Die Kölner Aufführung von Monteverdis „Die Krönung der Poppea“ ist ein eindrucksvoll inszeniertes Schauspiel von Macht und Leidenschaft.
Opernpremiere in KölnErotische Momente in „Die Krönung der Poppea“
Am Ende sind sie in ungetrübtem Liebesglück vereint, der selbstherrliche Despot und die zur Kaiserin erhobene Kurtisane. Kein göttliches Strafgericht macht sich bemerkbar, nicht einmal ein tadelnder Chor tritt zusammen, nachdem Nerone und Poppea ihr berühmtes Schlussduett gesungen haben. „Pur ti miro, pur ti godo“ – „Dich bewundern, dich genießen“ – hauchen sie einander zu, in Linien, die sich wie Arme umschlingen, in wohligen Dissonanzen, die sich reiben wie Haut auf Haut.
Es ist die unbedingte, aller Moral enthobene Wahrheit der Körper und ihrer Bedürfnisse, die in Claudio Monteverdis 1642 uraufgeführter Oper „Die Krönung der Poppea“ ausgesprochen wird. Ted Huffmans eindrucksvolle Inszenierung zeigt das in jedem Moment. Sie entstand 2022 für das Festival in Aix-en-Provence und wanderte nun im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung an die Kölner Oper weiter.
Monteverdi-Oper in modernem Gewand
Der amerikanische Regisseur präsentiert das antike Personal als elegante und standesbewusste Upper-Class-Gesellschaft – schöne junge Menschen, die dezidierte Ansprüche an die Erfüllung ihrer erotischen Begierden haben. Die Bühne im Deutzer Staatenhaus bleibt weitgehend leer. Nur ein paar Tische und Stühle stehen im Raum, im Hintergrund gibt es ein Wartehaus für diejenigen, die gerade nichts zu singen haben. Alle Personen sind (zumindest im ersten Teil des dreistündigen Abends) ständig auf der Bühne und sehen scheinbar ungerührt den Triumphen der anderen zu, die immer zugleich die eigene Erniedrigung darstellen – und umgekehrt.
In Monteverdis letzter Oper finden sich noch jene zeittypischen allegorischen Gestalten, die den Menschen als Spielball höherer Mächte zeigen. Aber im Grunde haben die handelnden Personen ihr Leben längst selbst in die Hand genommen: Das in Gestalt eines großen Rohres über der Szene schwebende Schicksalspendel senkt sich denn auch zuweilen in Greifhöhe herab, wird von den einen kraftvoll angestoßen und kommt den anderen mächtig in die Quere.
Im Spiel um Macht und Leidenschaft zerrinnen die moralischen Bewertungen indes mehr und mehr. Ted Huffmann führt das virtuos vor: Sein Nerone ist kein wild wütender Psychopath, sondern eine kultivierte, mit dekorativen Studio-Muskeln bepackte Führungspersönlichkeit. Der britische Countertenor Jake Arditti spielt das genussvoll aus; eine gewisse Schärfe in der Höhe bedient dabei sinnfällig die herrisch-aggressiven Züge des Charakters. Elsa Benoit formt die Titelpartie mit leichtgängiger Agilität und lyrischer Fülle. Die erotische Faszination ist hier offenkundig beiderseitig; Poppea plant ihren Aufstieg zur Kaiserin keineswegs nur aus kaltem Machtinteresse.
Dieses „hohe Paar“ ist mit der Produktion nach Köln gereist, was vermutlich auch nicht anders denkbar wäre: Der Regisseur verlangt den beiden ein Maß an Intimität ab, wie man es auf der Opernbühne nicht oft erlebt. Diese besondere Körpernähe bezieht auch den exzellenten Tenor Laurence Kilsby als Nerones Gefährten Lucano ein, der sich mit den beiden (als effektvolles Schlussbild vor der Pause) zu einem knisternden Dreier verbindet.
Gesamtpersonal und Kölner Countinuo beeindrucken
Die übrige Besetzung steht diesem Trio nicht nach. Nerones verlassene Ehefrau Ottavia hat zwei emotional ausgreifende Monologe, die Adriana Bastidas-Gamboa mit rückhaltloser Hingabe gestaltet, wobei sie in Klang und Timing jederzeit souverän die Kontrolle behält. Ottone, Poppeas gehörnter Ehemann, wird von der Regie zum Schuljungen in kurzen Hosen infantilisiert, bewahrt sich in der Darstellung durch den wunderbaren Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian aber zugleich ein hohes Maß an Würde.
Maria Koroleva aus dem Opernstudio verleiht Ottones Geliebter Drusilla eine natürliche Anmut, die ein gewisses Maß an egoistischer Berechnung keineswegs ausschließt. Überhaupt meidet Huffmans Personenzeichnung jede Schablone. Nicht einmal der Philosoph Seneca, der den Kaiser für seine Unmoral kritisiert und zum Selbstmord gezwungen wird, ist ein echter Sympathieträger: Mit sonorer Basswucht lässt Christoph Seidl den vermeintlichen Stoiker als ideologischen Eiferer erscheinen. Und was seine eigenen Schüler von ihm halten, wird in einer makaber-zynischen Trauerzeremonie hinreichend deutlich.
Zum absoluten Publikumsliebling avancierte in der Premiere der Tenor John Heuzenroeder, der die beiden Ammen Arnalta und Nutrice mit einer Mischung aus Lüsternheit und abgebrühter Lebensweisheit ausstattet – und dabei die Stimme zuweilen aufdreht wie ein neapolitanischer Straßensänger. Da formen sich auch hinreißende Buffo-Szenen mit der vital zupackenden Camille Poul, die zugleich als Liebesgott Amor und vorwitziger Page Valletto in Erscheinung tritt.
Die frühe Oper kennt noch kein Orchester im gewohnten Sinne. Die Sänger werden ausschließlich von einer differenziert besetzten Continuo-Gruppe begleitet; dazu kommen einige wenige Streicher, die aber nur in den Vor- und Zwischenspielen hervortreten. In Köln macht vor allem das mit Cembali, Theorben, Orgel, Harfe und Regal üppig ausgestattete Continuo großen Eindruck: Es rauscht und glitzert den ganzen Abend hindurch; die ebenso stilkundigen wie improvisationsfreudigen Spezialisten passen sich dabei den wechselnden Aggregatzuständen der Gesangspartien flexibel an. Die kleine, um zwei Flöten erweitere Streichergruppe des Gürzenich-Orchesters klingt nicht unbedingt sehr barock, ist aber bedarfsweise mit schönem tänzerischem Elan bei der Sache. Die szenisch wie musikalisch überragende Produktion wurde zurecht begeistert gefeiert.
Zur Veranstaltung
„Die Krönung der Poppea“ von Claudio Monteverdi. Weitere Aufführungen: 9., 12., 15., 18., 20., 22., 24., 29., 30.05. Weitere Informationen gibt es hier.
Stückbrief
Musikalische Leitung: George Petrou, Inszenierung: Ted Huffman, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Astrid Klein, Sänger: Elsa Benoit, Jake Arditti, Adriana Bastidas-Gamboa, Paul-Antoine Bénos-Djian, Christoph Seidl, Maria Koroleva, Laurence Kilsby, John Heuzenroeder, Camille Poul, Orchester: Gürzenich-Orchester, Dauer: Drei Stunden (inklusive einer Pause)