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Neuer RomanWarum Christian Kracht ins „Faserland“ zurückkehrt

Lesezeit 3 Minuten

Schauspielreifer Autobiograf: Christian Kracht

Köln – „Faserland“: Damit hat Christian Kracht sich und seiner Epoche einen Namen gemacht. Der Roman erschien 1995 und wurde als Gründungslegende der Pop-Literatur gefeiert: die Ego-Tour eines wohlstandsverwahrlosten Markenfetischisten durch die Bonner Republik, von Sylt bis nach Zürich. Krachts neuer Roman „Eurotrash“ beginnt da, wo „Faserland“ endete, in Zürich. Das erste und das letzte Wort sind gleich, der Erzähler raucht und nimmt Tabletten, aber das war es auch schon mit auffälligen Gemeinsamkeiten.

Wenn man genau hinsieht, was bei Kracht-Romanen immer ratsam ist, kommen kleine Verschiebungen in den Blick. Aus der Barbourjacke des Erzählers ist ein grobwolliger, dunkelbrauner Pullover geworden, seine Reise ist auf die Schweiz beschränkt, statt der Freunde begleitet ihn diesmal seine Mutter. „Faserland“ wird damit zum Mutterland, während der Vater in eine Sprache abtaucht, die von Macht- und Größenwahnfantasien umstellt ist. Und überhaupt hat Krachts Erzählmelodie merklich an Selbstironie und an Selbstreflektion autobiografischer Schadensberichte gewonnen.

Genau das macht diese Kracht-Lektüre zu einem intensiven, schaurig-schönen Lesevergnügen. Die Mutter des Ich-Erzählers lebt, inzwischen achtzigjährig, in einer geschlossenen Anstalt in Winterthur. Sie ist schwerreich, trinkt Wodka, zitiert Flaubert, hat einen Rollator, braucht Stomatüten – und streitet gerne mit ihrem Sohn. Eine alte Dame, wie sie Dürrenmatt hätte besser nicht erfinden können.

Der Sohn wird, während sie sich durch die französische Schweiz bewegen, zum Mitläufer am „Rand enormer Bosheiten“. Immer wieder bringt das Gedächtnis der Mutter dabei traumatische Erinnerungen hoch. Die von ihr als Kind erlittenen Serienvergewaltigungen, ein sadomasochistischer Großvater, der beim Reichsrundfunk war, ein möchtegerngroßer Vater: niederträchtige Geschichten aus der Familiengruft.

Doch der Erzähler jammert nicht. Er betreibt keine Figurenpsychologie. Sein Programm ist das Geschichtenerzählen. Und das macht er brillant, ob es die exotischen Abenteuer sind, die er seiner Mutter im Taxi auftischt, oder die eigenen Erinnerungen, die ihm selbst unheimlich sind. Oder schließlich die gesamte Geschichte dieses Romans, die er uns so verschmitzt-treuherzig erzählt, als ob wir immer noch die leichtgläubigen Leser von „Faserland“ wären.

Sind wir aber nicht. Und das ist auch gut so. Denn Christian Kracht kann es sich leisten, mit unserem Wissen über ihn und seine Romane zu spielen. Er inszeniert seine Autorschaft und seine Biografie nach allen Regeln der Kunst. Einzelne Daten und Fakten sind nachprüfbar richtig, so der Reichtum und die Medienkarriere seines Vaters, der auch Christian Kracht heißt, andere sind bezweifelbar, so die Story vom Anzünden der Grundschule. So werden die Schlagbäume vor der Fiktion hochgehoben. Realität und biografische Referenzen wandern in den Roman ein.

Und dazu gehört vor allem Krachts Debütroman „Faserland“. Er habe, so der Ich-Erzähler, sich „mit fünfundzwanzig entschlossen, einen Roman in der Ich-Form zu schreiben“, bei dem er sich selbst und seinen Lesern vorgegaukelt habe, er käme „aus gute Hause“ und hätte „etwas von einem autistischen Snob“. Diese Zauberei setzt Kracht in „Eurotrash“ fort. Mal stellt er sich als Daniel Kehlmann vor, mal lobt er Marcel Beyer, und am Ende besucht er das Grab von Borges in Genf.

Heraus kommt ein abermals lesenswerter Roman, eine schauspielreife Selbstbiografie, ein „bürgerliches Theaterstück, Tragödie mit komödiantischen Elementen“.