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„Now and Then“So klingt das neue, letzte Beatles-Lied

Lesezeit 4 Minuten
Ringo Starr (l-r), John Lennon, Paul McCartney und George Harrison von den Beatles (undatierte Aufnahme). Mehr als 50 Jahre nach der Trennung der Beatles erscheint am 02.11.2023 ihre wahrscheinlich letzte Single. «Now And Then» soll um 15 Uhr im Internet Premiere feiern. Am 10. November sollen die Kompilationsplatten «Rotes Album» und «Blaues Album» mit 21 hinzugefügten Titeln neu veröffentlicht werden.

Am 2. 11. 2023 erscheint mit „Now and Then“ die letzte Beatles-Single: Ringo Starr (v.l.), John Lennon, Paul McCartney und George Harrison

Am 2. November 2023 schreiben die Beatles noch einmal Musikgeschichte und veröffentlichen einen mit toten wie lebenden Mitgliedern neu eingespielten Song.

„Now and Then“ heißt der „neue“ Song der Beatles, der an Allerseelen zur Mittagsstunde veröffentlicht und als letztes Lied des legendären Quartetts beworben wird. Es ist ein Geisterstück. Zwischen damals und jetzt liegt die ultimative Grenze, der Tod. Ein Beatles-Song ist „Now and Then“ zunächst einmal nur in dem Sinne, dass alle vier Bandmitglieder darauf zu hören sind.

Die Komposition geht auf eine Demo-Aufnahme zurück, die John Lennon 1977 – sieben Jahre nach der offiziellen Auflösung der Beatles – in seinem Apartment im New Yorker Dakota-Gebäude am Klavier eingespielt hat. Sie ist eines von vielen Liedern aus der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, in denen sich Lennon bei seiner Frau Yoko Ono entschuldigt.

Im Jahr 1994 überreichte Yoko Ono Paul McCartney mehrere Kassetten mit unveröffentlichten Aufnahmen ihres ermordeten Ehemanns. Auf denen fanden sich auch die Demos für „Free as a Bird“ und „Real Love“, die beiden Lennon-Stücke, die McCartney im Rahmen des „The Beatles Anthology“-Projektes zusammen mit George Harrison und Ringo Starr im Jahr 1994 vervollständigte. Jeff Lynne vom Electric Light Orchestra fungierte als Produzent und als „Free as a Bird“ im Dezember 1995 als nachgereichte Beatles-Single erschien, gab es nicht wenige Rezensenten, die befanden, das Endprodukt klänge mehr nach E.L.O. denn nach den Fab Four. Ian McDonald, der verlässlichste und unbestechlichste Beatles-Experte, nannten den Song eintönig und leblos.

Lynne zufolge versuchten sich die Threetles, wie sie die britische Presse taufte, anschließend auch an „Now and Then“, allerdings dauerte dieser Versuch nur einen Nachmittag lang, bevor George Harrison, der Skeptiker der Band, sein Veto einlegte. Nicht nur, dass er den Song nicht besonders gut fand („fucking rubbish“), die Aufnahmequalität ließ auch zu Wünschen übrig: Bandgeräusche übertönten Lennons Stimme, die sich zudem nicht von der Klavierbegleitung trennen ließ. Das Stück wanderte zurück ins Archiv.

„Now and Then“ ist Paul McCartney Chance, ein letztes Mal ein Lennon-Lied zu veredeln

Paul McCartney aber erwähnte den Track immer wieder in Interviews, eines Tages würde er ihn fertigstellen. Es war seine Chance, ein letztes Mal einen unfertigen Lennon-Song zum Pop-Meisterstück zu vollenden. 2001 starb George Harrison und die Mehrheitsverhältnisse änderten sich. Allerdings holten die beiden letzten Beatles den Segen von Harrisons Witwe Olivia und seinem Sohn Dhani ein. Blieb das technische Problem.

Die Lösung kam in Sicht, als es Regisseur Peter Jackson („Herr der Ringe“) für seine epische Beatles-Dokumentation „Get Back“ gelang, mithilfe eines eigens entwickelten neuronalen Netzwerks einzelne Instrumente, Stimmung und Unterhaltungen der Bandmitglieder von alten Analog-Bändern zu isolieren. Diese Technik konnte auch erfolgreich auf die Lennon-Aufnahme angewandt werden und führte zu unsinnigen Schlagzeilen, denen zufolge KI einen verlorenen Beatles-Track ergänzt habe. „Nichts wurde künstlich oder synthetisch erschaffen“, bekräftigt McCartney: „Es ist alles echt und wir spielen alle auf dem Track.“ Peter Jackson führt nun auch Regie beim Video zu „Now and Then“, das einen Tag später als die Single erscheint.

So ist der neue Song der Beatles, die Streicher erinnern an „I am the Walrus“

Bleibt die alles entscheidende Frage, wie der neue Eintrag in die wichtigste Diskografie der Pop-Geschichte denn nun ausgefallen ist? Nach Ringos Anzählen hört man zunächst nur John am Klavier, dazu eine verhalten geschlagene akustische Gitarre, langsam stoßen Bass, Schlagzeug und Streicher dazu, letztere erinnern ein wenig an die von „I am the Walrus“ - aber nichts drängt hier nach vorne, das Klangbild wirkt fragil, psychedelisch hingetupft.

Als Johns Stimme in der zweiten Strophe erstirbt und Paul „that I love you“ ergänzt, hat der Song schon seinen emotionalen Höhepunkt erreicht. Der Refrain ist dagegen als Melodie kaum vorhanden und das Slide-Gitarrensolo - stammt es noch aus den Sessions mit Harrison oder hat es McCartney in seinem Sinne nachgespielt? - droht das zarte Stück zu überfrachten. Nüchtern betrachtet gehört „Now and Then“ zu den schwächsten Beatles-Kompositionen, aber als wehmütige Geisterbeschwörung, als vierminütige Coda zum gewaltigen Katalog der Band, berührt es doch ungemein.