Die Kölner Jazzszene wartet zuletzt mit vielen neuen Alben auf. Saxofonist Heiner Schmitz ist mit seinem Album sogar für den Deutschen Jazzpreis nominiert.
Neue Jazz-AlbenBrillanter Köln-Jazz in großen oder größeren Besetzungen
Dem wachsenden Interesse an Vinyl ist es zu verdanken, dass das Bundesjazzorchester seinen „Tribute to the Kenny Clarke-Francy Boland Big Band“ nun auch auf Langspielplatte veröffentlicht hat. Stilecht auf vier LP-Seiten würdigt das BuJazzO die legendäre Big Band, die Gigi Campi 1961 in Köln gründete, wobei die vorzüglichen Live-Aufnahmen nun von jungen Talenten unter 24 Jahren gespielt werden. Viele von ihnen prägen inzwischen auch den Kölner Jazz – mitunter mit eigenen Großensembles, die zwar spürbar die Tradition großer Klangkörper atmen, doch aufregend anders klingen.
Aufregende Kölner Jazz-Klänge mit Tobias Haug, Pascal Klewer und vielen anderen
An dem Clarke-Boland-Tribut waren unter anderem Tobias Haug, Jakob Manz, Pascal Klewer, Ferdinand Schwarz, Johanna Summer, Luca Müller, Felix Ambach und Lina Knörr beteiligt. Einige von ihnen spielen mit weiteren, ehemaligen BuJazzO-Mitgliedern wie Felix Hauptmann, Victor Fox und Roger Kintopp in der Pascal Klewer Bigband. Trompeter Klewer treibt intensiv Klangforschung und verfolgt konsequent die Idee eines experimentierfreudigen Jazz Workshop, bei dem feine Lyrismen und wuchtige Avantgarde kein Widerspruch sind. Die jüngste Veröffentlichung „Abstract Songs“ ist eine EP mit zwei Stücken, live mitgeschnitten im Corona-Herbst 2020 in der KHG Köln: stimmungsvolle „Gemälde“ mit feinen Klangfarben und der schönen Stimme von Lina Knörr.
Während Klewer seinem Ensemble viele Freiräume lässt und neuerdings sogar aufs Dirigat verzichtet, geht Bassist Andreas Pientka einen entgegengesetzten Weg – mit nicht weniger erstaunlichem Resultat. Mit Akribie und Präzision entfaltet sein Tentett einen klangprächtigen, ungemein detailfreudigen Reichtum, wobei Pientka im strengen Geist klassischer Tonkunst komponiert und doch Raum für emphatische Klangwucht und solistische Glanzpunkte lässt. Sein gut 36-minütiges Opus „Tiefe Nacht“ funktioniert als geschlossene Suite, die sich auf Goethes „Faust“ bezieht. Auf der Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wird Pientka durchaus fündig, indem er seine faszinierenden, elementaren Bausteine zur (klanglichen) Welt verfugt.
„Tales from the Wooden Kingdom“ für den Deutschen Jazzpreis nominiert
Einem großen Thema folgt auch Saxofonist Heiner Schmitz mit seinem Tongedicht „Tales from the Wooden Kingdom”, frisch nominiert für den Deutschen Jazzpreis als „Best Vocal Jazz Album“. Schmitz (der auch fürs BuJazzO komponierte) erzählt mit dem Cologne Contemporary Jazz Orchestra sowie der mal singenden, mal rezitierenden Veronika Morscher brillant arrangierte Geschichten aus dem Wald, reich an Stimmungen, Atmosphären und klanglichen Finessen.
Mal evoziert der volle Klangkörper dunklen Tann, mal führt er feingliedrig in den mythischen Sehnsuchtsort der Romantik, bevor nachdenkliche Töne über den Verlust der Balance in der Natur einfließen. Als virtuose Erzählerin leitet Veronika Morscher durch das Opus, das bei aller melodischen Strahlkraft auch wie eine an einen Baumstamm angelegte Kettensäge klingen kann und im Stück „Shadow’s Life“ einen atemberaubenden Höhepunkt findet.
Jazz-Album in bester Bestzung
Einer der Solisten in „Shadow’s Life“ ist Pianist Jürgen Friedrich, der noch in weiteren Großensembles glänzt, etwa im Jan Schreiner Large Ensemble. Schreiner spielt Bassposaune und Tuba (war auch BuJazzO-Mitglied) und setzt gleich im Eröffnungsstück „Roomba Song“ des Albums „Songs & Moods“ eine schöne Duftmarke. Elegant, charmant und charaktervoll, mitunter melodisch „hüpfend“ wie die Klänge eines Gianluigi Trovesi fesselt das höchst unterhaltsame, mit Heidi Bayer, Theresia Philipp, Reza Askari und anderen vorzüglich besetzte Album als kompakte Ensemble-Leistung.
Mit seinem eigenen Large Ensemble glückte Jürgen Friedrich ein Meisterwerk: „Semi Song“ flaniert traumwandlerisch zwischen Stilen, beginnt cool wie Filmmusik zu einem urbanen Krimi, weckt Erinnerungen an Kurt Weill oder Eberhard Weber, um sich lustvoll zu freien Passagen auf höchstem Energie-Level emporzuschwingen. Friedrich überlässt den Klavier-Part Pablo Held, der wie Shannon Barnett, Nils Wogram, Sebastian Gille, Jan Schreiner, David Helm und Fabian Arends zur Traumbesetzung gehören. Auch hier gilt: Alle virtuosen Einzelleistungen fließen paritätisch in ein überragendes Gesamtkunstwerk.
Erweiterte Ensembles
Mitunter weiten sich auch kleinere Ensembles um zusätzliche Instrumente. Pablo Held und Matthias Schwengler begeistern mit dem Einsatz von Streicher-Ensembles: Held, Jonas Burgwinkel, Robert Landfermann und Nelson Veras verschmelzen auf „Adventures“ mit dem EOS Kammerorchester zu einer tatsächlich abenteuerlichen Klangreise voller inspirierender Texturen und herrlicher Klangfarben.
Trompeter Matthias Schwengler wiederum ergänzt sein Soulcrane-Ensemble um ein Quintett aus Bratschen und Cellos zum klangdicht schwebenden Kopfkino. All diese Alben lassen einen mit ihrer jeweils eigenen Klangsprache saunen. Wobei es schon bald verheißungsvoll weitergeht: Mit den Alben von Fuchsthone und dem Subway Jazz Orchester stehen zwei weitere, verheißungsvolle Kölner Großprojekte am Start.
Diskografische Hinweise
BuJazzO: A Tribute to the Clarke-Boland Big Band. Double Moon
Pascal Klewer Big Band: Abstract Songs. stssts records
Andreas Pientka Tentett: Tiefe Nacht. Double Moon
Heiner Schmitz: Tales from the Wooden Kingdom. Klaeng Records
Jan Schreiner Large Ensemble: Songs & Moods. Float Music
Jürgen Friedrich Large Ensemble: Semi Song. nWog Records
Pablo Held: Adventures. Hopalit Records
Matthias Schwengler: Soulcrane & Strings. Mins Records