Nächste Woche kommt das Biopic „Bob Marley: One Love“ in die Kinos. Im Kölner Cineplex konnte man es schon vorab sehen. Unsere Kritik.
„One Love“ am HohenzollernringSo feierte das Reggae-begeisterte Köln die Premiere des Bob-Marley-Films
Am Mittwochabend hatte Paramount Pictures zu einer Galavorstellung des Films „Bob Marley: One Love“ in den Cineplex Filmpalast am Hohenzollernring geladen, eine Woche, bevor das Biopic in den deutschen Kinos anläuft. Der Ortstermin kommt nicht von ungefähr, die transatlantische Freundschaft zwischen Kingston und Köln währt schon seit Jahrzehnten.
Mit dem Pow Pow Movement, das als eines der ersten ernstzunehmenden deutschen Soundsysteme jahrelang die freitägliche Dancehall-Party im Petit Prince bestritt. Mit Stars wie Gentleman und Patrice, der anlässlich des Films ein respektvoll-akustisches Cover von Marleys Song „One Love“ veröffentlicht hat. Und nicht zuletzt mit dem Summerjam, dem größten Reggae- und Dancehall-Festival Europas, das seit 1996 allsommerlich den Fühlinger See in ein karibisches Überseegebiet verwandelt. Niemals, ohne dass zur Eröffnung der „Redemption Song“ abgesungen wird – von dem der Film-Marley sagt, er habe sein ganzes Leben daran geschrieben – und selten, ohne dass einer der Söhne Marleys im Programm vertreten ist.
Das Kölner Screening, erzählte Jann-Jakob Loos vom Summerjam im voll besetzten Kinosaal, habe man der Nachfrage von Ziggy Marleys Manager zu verdanken, ob das Festival den Film nicht unterstützen möchte. Ziggy, der seinen Rufnamen einer kindlichen Begeisterung für David Bowies Glamrock-Alien zu verdanken hat, gilt als treibende Kraft hinter dem Projekt. Der älteste Marley-Sohn fungiert als Produzent und Sprecher der großen Familie des Reggaestars, sein Bruder Stephen übernahm die musikalische Leitung des Films. Jahrelang, sagte er dem „Rolling Stone“, habe man Angebote von außen pauschal abgelehnt, bis die Familie 2018 schließlich gemeinsam beschloss, Paramount selbst einen Vorschlag zu unterbreiten.
2018, das war das Jahr, in dem „Bohemian Rhapsody“ sämtliche Kassenrekorde brach, obwohl die Kritiken des Freddie-Mercury-Biopic eher mau ausgefallen waren. Brian May und Roger Taylor, die noch aktiven Mitglieder von Queen, hatten die kreative Kontrolle nicht aus der Hand gegeben, man sah ihre geschönte Version der Geschichte, endend nicht mit dem Aids-Tod ihres charismatischen Sängers, sondern mit dem triumphalen Live-Aid-Auftritt der Band.
Ob der Erfolg von „Bohemian Rhapsody“ für Bob Marleys Familie den Ausschlag gab?
Auch „Bob Marley: One Love“ beugt sich künstlerisch dem Einfluss der Angehörigen. Erzählen darf Regisseur Reinaldo Marcus Green („King Richard“) nur, was die Familie mit der Öffentlichkeit zu teilen bereit ist. Großes Gewicht erhält Marleys Rastafarianismus. Am Ende sehen wir, wie sich im Traumbild die Reiterfigur des abwesenden Vaters als der äthiopische Kaiser Haile Selassi entpuppt, den die Rastafari bekanntlich als wiedergekehrten Messias verehren. Das mag der säkularisierte Europäer einigermaßen bizarr finden, den Film und seine Hauptfigur macht es allemal interessanter.
Schade nur, dass in vielen anderen Bereichen die familiäre Zensur greift. Der Mensch Marley hat zu viele Leerstellen, die unweigerlich mit Klischees aufgefüllt werden, wie man sie aus unzähligen verfilmten Biografien berühmter Recording Artists von der „Benny Goodman Story“ (1956) bis zum Aretha-Franklin-Biopic „Respect“ (2021) kennt: Wir sehen, wie der ewig suchende Künstler im Studio einen neuen Sound findet, wir sehen, wie das fertige Album die Charts hochklettert, wie die Fans den frischgebackenen Star frenetisch auf der Bühne feiern, wie er bei offiziellen Terminen der Plattenfirmen von VIP zu VIP gereicht wird. Woraufhin unweigerlich die Konfrontation mit den Menschen folgt, die ihn noch aus alten, weniger erfolgreichen Tagen kennen, „der Ruhm hat dich verändert“, etc.
Das ermüdet und vor allem negiert es die Einmaligkeit der Person Bob Marley, des vielleicht ersten wirklichen Weltstars, wenn man unter Weltstar jemanden versteht, der nicht nur im Westen, sondern wirklich überall verehrt wird. Einer der Hauptkonflikte im Mittelteil des Films resultiert aus der Forderung des Sängers, nicht nur in Europa und den USA, sondern auch in Afrika zu touren. Wir sehen, wie Marley dank seines „Exodus“-Albums in den Rock-Kanon aufgenommen wird. Seine Reisen nach Äthiopien und Kenia, sein berühmtes Konzert 1980 in Simbabwe spart der Film jedoch — bis auf einige Dokumentaraufnahmen im Abspann — aus.
Mit dem direkten Vergleich zum Original tut man Hauptdarsteller Kingsley Ben-Adir keinen Gefallen. Zwar trägt der britische Schauspieler, der in „One Night in Miami ...“ als Malcom X überzeugen konnte, den Film mit Würde, Lässigkeit und glaubwürdigem jamaikanischem Patois, doch Marleys hyperalerte Drahtigkeit, den Eindruck, in einer anderen Wirklichkeitsdimension zu vibrieren, vermag Ben-Adir nicht zu vermitteln. Lashana Lynch („Captain Marvel“, „No Time to Die“) hat als Frau und Ratgeberin Rita Marley die dankbarere, weil weniger ikonische Rolle. Selbstverständlich ist die Verletzlichkeit und Autorität, mit denen sie den Rest des Ensembles an die Wand spielt, deshalb noch lange nicht.
Die definitiv beste Entscheidung des Films ist freilich, sich auf 17 besonders ereignisreiche Monate im Leben des Stars zu konzentrieren, vom versuchten Mordanschlag im Dezember 1976, bis zum One Love Concert im April 1978, auf dem Marley – inmitten des politischen Bürgerkriegs in Jamaika – die beiden Köpfe der verfeindeten politischen Parteien zu sich auf die Bühne rief, um im gemeinsamen Handschlag Einigkeit zu demonstrieren (allerdings setzte die schöne Geste der Gewalt kein Ende, bis zur nächsten Wahl hatte sich die Mordrate verdoppelt).
Dazwischen fällt Marleys Exil im London der anbrechenden Punk-Jahre, der kommerzielle Durchbruch im Westen, die fatale Krebsdiagnose. Es ist der Stoff für Legenden, die größer sind als einzelne Aufnahmen, als alte Live-Videos und ganz sicher als dieses Biopic.