Operation am Gedächtnis der Stadt
Drei Mal umgezogen, lautet eine alte Weisheit, ist wie einmal abgebrannt. Vielleicht sieht es im Rheinischen Bildarchiv deshalb so angenehm verwohnt aus. Wer das visuelle Gedächtnis einer ganzen Region bewahrt, setzt seine Bestände nicht ohne Not oder gewichtigen Anlass den Gefahren eines Ortswechsels aus. Jetzt muss es aber doch sein: Das Bildarchiv, kurz RBA, verlässt seine altehrwürdige Heimat in der Kattenbug, um in das noch im Bau befindliche Historische Archiv am Eifelwall zu ziehen.
Es ist eine Operation am Gedächtnis der Stadt, die, so Archivleiterin Johanna Gummlich, in Deutschland bislang ohne Beispiel ist. Rund 5,4 Millionen Bilder lagern im RBA, darunter Tausende alte Glasnegative und etwa 323 000 Abzüge, die seit den 1920er Jahren von Hand auf Karton geklebt und anschließend in gut 4800 schwarze Archivkästen gesteckt wurden. Um diese Positive kreisen derzeit die Sorgen des Archivs. Einem eigens hinzugezogenen Umzugslogistiker, so Gummlich, genügte ein Blick auf die Pappkästen, um zu prophezeien: „Das verschickt niemand mehr. Kein Spediteur wird das transportieren.“
In diesen Kartons lagern zwar nicht die zahlreichen Nachlässe bedeutender Kölner Fotografen – allein von Chargesheimer (1924-1971) besitzt das 1926 gegründete Archiv 40 000 Negative. Aber immerhin die Aufnahmen der stetig wachsenden Sammlungsbestände der städtischen Museen sowie der Fundus des Kölner Stadtkonservators. Ohne dessen Fotografien des historischen Stadtbilds wäre es nach dem Zweiten Weltkrieg wohl nicht möglich gewesen, die zerstörten romanischen Kirchen und andere Baudenkmäler so vortrefflich zu restaurieren.
Im Durchschnitt erreichen das RBA jährlich etwa 1000 Anfragen nach hochwertigen Abzügen aus dem Fotografiebestand. Meistens kommen diese aus Wissenschaft und Forschung. Aber auch jeder Bürger kann sich einen Wunsch erfüllen und sich etwa eine historische Aufnahme des eigenen Geburtshauses anfertigen lassen. Die Internetseite „Kulturelles Erbe Köln“, digitale Datenbank und zugleich Schaufenster des RBA mit weit über 400 000 Einträgen, verzeichnet jährlich mehrere Millionen Zugriffe.
Ein gutes Jahr haben die Mitarbeiter des RBA erst darüber nachgedacht und dann ausprobiert, wie sich der Umzug möglichst rasch und ohne Schäden bewältigen lässt. Schließlich mussten die über 323 000 Bilder aus den 4800 alten Kartons genommen, vorsichtig gesäubert und in der richtigen Reihenfolge wieder in die neuen, grauen Kartons gelegt werden. Und da dies in dieser Form zum ersten Mal passiert, war nicht abzuschätzen, wie lange es dauert, wie viele Mitarbeiter es dafür braucht und wie viel Geld es kostet.
In der Testphase wurde der Plan zweier Arbeitsstraßen entworfen, an denen nun insgesamt 30 Restauratoren schichtweise im Akkord arbeiten. In der ersten Station werden die Archivkartons ausgepackt und jedes einzelne Bild unter einer Absauganlage mit einer Spezialbürste gesäubert; danach werden die Positive mit einem Staubtuch gewischt und zurück in die Kästen gelegt. Erst an der dritten und letzten Station der Arbeitsstraße ziehen die Bilder in ihre neuen Behältnisse um; zuvor legen zwei Restauratorinnen Schutzblättchen zwischen die einzelnen Bildkartons und gleichen deren Reihenfolge mit einem Mikroficheverzeichnis ab.
Auf Menschen, die keine Archivare sind, wirkt die Ordnung im RBA speziell. Die Bilder sind topographisch nach Orten sortiert, innerhalb der Städte geht es von außen nach innen; die an den Rändern erbauten Museen und Kirchen liegen also vor denen im städtischen Kern. Jeder Kasten trägt eine entsprechende Kennzeichnung, ansonsten nutzen die Archivare alte Findbücher und den Mikrofichekatalog; die digitale Datenbank reicht dafür meist noch nicht weit genug in die analoge Zeit zurück.
Das Ganze geschieht bei laufendem Archivbetrieb. Das RBA, so Gummlich, müsse jederzeit in der Lage sein, ein gewünschtes Bild aus seinem Kasten zu holen. Deshalb ziehen sich die Arbeitsstraßen an übervollen Regalen entlang durch die engen Räume, jeder fertig bearbeitete Kasten trägt einen gelben Punkt für gereinigt und ein „x“ für sortiert.
Zurück bleibt der Schmutz aus über 90 Jahren. Am Anfang der Arbeitsstraße steht ein Eimer ehemals weißer Arbeitshandschuhe, spätestens nach drei Tagen ist er bis an den Rand gefüllt. Außer Staub begegnen den Restauratoren auch andere „Schädlinge“, etwa ausgeblutete Tinte (viele Bildträger tragen neben Bleistiftnotizen auch Stempelabdrücke), und selbst Schimmel kommt manchmal vor. In Archivräumen müssen Temperatur und Luftfeuchtigkeit streng überwacht werden, bereits nasse Mäntel am Garderobenständer bringen das Raumklima aus dem Gleichgewicht. „Hier wird nur nebelfeucht gewischt“, so die Restauratorin Eva Boer.
Mit den Bildkartons sei man im Plan, sagt Johanna Gummlich, spannend werde es mit den zerbrechlichen Glasnegativen; die werden als nächstes versandfertig gemacht. Alle Archivalien aus leicht entzündlichen Materialien wie Zellulose oder Nitrat wurden dagegen schon in einen Bunker vor den Stadttoren ausgelagert, dorthin, wo auch die Veranstalter großer Silvesterfeierlichkeiten ihre Raketen deponieren. Offenbar ist das Rheinische Bildarchiv für den Umzug gut gerüstet. Jetzt muss nur noch das neue Zuhause pünktlich fertig werden.
Eva Boer, Restauratorin
ZUM BILDARCHIV
Das Rheinische Bildarchiv Köln (RBA) wurde 1926 gegründet, um die Bestände der städtischen Museen und Baudenkmäler zu dokumentieren. Mittlerweile gehören auch zahlreiche Nachlässe von Fotografen und Aufnahmen aus dem Umland zum über 5,4 Millionen Bilder umfassenden Archiv. Ein bedeutender Teil lässt sich in der Internet-Datenbank des RBA „Kulturelles Erbe Köln“ recherchieren. (KoM)