Philosophin Eva von Redecker, Jahrgang 1982, glaubt, dass wir nicht mehr so weitermachen können wie bisher und fordert eine Revolution für das Leben. Jetzt lädt sie zu einer neuen Gesprächsreihe in das Schauspiel Köln.
Philosophin Eva von Redecker„Die Leute wollen ihr Leben zurück“
Eva von Redecker, am Samstag, dem 19. November, feiern sie mit einer neuen philosophischen Gesprächsreihe Premiere in Köln, „Eva and the Apple“. Wer hat Ihnen die Frucht angeboten?
Eva von Redecker: Ich bekam eine reizende E-Mail vom Chefdramaturgen, der zu meinem Erstaunen schon länger meine Bücher verfolgt hat. Wir waren uns schnell einig, dass es wirklich eine philosophische Gesprächsreihe sein soll. Statt einer politischen Debatte mit möglichst verschiedenen Meinungen wollen wir versuchen, einen Raum zu schaffen, in dem man auch mal in die Tiefe gehen kann oder fragen: Was heißt das eigentlich, eine bestimmte Meinung zu haben? So ein philosophisches Format ist in Köln sicher gut beheimatet, es gibt hier ja auch die phil.Cologne. Das Publikum hat sich an öffentliche Philosophie gewöhnt, die den Elfenbeinturm links liegen lässt.
Man könnte sogar sagen, Philosophen sind öffentlich so gefragt, wie selten zuvor, als Welterklärer in unübersichtlichen Zeiten.
Ich glaube, Philosophen sollten keine Welterklärer sein. Sie sind ja für nichts Experten, außer für das Fragenstellen. In den Anfangsszenen der Philosophie, bei Platon und Sokrates, geht es nicht darum, die Welt zu erklären, sondern darum, die Welt zu durchdenken. Zu versuchen, die Begriffe und Vorstellungen, mit denen man sich die Welt erklärt, besser zu verstehen. Je länger man denkt, desto unsicherer wird man oft. Das heißt nicht, dass man sich vor Antworten drücken will. Aber ich glaube, Philosophie ist immer etwas Öffnendes und nicht etwas Abschließendes. Da liegt jedenfalls meine Leidenschaft.
Und das offenere Denken findet man im Gespräch?
Ja, dazu braucht man ein Gegenüber. Es ist auch für mich viel verlockender nach Köln zu kommen, um interessante Menschen zu treffen und dem Publikum ausgesetzt zu sein. Wenn ich etwas erkläre, dann wusste ich es ja schon vorher, das ist eher langweilig. Ich will fragen und verstehen.
Als erstes Gesprächsthema haben Sie sich „Arbeit“ ausgesucht. Warum?
Ich komme ja aus der Sozialphilosophie. Da gibt es gerade drängende Fragen: Wie arbeitet man in einer Lage, in der sich einerseits die Gestalt der Arbeit durch neue Technologien drastisch ändert, andererseits aber selbst in den Wohlstandsgesellschaften plötzlich wieder infrage steht, ob man von seiner Arbeit überhaupt leben kann? Das sind dramatische Zustände. Und drittens: Können wir die Art, wie wir arbeiten, so verändern, dass sie nicht zur Voraussetzung hat, weiter den Planeten kaputt zu benutzen?
In philosophischen Definitionen von Arbeit ist viel vom Schöpferischen die Rede, von der sinnstiftenden Funktion der Arbeit. Wenn die meisten Menschen abends nach Hause kommen, reden sie ganz anders von ihrer Arbeit. Woher kommt diese Diskrepanz?
Diese Diskrepanz kommt aus dem Zusammenprall von Theorie und Praxis. Und der kann ganz unterschiedlich ausgehen. Der hochtrabende Arbeitsbegriff könnte vertuschen, was schlecht und leidbringend an der Realität ist: Beklag Dich nicht über Deine Arbeit, ohne sie wärst Du nichts und niemand. Aber man kann das Ideal auch ernstnehmen und damit gerade die schlechten Verhältnisse aufrütteln. Wenn du abends nach Hause kommst, zu Tode erschöpft bist und mit jeder Faser spürst, dass sowohl die Bedingungen als auch der Inhalt der Tätigkeit nicht richtig sind – dann kann man diese Erfahrung an dem, was wir in der Philosophie den normativen Arbeitsbegriff nennen, messen, und sagen: Im Grunde ist das hier gar keine Arbeit, sondern nur meine verkaufte Zeit, in der ich irgendwas machen muss, womit jemand anderes sein Geld vermehrt. Und man kann fragen, was den Kern von Arbeit ausmachen sollte. Etwa, dass sie sinnstiftend ist, weil und während sie etwas für andere Sinnvolles hergestellt. Das Verrückte ist ja, dass gerade die Arbeit, deren Sinn wirklich nicht infrage steht, also etwa die pflegerischen Berufe, oft so schlecht bezahlt ist und solchen miserablen Arbeitsbedingungen unterworfen, dass es schwer fällt, in ihr den Sinn zu wahren.
Dabei gibt es doch einerseits ein gesteigertes Bewusstsein für den Wert von Pflege oder Erziehung abseits dessen, was der Markt sagt. Andererseits erleben viele für sich die komplette Durchkapitalisierung ihres Lebensumfeldes.
Ja, und ich glaube, selbst wenn man keine strenge Sozialistin ist, zeichnet sich im Moment ab, dass bestimmte Bereiche vom Markt allein nicht gemeinwohl- und zukunftsverträglich gesteuert werden können. Wir leben in einer Situation, die es so weltgeschichtlich noch nie gab: Die konservative Position ist unmöglich geworden. Wenn wir nichts tun, bleiben die bestehenden Verhältnisse gerade nicht gewahrt. Dadurch, dass diese naturgeschichtlichen Veränderungen jetzt so dramatisch sind, entsteht die größte Veränderung, wenn wir am wenigsten selbst transformieren. Dadurch ist übrigens auch der Bedarf an Orientierung oder an ernstem Nachdenken größer geworden.
In ihrem Buch „Revolution für das Leben“ denken Sie ja über eine grundlegende Umwälzung der kapitalistischen Ordnung nach …
Wobei mein Revolutionsbegriff ein ziemlich zahmer ist. Da geht es gar nicht um Regierungswechsel oder brennende Barrikaden, sondern um das Ändern des Alltags. Revolution ist das, wo nachher alles anders ist. Man sollte diesen Maximalbegriff für Veränderung nicht aufgeben und auch nicht ein paar militanten Fantasien überlassen. Wir müssen ihn für die Gegenwart durchdenken. Wie gesagt, wenn wir nichts tun, wird es umso revolutionärer, aber das ist dann eben eine Revolution, die keiner gewollt hat. Es geht um die Frage des Überlebens von ganzen Ökosystemen und Spezies. Auch die sozialen Kämpfe und Herrschaftsverhältnisse verhärten sich gerade so, dass sie ans Leben der Betroffenen gehen. Nehmen Sie den Zuwachs an Femiziden, während die allgemeine Kriminalitätsrate sinkt. Oder die langsamere Gewalt von Umweltvergiftung und ungesundem Essen, durch die vor allem arme Männer eine viel geringere Lebenserwartung haben. Auch in Arbeitskämpfen geht es inzwischen viel weniger um die Frage der Ausbeutung, als um die Frage der Erschöpfung. Die Leute wollen ihr Leben zurück.
Lautet die aktuelle konservative Position heute nicht eher: Man kann es innerhalb des Systems ändern? Etwa durch tolle, neue Erfindungen?
Ich wäre heilfroh, wenn wir jetzt endlich mal einen grünen Kapitalismus mit tollen Erfindungen hätten – und meine Rolle dann wäre, zu kritisieren, dass das noch nicht weit genug geht. Aber so ist es ja gar nicht. Stattdessen wird beim nächsten Staat Öl gekauft und noch zusätzlich Fracking erlaubt. Das ewige Argument, dass aus dem Kapitalismus der Fortschritt kommt, übersieht, dass die tatsächlichen Innovationen zu einem großen Teil aus der Wissenschaft kommen, die gerade nicht marktförmig organisiert ist.
Sie stellen in Ihrem Buch viele verschiedene Initiativen vor, viele kleine Lösungsvorschläge. Einen großen Generalschlüssel für die Zukunft, wie ihn einst das kommunistische Manifest versprochen hat, den gibt es nicht mehr?
Da kommen wir zurück zur Welterklärungsfrage. Tatsächlich versuche ich nicht, eine Zentralperspektive, sondern eine Konstellation zu beschreiben. Aber ein zentraler Wert scheint doch auf, nämlich die Regeneration. Arbeit sollte Regeneration sein und ermöglichen. Wir sehen im Gegensatz zum Kommunistischen Manifest, dass allein die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse noch nicht die Zukunft wahrt. Wir müssen die Lebendigkeit der planetaren Ökosysteme – das, was der späte Marx den Stoffwechsel mit der Natur nannte – ebenfalls mitdenken. Deswegen mag ich diesen Begriff der Regeneration, weil das eine Arbeit ist, die die Natur selbst erledigt, in ganz unterschiedlichen Zeitspannen. Menschen könnten das auch machen. Wir können es sogar gezielt tun und dabei die Lebensbedingungen aller anderen Spezies mitdenken. Da das überall passieren muss, gibt es auch nicht den einen Ort, den man erobern müsste. Regeneration kann man nicht erzwingen, genauso wenig, wie man Heilung oder Regen erzwingen kann. Dazu muss man eben die entsprechenden Bedingungen herstellen.
„Eva and the Apple“, die neue Gesprächsreihe mit Eva von Redecker feiert am 19. November im Depot 2 des Schauspiels Köln Premiere. Es geht um das Thema „Arbeit“. Gäste sind die Autorin Teresa Bücker und die Sozialphilosophin Lea-Riccarda Prix. In der zweiten Ausgabe am 11. Januar spricht von Redecker mit Kim de l'Horizon, Gewinner*in des Deutschen Buchpreises, über „Rausch“.