Neues Album „Renaissance“Kann Beyoncé ihr altes Meisterwerk übertrumpfen?
Los Angeles – Der heiklen Frage, was man als Nächstes unternimmt, nachdem man sein Meisterwerk veröffentlicht hat, ist Beyoncé bislang auf eindrücklichste Weise ausgewichen. An diesem Freitag hat die Sängerin nun mit „Renaissance“ ihr siebtes Studioalbum herausgebracht, endlich, sechs Jahre nach dem gefeierten Vorgänger „Lemonade“.
In dem hatte Queen Bey ihre Ehekrise nach einem Seitensprung ihres Mannes, des nicht weniger prominenten Rappers Jay-Z, mit schwarzem Feminismus und dem Kampf gegen Rassismus alltäglicher wie institutioneller Art verbunden. Ihr Privates wurde politisch und ihre Musik in gleichem Maße experimentierfreudiger und weit ausgreifender.
Musikkritiker feierten „Lemonade“ unisono als Magnum Opus der Sängerin, die zu diesem Zeitpunkt ja bereits auf eine außergewöhnlich lange Karriere zurückblicken konnte. Filmkritiker preisten den gut einstündigen Film, der das Album begleitete. Und das Publikum streamte und kaufte so viele physische Kopien, dass sich die Musikindustrie schon über die Wiedergeburt des Albumformats freute.
Was tun, wenn man den Gipfel erreicht hat?
Toppen ließ sich das nicht mehr. Also was tun? Zwillinge bekommen, mit dem reuigen Ehemann ein Versöhnungsalbum aufnehmen, gemeinsam durch die Stadien der Welt touren – vorher aber noch allein auf dem kalifornischen Coachella-Festival einen Auftritt inszenieren, der (afroamerikanische) Geschichte ehrt und schreibt, man kann sich das auf Netflix anschauen und staunen.
Ach, und den Afrobeat-lastigen Soundtrack zum „König der Löwen“-Remake hat sie ja auch noch geschrieben. Check, check und check.
Trotzdem bleibt die Frage, ob „Renaissance“ nun mehr sein kann, als eine sanfte Enttäuschung. Stattdessen beschreibt das Album eine scharfe Linkskurve in Richtung Tanzdiele. Die im Vorfeld erschienene Single „Break My Soul“, auf der Beyoncé an Vocal-House-Klänge der frühen 1990er anknüpft, gibt also durchaus die Richtung vor – freilich nicht die stilistische Vielfalt: „Renaissance“ ist eine Achterbahnfahrt durch nahezu sämtliche schwarze, queere Tanzmusikstile der vergangenen Jahrzehnte: „Church Girl“ samplet James Browns „Think About It“, „Cuff It“ zitiert Teena Maries „Ooo La La La“.
Disco-Legende Nile Rodgers gastiert hier an der Gitarre, auf „Move“ duettiert sich Beyoncé mit der unverwüstlichen Grace Jones – und der finale Track „Summer Renaissance“ schreibt Giorgio Moroders und Donna Summers futuristische Disco-Hymne „I Feel Love“ für eine immer neu strahlende Zukunft fort.
Sogar Right Said Freds (ironische) Poser-Hymne „I’m Too Sexy“ kommt auf „Alien Superstar“ zu ihrem Recht, Gott sei dank nicht allzu lange. Selbst das Cover, auf dem die nur notdürftig mit einem Metalbikini bekleidete Sängerin auf einem von innen leuchtenden Glaspferd posiert, verweist auf Clubgeschichte, nämlich Bianca Jaggers legendären Lady-Godiva-Auftritt im Studio 54.
Ein Proseminar der Clubkultur
Das Album funktioniert also beinahe wie eine klug kuratierte Playlist zu einer Museumsausstellung oder einem Proseminar über Clubkultur, doch dreht man die Anlage nur laut genug auf – was hier absolut geboten ist –, kommt man aus dem Schwitzen kaum raus.
Dass man auch etwas gelernt hat, merkt man jedenfalls erst sehr viel später: „Renaissance“ ist der Soundtrack zur großen postpandemischen (man wird ja noch hoffen dürfen) Party, eine Feier des Fleisches, des Sexus, des ewigen Augenblicks, durch den die Zukunft in die Vergangenheit stürzt, Dua Lipas „Future Nostalgia“, die andere tolle Superstar-im-Retroclub-Platte der Coronazeit, wirkt dagegen fast klinisch sauber. Auf „Renaissance“ herrscht dagegen polyphone Verwirrung, dutzende Stimmen und Genre stürmen gleichzeitig auf den Hörer ein. Das Album spricht in Zungen.
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Eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende, wie auf „Lemonade, erzählt Beyoncé diesmal also nicht, auch explizite politische Statements bleiben aus, selbst bei Track 14 mit dem doch ziemlich eindeutigen Titel „America Has a Problem“ wird man nicht fündig, es geht um die gut abgehangene Metapher von Liebe als der besten aller Drogen, der Titel stammt von dem 30 Jahre alten Rap-Song, der dem Stück zugrunde liegt: Cocaine (America Has a Problem“ vom fast vergessenen Miami-Bass-Protagonisten Kilo Ali.
Das ist kein Verlust: Tanzen ist auch eine politische Beschäftigung. Angeblich soll „Renaissance“ nur der erste Akt einer Album-Trilogie sein, auf der sich Beyoncé der gesamten Historie schwarzer Musik widmen wird. Das klingt nun doch wieder nach einem Unterfangen, wie man es von dem talentiertesten, aber auch ehrgeizigsten Star unserer Zeit erwartet. Wer weiß, am Ende wird sie „Lemonade“ doch noch übertrumpfen.
Beyoncés „Renaissance“ ist bei Sony Music erschienen