher gering. Und am Ende hätte sie zudem einen Prachtbau am Rhein, exklusiv für die Kinder und Jugendlichen Köln.