Der neue Song der Berliner Hip-Hop-Crew K.I.Z. beschwört den Frieden. Wir klopfen einige klassische Antikriegshymen auf ihre Tauglichkeit ab.
K.I.Z.-Welche Antikriegshymnen heute problematisch sind
Dass die um drastische Worte nie verlegenen Rapper von K.I.Z. mal ganz sanft „Wir träumen von Frieden“ singen würden, davon haben sie wohl selbst nicht geträumt. Das Berliner Hip-Hop-Trio reimt selten ohne doppelten Boden, doch die pazifistische Botschaft ihrer aktuellen Single „Frieden“ ist kugelsicher. Fragwürdig erscheint nur der bellizistische Begriff von Frieden: „Na klar sind wir für Frieden, doch erst müssen wir gewinnen“, ätzt Tarek Ebéné. Die neue deutsche Kampfbereitschaft ist ihm suspekt: „Jan ist Patriot und Fabian ist woke/Ist egal, denn hier im Schützengraben sind wir alle Bros“. Ein diskussionswürdiger Beitrag, der leider sofort vereinnahmt wurde: Fabio de Masi, Europakandidat des Bündnis Sahra Wagenknecht, postete den Songtext kommentarlos auf X.
Allzu simple Peace-Zeichensetzungen wirken heute schnell verdächtig. Fragt sich nur, wie man vom Frieden singen soll? Lassen Sie uns ein paar Klassiker des Genres auf ihre Tauglichkeit hin abklopfen.
Marlene Dietrich „Sag mir, wo die Blumen sind“ (1962)
Wenn jemand glaubwürdig ein Antikriegslied singen konnte, dann die wehrhafte Antifaschistin Marlene Dietrich. Das englische Original des Songs stammt bekanntlich vom US-Folksänger Pete Seeger. Nicht ganz so bekannt ist, dass Seeger den Text Michail Scholochs Roman „Der stille Don“ entnommen hat. Der sowjetische Autor wiederum zitiert eine Weise der Donkosaken, weshalb Pete Seeger mal von den russischen, mal von den ukrainischen Wurzeln seines Friedensliedes erzählte. Aber die kopfschüttelnd wiederholte Frage „Wann wird man je verstehen“ stammte allerdings von ihm selbst.
Creedence Clearwater Revival „Fortunate Son“ (1969)
Die besten Antikriegssongs erschöpfen sich nicht in Friedensappellen. John Fogerty hatte gerade seinen Einberufungsbescheid bekommen, als es wütend aus ihm herausbrach: „Ich bin nicht der Sohn eines Senators, ich bin kein Glückspilz“. Das Zweiminuten-Stück will er in 20 Minuten geschrieben haben. Seine Gegenüberstellung von reichen Patrioten mit „star-spangled eyes“ und den armen Schweinen, die in ihren Kriegen sterben dürfen, ist so simpel wie seine Akkorde. Minimaler Einsatz, maximales Ergebnis: Der Vietnamkrieg ist längst Geschichte, „Fortunate Son“ hat seine Schlagkraft behalten.
John Lennon „Imagine“ (1971)
„Du magst sagen, ich bin ein Träumer“, fordert Lennon den Hörer geradezu heraus, denn selbstredend ist seine Hoffnungshymne – ebenso wie „Give Peace a Chance“ zwei Jahre zuvor und „Happy Xmas (War Is Over)“ im Dezember '71 – hoffnungslos naiv. Aber die eigentliche Zumutung an die Fantasie verbirgt sich in den Strophen: Keine Religion, keine Nationen, keine Besitztümer, nichts, in dessen Namen es sich zu töten oder zu sterben lohnt, können wir uns das wirklich vorstellen? Die Antwort fällt heute schwerer als je zuvor.
Hannes Wader „Es ist an der Zeit“ (1974)
Sehr viel wortreicher als Fogerty, inhaltlich jedoch ganz ähnlich: Waders Erzähler steht im Mittsommergrün der Champagne am anonymen Grab eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten und imaginiert dessen Leben und Sterben: „Soldat gingst du gläubig und gern in den Tod?/ Oder hast du verzweifelt, verbittert, verroht?/ Deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluss,/ Ich hoffe es traf dich ein sauberer Schuss“. Wader hofft auf eine Menschheit, die nicht noch einmal auf Lügen hereinfällt. „Es ist an der Zeit“ wurde zur Hymne der deutschen Friedensbewegung, aber auch der rechtsradikale Liedermacher Frank Rennicke spielte eine Version ein. Die propagiert exakt das Gegenteil von dem, was Wader sagen wollte – ohne ein einziges Wort zu verändern.
Udo Lindenberg „Wozu sind Kriege da?“ (1981)
Für seinen Kommentar zum Nato-Doppelbeschluss nimmt Udo Lindenberg die Perspektive eines Zehnjährigen ein (und keines besonders hellen): „Bevor sie sich kennenlernen schießen sie sich tot/ Ich find' das so bekloppt/ Warum muss das so sein?“ Die gespielte Naivität reicht hier bis hintern Horizont des Verstandes. Selbstverständlich gibt es viele naheliegende Antworten auf die titelgebende Frage. Das ist ja das Problem, über das Lindenberg hier schnöde hinwegschnulzt.
Nicole „Ein bisschen Frieden“ (1982)
„Sing mit mir ein kleines Lied/ dass die Welt im Frieden lebt“: Wie sich die damals 17-Jährige im nordenglischen Kurort Harrogate am Ende ihres reichlich bescheidenen Liedchens im Kontrapunkt ans Publikum wendet, das hat ihr wahrscheinlich den Sieg im Eurovision Song Contest des Jahres 1982 eingebracht. Zwischen Kants „ewigem“ und Nicoles, beziehungsweise ihres Texters Bernd Meinungers diminutivem Frieden liegen Schlachtfelder. Die beste Einschätzung findet man in André Port le Rois Monografie zum Thema Schlager: Das Lied repräsentiere fürs befreundete Ausland die typisch deutsche „Mischung aus romantischer Emotionalität und hysterischer Weltuntergangsstimmung“.
Die Ärzte „Friedenspanzer“ (1993)
Womit die beste Band der Welt direkt ins Herz der Problematik zielt. Man kann Menschen nun mal nicht mit Gewalt vom Frieden überzeugen und Friedenslieder beschwören allzu oft unmögliche Wunschmaschinen: „Er näht das Ozonloch zu/ Pflanzt 'nen neuen Regenwald im Nu/ Stopft die Hungersnöte mit der Tofukanone/ Erklärt die ganze Welt zur Antiwalfangzone“. Toller Endreim.
Tocotronic „Nie wieder Krieg“ (2021)
Eine andere Kunst ist es, eine derart abgegriffene Floskel mit neuem Inhalt zu füllen: Dem pathetischen Titel zum Trotz arbeitet sich Dirk von Lowtzow an privaten Verletzungen und Verhetzungen ab. Wir begegnen einem Mann, der im Spiegel einer Sanifair-Toilette bittere Bilanz zieht, einer Frau, die an Silvester desillusioniert vom Balkon herabschaut. Der Krieg dringt in die Körper ein. Wie bekommen wir ihn da bloß wieder raus? Eine angenehm zurückgenommene Alternative zu den Pathos-Gesten so vieler anderer Friedenshymnen.