Der amerikanische Skandal-Autor Bret Easton Ellis veröffentlicht mit „The Shards“ seinen ersten Roman seit 13 Jahren. Der ist ein teuflisch ausgefuchstes Bekenntnis zur Unaufrichtigkeit.
Neuer Roman „The Shards“Bret Easton Ellis über das große Trauma seines Lebens
Der amerikanische Autor Bret Easton Ellis mag politischen Entwicklungen völlig indifferent gegenüberstehen, die seismischen Bewegungen der populären Kultur verfolgt er jedoch mit fieberhaftem Interesse. So ist ihm nicht entgangen, dass Romane keine großen Ausschläge mehr auf der kulturellen Richterskala erzeugen. Tatsächlich hat Ellis seit 2010 („Imperial Bedrooms“) keinen längeren fiktionalen Text publiziert.
Stattdessen verfasste er „TV-Piloten und Filmdrehbücher“, die zwar großzügig bezahlt, dann aber allesamt nicht realisiert wurden. Einst hatte Ellis mit „American Psycho“ (1991) das beste Buch über die turbokapitalistischen 1980er Jahre geschrieben, in der Menschen endgültig zu Avataren ihres Marktwerts schrumpften. Nun war der Autor selbst zur Ware geworden, ein weiterer Bewohner der frühlingswarmen Vorhölle Hollywoods. Was blieb ihm, der sich gerne in der Nähe des Nullpunkts der Zeitläufte aufhält, denn anderes übrig?
„The Shards“ – Ellis’ erster Roman seit 13 Jahren erscheint weltweit am 17. Januar, auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch – begann sein Leben als Podcast auf der Crowdfunding-Plattform Patreon im ersten Herbst der Pandemie. Der Autor selbst las hier alle zwei Wochen eine neue Folge vor. Die serielle Erscheinungsform hat im gedruckten Buch ihre Spuren hinterlassen: Jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger. Das muss kein künstlerischer Nachteil sein, Charles Dickens’ Meisterwerke erschienen ebenfalls zuerst als Fortsetzungsromane in Monatsmagazinen.
Bret Easton Ellis ermöglichte der Podcast einen Weg zurück zur Literatur, zurück zur großen Form, zurück auch zu den Themen, die ihn umtreiben, seit er im Alter von 21 Jahren seinen Debütroman „Unter Null“ veröffentlicht hatte und den Literaturbetrieb zum ersten Mal mit seinem moralischen Nullsummenspielen schockierte.
Ellis’ aus reiner, glänzender Oberfläche bestehende Charaktere, seine detailversessenen Beschreibungen exklusiver Markenprodukte, oder die nüchternen Schilderungen abseitiger Gewalttaten ahnten unsere heutige Medienwelt aus Influencern und True-Crime-Shows voraus. In „The Shards“ bedient er sich zudem des literarischen Megatrends der Autofiktion: Schreibende als ihre eigenen Helden, das Leben als Buchvorlage.
Zwar hat Ellis bereits in „Lunar Park“ (2005) autobiografische Elemente vorgetäuscht, jetzt treibt er das Spiel mit der – wie es vorwitzig im Klappentext heißt – „Dreifaltigkeit von Autor, Erzähler und Hauptfigur“ allerdings entschieden und absichtsvoll zu weit: Auf den ersten Seiten des neuen Romans behauptet der Autor, hier endlich jenes Buch fertiggestellt zu haben, an dem er sein ganzes Schriftstellerleben zuvor gescheitert sei. Bei der Geschichte handele es sich um nichts weniger als das Urtrauma, das allen seinen Romanen zugrunde liege, die darin verübten Verbrechen kämen nun zum ersten Mal ans Licht.
Eine Wolke aus unhinterfragten Privilegien, Quaaludes und Kokain
Zuerst mag man das durchaus glauben: Genau wie sein literarischer Doppelgänger in „The Shards“ besuchte auch der 17-jährige Ellis Anfang der 1980er Jahre die Buckley High School im San Fernando Valley, eine superexklusive Privatschule für Hollywoods Nepo Babies, wie man heute sagen würde. Der Bret des Romans driftet auf einer Wolke aus unhinterfragten Privilegien, Quaaludes und Kokain durch sein letztes Schuljahr im pazifischen Paradies.
Seine besten Freunde sind das beliebteste Paar der Schule, der Football-Star und die Ballkönigin. Er selbst datet die Tochter eines best vernetzten Filmproduzenten. Die nutzt er jedoch nur als Fassade für seine homosexuellen Abenteuer – unter anderem mit ihrem Vater, der ihn mit der Aussicht auf einen Drehbuchvertrag lockt. Denn Bret weiß bereits, dass er Schriftsteller werden will und arbeitet in helleren Momenten an der ersten Fassung von „Unter Null“.
Die erste Hälfte des Buches wirkt denn auch wie eine Überschreibung des berüchtigten Debüts: Die Sätze des abgeklärten Endfünzigers gleiten noch eleganter über die Seiten als die des jungen Wilden, zumal Stephan Kleiner Ellis’ soghaft-zugedröhnten Sprachsound perfekt ins Deutsche übertragen hat. Der Leser fährt wie auf dem Beifahrersitz von Brets metallic-grünen Mercedes 450 SEL durch die Panoramastraßen der Hollywood Hills. New-Wave-Hits geben den Rhythmus seines traumwandlerischen Lebens vor, allen voran der Refrain von Ultravox’ „Vienna“. Landschaften, Villen, Menschen ziehen vorm Auge des Erzählers vorbei, die allgegenwärtige Wayfarer-Sonnenbrille filtert jede Bedeutung heraus, Midge Ure singt „It means nothing to me“.
Ein messerwetzendes Finale wie im Teenie-Slasher-Film
Die Schlange im vermeintlichen Paradies ist der Neuzugang in der Buckley-Abschlussklasse, Robert Mallory, ein Junge, so schön, dass es schmerzt. Den verdächtigt Bret schon bald, in irgendeiner Verbindung zu dem geheimnisvollen Serienkiller zu stehen, den die Presse The Trawler getauft hat. Oder sogar selbst hinter den Entführungen, Morden und Verstümmelungen zu stecken, die sich immer enger um den Freundeskreis des Erzählers zu ziehen.
Weil Bret Easton Ellis auch ein guter Handwerker ist, lässt sich „The Shards“ völlig subtextfrei als fesselnder Thriller konsumieren, wenn man ignoriert, dass sich Ellis’ einen bösen Spaß daraus macht, selbst offensichtlichste Hinweise an der „goldenen Blase“ der Buckley-Schüler abprallen zu lassen. Zeitweise macht sich sein Alter Ego als einziger Sorgen und zieht die nötigen Schlüsse. Oder erfindet er nur Verbindungen, die es gar nicht gibt? „Wenn du mit dir sprichst, redest du eigentlich mit dir selbst, Mann“, warnt ihn der schöne Robert.
Zum messerwetzenden Finale vereindeutigt sich die Ellis’sche Dreifaltigkeit gemäß den Konventionen des Genres, wirkt „The Shards“ wie ein Buch zum Teenie-Slasher-Film. Dann ist man freilich auf Bret Easton Ellis’ metafiktionales Spiel hereingefallen: Er inszeniert sich selbst als unzuverlässigen Erzähler. Der einzige Mörder – kein Spoiler, nur eine Metapher! – der in „The Shards“dingfest gemacht wird, ist der Autor selbst. Das Leben, das er so hypnotisch beschreibt, verweist er unweigerlich ins Reich des Todes.
Bret Easton Ellis: „The Shards“, Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 28 Euro, E-Book: 19,99 Euro