AboAbonnieren

Neues Album von Kanye WestGott ist schuld an meinen teuren Turnschuhen

Lesezeit 3 Minuten
Kanye West

Kanye West betet während einem seiner "Sunday Service"-Konzerte in Salt Lake City. 

  1. Der erfolgreiche HipHop-Produzent legt mit „Jesus is King” sein erstes Gospelalbum vor.
  2. Seinen Mitarbeitern hat er Fluchen und vorehelichen Sex verboten.
  3. Nach etlichen Kontroversen wirkt die Bekehrung des Trump-Fans wie eine Flucht. Und wie ist das Album unter göttlichem Einfluss so geworden? Unsere Kritik.

Wyoming – Bob Dylan, Cat Stevens, Prince. Kanye West ist nicht der erste Musiker, der zu Gott gefunden hat. Noch ist er der erste bekehrte Rapper: Run-D.M.C.s Joseph Simmons, Ice Cube, oder Ghostface Killah vom Wu-Tang Clan. Aber West ist mit Sicherheit der erste wiedergeborene Christ, der die exorbitanten Preise seiner Sneaker-Kollektion Gott in die Schuhe schiebt.

Sein erstes Gospelalbum

Nachzuhören auf Track 5 von Wests neuntem Studio- und allererstem Gospel-Album „Jesus is King“, das gerade erschienen ist. Zu den Forderungen des Finanzamts, rappt Kanye dort, kämen nämlich noch die zehn Prozent Kirchensteuer. Weshalb ein Yeezy-Sneaker einfach 200 bis 300 Euro kosten muss, schließlich könne er seine Familie nicht hungern lassen: „that’s on God“.

Wie ernst soll man also die öffentliche Bekehrung des größten Egomanen des HipHop nehmen? Er selbst bezeichnet sich als „radikal gerettet“ (erzählt der Prediger, der Wests Bibelstudienkreis leitet), und angeblich hat er seinem Umfeld während der Album-Produktion sowohl das Fluchen wie auch vorehelichen Geschlechtsverkehr untersagt. Und natürlich beginnt „Jesus is King“ mit ekstatischen Anrufungen eines Gospelchors.

Die brechen jedoch noch vor der Zwei-Minuten-Marke abrupt ab, um ominösen Orgeltönen und dem altbekannten Kanye-Sermon aus Selbstüberschätzung und selbst erteilter Absolution Platz zu schaffen. Nur, dass West jetzt auf Bibelverse verweist und sich selbst mit Noah vergleicht, über den die Menschen vor der Flut auch falsch geurteilt hätten.

Anlass zur Reue gäbe es reichlich, vor allem seine afroamerikanischen Fans haben ihm weder die anbiedernde Freundschaft zum amtierenden US-Präsidenten noch seine dummdreiste Äußerung, dass die Sklaverei eine „Wahl“ der Schwarzen gewesen sei, verziehen.

Frohe Botschaft statt Kritik

Statt sich mit der berechtigten Kritik an seinen erratischen Handlungen auseinanderzusetzen, flüchtet sich West in „Jesus is King“ auf die nächsthöhere Ebene: Er sei kein Entertainer mehr, lässt er die imaginäre Gemeinde wissen, er verbreitete die Frohe Botschaft. Aber Kanyes Evangelium ist und bleibt Kanye. Was so lange kein Problem darstellte, als sein Drahtseilakt staunenswerte Ergebnisse zeitigte: Vom Debüt „The College Dropout“ bis zum schroffen, schon vom Wahnsinn gezeichneten Experiment „Yeezus“ hat er nur Meisterstücke abgeliefert. West hielt sich nicht nur für den Größten, er war es auch. Zwischen 2004 und 2013 hat niemand den Sound der populären Musik stärker geprägt.

Und von Anfang an hat er vom Sündenfall, von Vergebung und Erlösung erzählt: „Es heißt, du kannst über alles rappen, nur nicht über Jesus“ verkündet er bereits in seiner vierten Single „Jesus Walks“, um dann natürlich genau das zu tun. Insofern ist Kanye Wests erstes explizit christliches Album keine Kehrtwende. Das Damaskuserlebnis bleibt aus, und mit ihm auch die Chance der Selbsterkenntnis. Stattdessen vergleicht man sein neues, nur 27 Minuten langes Statement unweigerlich mit den früheren Großtaten. Wie schlaff klingt der Schrei am Ende von „Follow God“ im Vergleich zu den Lärmattacken auf „Yeezus“, wie bodennah wirkt „Selah“ im Gegensatz zur erhebenden Paulus-Hymne „Ultralight Beam“ aus dem Jahr 2016.

Letztlich berührt „Jesus is King“ so wenig wie der Engelschor den Faust: Die Botschaft hört man wohl, allein es fehlt der Glaube. Jetzt kann nur noch der Teufel Kanye West retten.