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Ortskräfte in der UkraineIhr stiller Einsatz für die Berichterstattung

Lesezeit 6 Minuten
Von Links nach Rechts André Erlen, Stefan Kraft und Pavlo Yurow in Butscha 2024

Von Links nach Rechts André Erlen, Stefan Kraft und Pavlo Yurow in Butscha 2024

Die Kölner Theatergruppe Futur3 recherchiert in der Ukraine über Ortskräfte, die der internationalen Kriegsberichterstattung zuarbeiten.

Die Yablonska Straße ist wieder aufgeräumt: Eine gepflegte Vorstadtsiedlung, 30 Kilometer von Kiew entfernt, viele Häuser sind frisch renoviert. Nur ein paar Einschusslöcher an Fenstern künden vom Grauen, das hier in Bucha stattgefunden hat. Ein paar dürre Bäume am Ende der Straße wurden als Mahnmal gepflanzt. Vor rund zwei Jahren wurde der ukrainische Vorort, 30 Km von Kiew entfernt, zum Symbol der russischen Kriegsverbrechen. Rund 400 Zivilisten wurden hier zum Opfer eines russischen Massakers. Auf Fotos von damals sieht man sie mit Panzerschrott und Leichen übersät. Heute sieht die Straße aus, als sei hier nie etwas geschehen.

Vorsichtig, fast ehrfurchtsvoll gehen André Erlen und Stefan Kraft von der Kölner Theatergruppe Futur3 die Straße entlang, sie recherchieren für ihr neues Stück, das im Frühjahr 2025 am Schauspiel Köln Premiere haben wird. Begleitet werden sie von Pavlo Yurow, 40 Jahre alt, ein ukrainischer Theaterregisseur und langjähriger Freund. Nach dem Abzug der russischen Truppen einer der ersten vor Ort – als „Fixer“, lokale Ortskraft, hat er ein französisches Dokumentarfilmteam begleitet. „Ich habe noch nie so viele Tote an einem Ort gesehen“, erzählt Pavlo und zeigt uns die heute so harmlos aussehenden Stellen, „es ist ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein – fast wie im Metaverse“. Zwei Dimensionen von Zeit und Raum liegen an diesem Ort übereinander, ohne ihn könnten wir sie kaum erfassen.

„Ich habe noch nie so viele Tote an einem Ort gesehen. Es ist ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein – fast wie im Metaverse.“
Pavlo Yurow, ukrainischer Theaterregisseur

Über das Phänomen der journalistischen „Fixer“, abgeleitet aus dem Englischen „to fix“, Probleme lösen, dreht sich das neue Futur3-Projekt, das ich journalistisch begleite. Reisen und tiefgründige Forschung gehören zum Markenzeichen des Kollektivs, das seit zwanzig Jahren zu den wichtigsten in Köln gehört. In seinen bisher rund 50 Stücken wurde es oft preisgekrönt, ist intensiv in Geschichte und Politik eingetaucht, integriert oft das Publikum, spielt oft an ungewöhnlichen Orten: im NS-Dok („Stimmen -1934“) oder Offizierskasino („Eine Nacht in Afghanistan“), dem Hotel Pulmann, einer alten Gießerei oder einer Marienburger Villa.

Tiefenschürfungen in vielen Dimensionen: zuletzt verstörte ihre intensive Arbeit über den Holodomor, die von Stalin herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine in den 1930er Jahren, am Schauspiel Köln („Die Revolution lässt ihre Kinder verhungern“). Aber manchmal recherchieren sie auch lustvoll und selbstironisch im eigenen Privatleben herum, forschen etwa nach eigenen toxischen Männlichkeitsanteilen („Surviving Men“). Die engen Kontakte zu ukrainischen Künstlern kommen nicht zuletzt zustande, weil die Musikerin Mariana Sadovska, Frau von André Erlen, ukrainische Wurzeln hat.

Er fand den Mörder seiner Mutter auf Instagram

Zurück in Bucha. Auf unsere Bitte spricht Pavlo Yurow nun einen der Männer hinter einer Gartenmauer an. Auch sein Haus ist frisch renoviert. Nur ein Schriftzug, in den Staub der Mauer geschrieben, ist stehengeblieben: „Körper“, auf Ukrainisch. So haben Rettungskräfte Häuser gekennzeichnet, in denen Leichen lagen. Fast wirkt der Mann froh, seine Geschichte loszuwerden. Nüchtern erzählt er, wie ein Scharfschütze ihm ins Bein schoss und nur knapp verfehlte - und anschließend im Hof seine Mutter umbrachte. Und dann zeigt er uns das Instagram-Profil des Täters: ein blonder junger Mann mit einem Kind im Arm. Bis ins Innenministerium nach Kyiv sei er gereist, um den Mörder seiner Mutter zu identifizieren, übersetzt Pavlo. Dort setze der ukrainische Geheimdienst die App „Eye of god“ zur Gesichtserkennung russischer Soldaten ein und kann ihre Social Media-Profile lokalisieren. Die Geschichte ist furchtbar und lässt nicht mehr los.

Wenig später kommen wir zur weißen Kirche im Zentrum der Stadt. Hinter ihr liegt das Massengrab der Getöteten, ist ein großes Mahnmal aufgebaut – silbern blinken die Gedenktafeln. Inbrünstig singen drei Frauen im Zwiegespräch mit dem Pater, wiegen sich die Gottesdienstbesucher im Takt der Musik: der wöchentliche Gedenkgottesdienst. Dank Pavlo sprechen wir mit dem Küster, der das Grab aushob und mit einer Frau, die die gerade aus der Messe kommt. Sie bricht fast sofort in Tränen aus und umarmt uns am Ende des Gesprächs: die Traumata des Ortes sitzen hier sehr frisch an der frisch renovierten Oberfläche. Ohne Pavlo Yurows Empathie und Sprachkenntnis hätten wir sie nicht erfahren.

Stille Brückenbauer im Hintergrund der Berichterstattung

„Fixer“ wie er, oder besser: lokale Produzenten, sind stille Organisatoren, Brückenbauer und Pannenhelfer. Ohne sie wäre die Berichterstattung über den russischen Überfall auf die Ukraine nicht möglich. Sie sind nicht fest angestellt und werden in Frontberichten oft nicht erwähnt, begeben sich dabei aber häufig in größte Gefahr. Oksana Leuta, die uns als Fixerin in Kyiv ebenfalls begleitet, eigentlich Schauspielerin und Russischlehrerin, war etwa direkt dabei, als der französische Journalist Fréderic Leclerc an der Front getötet wurde – sitzend auf dem Pick Up des Teams, auf der Jagd nach dem besten Foto.

Wie viele lokale Produzenten es in der Ukraine gibt, weiß niemand, zwölf von ihnen werden Erlen und Kraft im Laufe der Reise interviewen. „Fixer“ sind nirgendwo registriert, waren vorher Lehrer, Lokaljournalisten, Künstler. Rund 1400 sind in einem privaten Telegram-Chat vernetzt, teilen Sorgen, besprechen, mit wem man gut arbeiten kann und wer Probleme macht. Ein großes Thema ist da etwa die Klage der Eltern von Oleksandra Kuvshinova gegen den US-Sender Fox News, wegen Missachtung von Sicherheitsstandards. Im März 2022 kam die 24-jährige Ortskraft bei einem Einsatz für den Sender ums Leben. Hätte sie den Fronteinsatz verweigern können?

Das sei nicht so einfach, erzählt am nächsten Tag Mariana Matveichuk, 38 Jahre alt – Ortskräfte spielten hinter den Journalisten stets in zweiter Reihe, auch wenn sie die Hauptarbeit leisteten. „Internationale Reporter benehmen sich manchmal wie Stars, kurz vor dem großen Karrieresprung. Für eine gute Story nehmen sie hohe Risiken auf sich.“ Einerseits gebe es gutes Geld für die Arbeit, viele Kontakte und Karrierechancen ergeben sich: 250 Dollar gibt es für Einsätze in Kiew, 300 für einen Fronteinsatz – viel mehr als das ukrainische Durchschnittsgehalt von rund 500 Euro. Und doch herrsche zwischen Auslandsjournalisten und Ortskräften zuweilen ein Machtgefälle, das sich nicht immer gut anfühle. Etwa, als eine BBC-Geschichte, in der sie half, zwei Scharfschützen zu porträtierten, preisgekrönt wurde. Einer der beiden Sniper kam danach bei einem Bombenangriff ums Leben. „Ich fühlte mich schlecht. Für einen Moment fühlte es sich an wie: Ukrainer sterben, während ihr eure Karrieren darauf aufbaut. Aber letztlich – waren es eben doch nur zwei gegensätzliche Nachrichten zur gleichen Zeit“, sagt sie.

Ein Leben im Widerspruch

Widersprüchlich und zerrissen fühlt sich das Leben als lokale Produzentin für viele unserer Gesprächspartner an, manche nehmen Antidepressiva oder steigen aus. Pavlo Yurow etwa arbeitet inzwischen als Presseoffizier bei der Armee. Und doch, erzählt etwa der ARD-Korrespondent Vassili Golod beim Gespräch auf einer lauschigen Kyiver Caféterasse beim Avocado-Toast, werde ihre journalistische Relevanz mittlerweile stärker gewürdigt, veröffentlichten sie zunehmend selber Beiträge, stünden ihnen eigene Karrieren als Journalisten offen.

Wie viel vom Interviewmaterial am Ende in ihr Stück einfließen wird, wissen André Erlen und Stefan Kraft noch nicht, die ihre Theatergruppe mit dem Kollegen Klaus Maria Zehe im Jahr 2004 gegründet haben und an diesem Wochenende im Orangerie-Theater ihr Jubiläum feiern. Entstanden ist der Name übrigens bereits im Jahr 2003, als die drei Gründer zeitgleich kleine Kinder bekamen – Zukunft hoch drei eben. Eine lange Theaterreise in viele Dimensionen ist tatsächlich daraus geworden. Längst erwachsen sind die Kleinkinder von damals, doch die große Zukunftsverheißung ist geblieben. Mögen Futur3 auch in den nächsten zwanzig Jahren erfolgreich sein.


„Making the story - ukrainische Fixer im Krieg“ von und mit Futur3 wird im März 2025 am Schauspiel Köln Uraufführung haben