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Nina Gummich spielt Alice Schwarzer„Sie empfindet sich anders, als sie von außen wahrgenommen wird“

Lesezeit 6 Minuten
Nina Gummich in ihrer Rolle Alice Schwarzer, sie steht am Strand, hat ein schwarzes Top an

Nina Gummich spielt im ARD-Film „Alice“ die Feministin Alice Schwarzer

Ab dem 30.11. wird in der ARD „Alice“ ausgestrahlt, ein zweiteiliger Spielfilm, der von Alice Schwarzers Leben handelt. Gespielt wird die Feministin von Nina Gummich. Die Schauspielerin im Interview.

Frau Gummich, Sie spielen Alice Schwarzer in dem ARD-Zweiteiler, der anlässlich ihres 80. Geburtstags läuft. Hat Feminismus vorher in Ihrem Leben eine große Rolle gespielt?

Nina Gummich: Ich glaube, ich war schon immer Feministin, aber ohne es mitzukriegen. Ich bin ja nicht nur Jahrgang 1991, sondern auch im Osten mit einer Mutter aufgewachsen, die inzwischen Dekanin einer Hochschule ist. Ich habe vorgelebt bekommen: Es ist alles möglich, es ist kein Unterschied, ob du eine Frau bist oder ein Mann. Mit dieser gedanklichen Freiheit bin ich aufgewachsen. Feminismus ist vor allem das Bewusstsein, gleichberechtigt zu sein. Das kann schon bewirken, dass man größere Chancen hat und nicht solche Ängste, wie sie vielleicht manche Frauen haben. Das gesamte Ausmaß, wo wir vor einigen Jahrzehnten noch standen, hat mich in der Beschäftigung mit dem Leben Alice Schwarzers zu Beginn aber geschockt. Mir war nicht so bewusst, welche Riesenschritte die Frauen gemacht haben.

Wie haben Sie sich dieser Rolle angenähert?

Ich glaube, ein reines äußerliches Imitieren führt nicht dazu, dass man sie wiedererkennt. Normalerweise arbeite ich von innen nach außen. Ich gucke bei meinen Rollen, wie sie sich fühlen, wie ich das nach außen transportieren kann. Hier war der Weg andersrum. Ich beobachte Dinge und dann schaue ich, was etwa eine spezielle Körperhaltung mit mir macht. Ich habe vielleicht plötzlich einen größeren Stolz oder ein würdevolles Gefühl oder ich bin streitlustig. Im Körper drückt sich gut aus, welche Persönlichkeit wir haben. Ich habe immer geschaut, was sie äußerlich macht und was in mir passiert, wenn ich das tue. Gibt es Seiten, die ich schon habe? Welches Verhalten kann ich nicht nachvollziehen? Ich schaue, wo ich hinzoomen muss und was ich zurückstelle, weil es eher mit mir zu tun hat als mit der Figur.

Nina Gummich sprach zur Vorbereitung persönlich mit Alice Schwarzer

Sie haben sie kennengelernt und mit ihr über den Film gesprochen. War das eine Hilfe oder hat es den Druck erhöht?

Ich habe versucht, den Druck beim Spielen auszublenden, aber ich habe ihn schon hin und wieder gespürt. Noch bedeutungsvoller, als dass jedes Detail stimmt, ist ja, dass es ein guter Film wird. Ich habe irgendwann meine künstlerische Erfahrung als Schauspielerin über den perfektionistischen Anspruch gestellt, jede Sekunde müsse stimmen. Hier und da gibt es Stellen, wo sie gesagt hat, das hätte sie so nicht gemacht. Aber das ist egal, weil das Große und Ganze stimmt.

Filmszene, in der Nuna Gummich Alice Schwarzer bei einer Lesung spielt.

Anlass für den Spielfilm war Alice Schwarzers 80. Geburtstag

Welches Bild wollten Sie zeichnen von einer Frau, die jeder zu kennen glaubt?

Ich habe mir ein Interview aus der Talkshow „3nach9“ irgendwann aus den 80ern angeschaut und war erstaunt. So eine zarte Melancholie, so etwas Französisches und Elegantes weht einen da an. Widersprüche sind für mich das Interessanteste bei einem Menschen, und deshalb möchte ich das Publikum mit Seiten überraschen, die man gar nicht auf dem Schirm hat. Damit es aufregend wird, das anzusehen und nicht nur ein Bild zeigt, das wir schon alle kennen. Ich versuche, einen Menschen nachzuempfinden, wie er ist. Völlig wertfrei. Und damit hat der Zuschauer die Möglichkeit zu entscheiden, wie er das findet. Ihm wird eben kein fertiges Bild präsentiert. Es ist die Suche nach dem Kern eines Menschen.

Spielfilm „Alice“ zeigt die Feministin von ihrer persönlichen Seite

Die öffentliche Wahrnehmung eines berühmten Menschen ist ja oft auch verzerrt.

Genau. Ich kenne das auch von mir. Man spricht Prominenten ja manchmal gewisse menschliche Seiten ab. Und so denkt man bei Alice: Ach, die war auch verliebt? In einen Mann? Sie hat sich gefragt, ob sie zu viel wiegt? Sie hat sich für Mode interessiert? Das sind Momente, die überraschen. Das andere ist ein Phänomen unserer Zeit. Man hat etwas gehört, ordnet es ein und dann ist die Diskussion zu Ende. Ich bin so aufgewachsen, dass meine Eltern - auch Schauspieler - gesagt haben, schau immer, egal was jemand sagt, darauf, dass es aus der gesamten Biografie heraus begründet ist. Was hat er erlebt? Das sind immer große Zusammenhänge. Deshalb liebe ich es, mich mit jemandem mehrdimensional zu beschäftigen.

Alice Schwarzer hat das Drehbuch nicht geschrieben, aber sie stand ja beratend zur Seite. Ist die Gefahr da nicht groß, dass der Film zu distanzlos wird?

Erstes Deutsches Fernsehen (ARD)

Alice (1) | FilmMittwoch im Ersten

Ich liebe meine Figuren. Man darf sie nicht verraten und nicht beim Spielen denken: Oh Gott, bin ich gerade unsympathisch, das denkt im Leben ja auch niemand. Man macht etwas, weil man überzeugt ist, sich so einsetzen oder aufregen zu müssen. Und andere bewerten das dann als unsympathisch. Es gibt eine Szene, da lädt sie eine Frauengruppe nach Paris ein, um Texte für den Rowohlt-Verlag zu schreiben. Sie kritisiert sie so hart, dass sie irgendwann abreisen. Da hat das ganze Team gesagt: Jetzt sieht man auch mal die unsympathische Seite. Und ich war völlig entsetzt, weil ich mich überhaupt nicht als unsympathisch empfunden habe. Ich habe mich im Recht gefühlt. Ich wollte sachlich diskutieren und die sind auf die persönliche Ebene gegangen. Es geht um persönliche Befindlichkeiten. Diese Dynamik ist öfters in Alice‘ Leben passiert. Sie empfindet sich anders, als sie von außen wahrgenommen wird. Es gibt diese Lücke zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung.

Haben Sie etwas von Alice Schwarzer für Ihr Leben gelernt?

Ich war immer sehr harmoniebedürftig, und ich habe mitgenommen, dass Streiten etwas sehr Lustvolles sein kann, vor dem man keine Angst haben muss. Man sollte zu seiner inneren Wahrheit stehen und auch etwas riskieren. Entweder wir gehen zusammen einen Schritt weiter oder ich muss eben im schlimmsten Fall allein für meine Überzeugung kämpfen.

Gummich sieht feministische Bewegung noch weit von ihrem Ziel entfernt

Der Film zeigt Schwarzer als junge Frau bis zur ersten Ausgabe der Emma. Ist das der richtige zeitliche Fokus?

Ich finde es gut, weil ab ungefähr da, wo wir aufhören, die öffentliche Alice einsetzt. Was davor war, weiß man nicht. Es ist ein überraschender Anfang, sie als junge Frau im Badeanzug am Strand zu sehen. Diese Zeit, jung, verliebt, frei, in alle Richtungen denkend, bevor sich entscheidet, wofür sie sich einsetzt und wie der Weg dorthin aussieht, finde ich interessant.

Viele jüngere Feministinnen sehen Alice Schwarzer und ihre Positionen etwa zu Kopftuch und Prostitution sehr kritisch. Wie blicken Sie als junge Frau auf sie?

Das ist ein spannender Punkt. Ich empfinde mich als Generation dazwischen, die das beobachtet und denkt, wieso kommen die nicht zusammen. Es ist ein Hauptproblem der feministischen Strömungen, dass sie so auseinanderfallen. Ich merke immer, welche Kraft es hat, wenn sich Frauen zusammenschließen, um etwas zu erreichen. Ich bin der Überzeugung, dass junge und alte Feministinnen oft auf das Gleiche hinauswollen, aber eben unterschiedliche Wege für richtig halten. Alice ist bewusst, dass sie Spannungen und Kontroversen anzieht. Ich würde mir wünschen, dass man besser zusammenfindet. Das hätte eine viel größere Kraft.

Die Frauenbewegung hat schon viel bewirkt. Aber ein Blick auf das Abtreibungsrecht in den USA oder gewisse Schönheitsideale bei Social Media geben schon Grund zur Sorge, oder?

Ich glaube, das ist bei allen Themen so, bei denen man denkt, da seien wir doch schon einen Schritt weiter. Die Menschheit macht einen Bewusstseinsschritt, und dann hat sie doch nichts gelernt. Das scheint ihr innezuwohnen. Ich bin aktuell auch in dem ZDF-Film „So laut du kannst“ zu sehen, in dem es um K.O.-Tropfen und Vergewaltigungen geht. Ich bin zutiefst schockiert, weil mir massenweise Frauen schreiben, denen das auch passiert ist. Alles, was wir uns als Menschheit oder Frauen erarbeitet habe, müssen wir verteidigen und dürfen niemals davon ausgehen, dass wir es geschafft haben.


Ausstrahlungstermine anlässlich des 80. Geburtstags von Alice Schwarzer im Ersten:

  1. TV-Zweiteiler „Alice“, Mittwoch, 30. November 2022 ab 20:15 Uhr im Ersten (und ab 23. November 2022 in der ARD Mediathek)
  2. Dokumentation „Die Streitbare – Wer hat Angst vor Alice Schwarzer?“, Mittwoch, 30. November 2022 um 23:50 Uhr im Ersten (und ab 23. November 2022 in der ARD Mediathek)
  3. Dreiteilige Doku-Serie „Ungewollt schwanger in Deutschland – Der Paragraf und ich“, Teil 1 am 21. November 2022 um 23:50 Uhr im Ersten (drei Teile ab 19. November 2022 in der ARD Mediathek)