Ngugi wa ThiongoKenianischer Autor wird im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum bejubelt
Köln – „Oho-a“ sagt Ngugi wa Thiongo und schiebt einen langen Seufzer hinterher. Gerade ist der große Kenianer, der mit seinen Werken die Weltliteratur bereichert hat, im überfüllten Forum der Volkshochschule im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum gefragt worden, wieviele Bücher er im Laufe seiner langen Karriere geschrieben habe. Jetzt spielt er erst einmal auf Zeit: „Muss ich die Frage gleich beantworten oder kann ich darüber noch etwas nachdenken?“ Nein, der Fall muss sofort geklärt werden. Moderator Rémi Tchokothe ist in Wahrheit bestens vorbereitet und weiß zu vermelden: es sind 33 Bücher, übersetzt in über 40 Sprachen. Da raunt es anerkennend im überwiegend jungen Publikum.
Ngugi wa Thiongo, 1938 in Kenia geboren, merkt kurz darauf an, dass er an Köln sehr emotionale Erinnerungen habe. Hier sei er 1982 beim „Interlit“-Kongreß aufgetreten, ebenfalls im VHS-Forum, das damals allerdings ein paar Meter weiter entfernt vom heutigen Standort lag. Die große Aufmerksamkeit habe ihm viel bedeutet. Denn zu dem Zeitpunkt befand sich der Autor erst seit kurzem im Exil in London. Wegen eines Theaterstücks war er zuvor in seiner Heimat festgenommen, gefoltert und eingekerkert worden. Die Haftzeit nutzte er, um einen Roman zu schreiben, der sich ebenfalls kritisch mit dem autoritären System auseinandersetzte. Denn das war Ngugi wa Thiongos Überlebensstrategie: „Resistance“ – also nicht aufgeben, sondern Widerstand leisten. Nicht etwa, indem man die Gefängniswärter attackierte, wie er sagt, sondern indem man weiterschreibe. Immerhin war es den Machthabern darum gegangen, eine Stimme zum Schweigen zu bringen. Der Plan scheiterte ganz vortrefflich.
Ngugi wa Thiongo erzählt in Köln sodann, dass er zum Schreiben das anstaltseigene Toilettenpapier benutzt habe. „Das Papier in Nairobi war nicht so weich wie in der Werbung des US-Fernsehens“, lacht der Autor. Und fügt zum Grundsätzlichen an: Es sei schlimm gewesen, aber dennoch dürfe man darüber lachen. Auch dies sei ein Akt der „Resistance“.
Lächerlicher Diktator in „Herr der Krähen“
Wo wir schon dabei sind: Lächerlich ist der Diktator in dem Roman „Herr der Krähen“, aus dem Azizè Flittner las. Der lässt seine Frau einsperren, nachdem diese ihm vorgeworfen hatte, sich schon an solch jungen Mädchen zu vergreifen, die er einst mit anderen Frauen gezeugt haben könnte. Nun muss die Ehefrau im Hausarrest schmachten. Alle Uhren in allen Zimmern sind auf den Zeitpunkt ihrer Ermahnung fixiert, und aus den Lautsprechern erklingt permanent dieselbe Lobeshymne auf den „Vater der Nation“.
Eine eindrucksvolle Satire. Die nicht so weit weg ist vom realen Tyrannen-Irrsinn. Ngugi wa Thiongo erzählt amüsiert, dass der ehemalige kenianische Präsident Daniel Arap Moi versucht habe, die Hauptfigur aus „Der gekreuzigte Teufel“ verhaften zu lassen. Den Roman hatte Ngugi wa Thiongo Anfang der 80er geschrieben: „Der Präsident glaubte, es handele sich dabei um eine reale Person.“
Bei dieser Veranstaltung des Allerweltshaus (Unterabteilung: Stimmen Afrikas) verrät der kenianische Autor auch noch ein Geheimnis. Den Roman „Herr der Krähen“ habe er zwischen zwei Orangen geschrieben. Den Moment, in dem sich die Zuhörer fragten, was das denn bedeuten solle, kostet der Autor genüsslich aus. Die Auflösung: Als er den Roman geschrieben hat, lehrte er an Universitäten in den USA – da lebte er zunächst in der Ortschaft Orange im Osten und später in Orange County in Kalifornien.
Gedicht in der Sprache der Kindheit
Solcherart lernte das Publikum nicht nur den Romancier Ngugi wa Thiongo näher kennen, sondern auch den Lyriker. In Kikuyu, der Sprache seiner Kindheit, und nicht in Englisch, der Sprache der Kolonisatoren, trägt er ein Gedicht über Nelson Mandela vor. Die Verse über Freiheit und Wahrheit, politische Verfolgung und unerschütterlichen Widerstand beginnt und endet er jeweils mit einer Art Gesang zu Ehren des „heiligen Mandela“.
Mit alldem beeindruckte der Autor sein Publikum nachhaltig. Der Bücherstand wurde schon zur Halbzeitpause gestürmt. Währenddessen posierte Ngugi wa Thiongo geduldig für jedes gewünschte Selfie. Auch mit der Dame in den kenianischen Nationalfarben. Die hatte er zuvor bei der Begrüßung ausdrücklich erwähnt, weil sie mit der Kostümwahl sein Herz gerührt habe. Denn es sei ja so: „Kenia bedeutet mir sehr viel.“