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Photographische Sammlung KölnBei Karl Blossfeldt ist die Welt ein Memory-Spiel

Lesezeit 5 Minuten
Drei Lichtnelken stehen nebeneinander

Eine „Lichtnelke“ in drei Varianten aus der Kölner Werkschau zum Fotografen Karl Blossfeldt

In einer Kölner Ausstellung sind 271 Originalabzüge von Karl Blossfeldts Pflanzenbildern zu sehen. Ein Traubenholunder tanzt vor Freude.

Selbst in Köln fragt sich der eine oder andere vielleicht, wozu es eigentlich einen Kunstmarkt braucht – schließlich gehören Kunstwerke ins Museum und nicht in emsige Kaufmannshände? Aber oft genug muss man den Leuten die ewigen Werte erst einmal verkaufen, damit sie als solche überhaupt erkannt werden können, und auf diesem Feld haben Galeristen seit Jahrhunderten eine unschätzbare Expertise vorzuweisen. Die berühmten Pflanzenbilder Karl Blossfeldts etwa waren bestenfalls Schattengewächse des Kunstbetriebs, bis sie Karl Nierendorf, ein frisch aus Köln nach Berlin umgezogener Kunsthändler, vermutlich in einer Gruppenausstellung der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst entdeckte.

Nicht einmal Blossfeldt selbst kam auf die Idee, in seinen Studienvorlagen eigenständige Kunstwerke zu sehen

Bis zu Nierendorfs schicksalhafter Begegnung mit Blossfeldts Pflanzenaufnahmen dienten diese einem eher schlichten, selbst der Berliner Öffentlichkeit weitgehend verborgenen Zweck. An den vielfach vergrößerten Fotografien von Schönmalven, Haarfarnen, Lichtnelken oder Bohnenkeimlingen sollten Studenten der oben genannten Kunstanstalt ihre Talente im Zeichnen und Gestalten schulen. Seit 1899 lehrte Blossfeldt, selbst ausgebildeter Bildhauer, das Fach „Modellieren nach lebendigen Pflanzen“ in „Ergänzungskursen“, und nicht einmal Blossfeldt selbst kam auf die Idee, in seinen zu Hunderten produzierten Studienvorlagen eigenständige Kunstwerke zu sehen. Vielleicht war er auch einfach zu sehr damit beschäftigt, der Schulleitung Zugeständnisse wie Kurse bei Tageslicht oder die regelmäßige Säuberung der Klassenzimmer abzutrotzen.

Karl Nierendorf hingegen kam, sah und verkaufte der Kunstwelt eine Sensation. Im April 1926 zeigte er Blossfeldts ebenso strenge wie „kunstlose“ Aufnahmen, auf denen Allerweltspflanzen wie steinerne Ornamente wirkten, gemeinsam mit Skulpturen aus Afrika und Asien und führte jedermann vor Augen, dass die Natur selbst im Kleinen eine große Baumeisterin ist. Rasch machten die Fotografien die Runde durch die deutschen Illustrierten, und als Nierendorf im Jahr 1928 die „Urformen der Kunst“ als Buch herausgab, wurden Blossfeldts Bilder als Triumph des mit der Natur verbündeten menschlichen Geists begrüßt. Walter Benjamin nahm die „Urformen“ zum Anlass, um einen seiner berühmtesten Sätze zu formulieren: „Nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige wird der Analphabet der Zukunft sein.“

Eine vergrößerte Pflanze sieht aus, als würde sie tanzen.

Karl Blossfeldts tanzender „Traubenholunder“ ist in der Kölner Photographischen Sammlung zu sehen

Diese Zukunft ist jetzt schon lange wieder eine gründlich aufgearbeitete Vergangenheit – nicht zuletzt dank Institutionen wie der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln. Sie hat aus den Archivbeständen der Berliner Universität der Künste ein soeben erschienenes Blossfeldt-Werkverzeichnis erstellt und zeigt jetzt 271 Originalabzüge (von mehr als 600) Blossfeldts in ihren Ausstellungsräumen im Mediapark. Es ist bewusst keine Auswahl an „Meisterwerken“, denn diese Unterscheidung gab es für Blossfeldt, der sich eher als nüchterner Systematiker des 19. Jahrhunderts verstand, im Grunde nicht. Schönheit ist schließlich keine naturwissenschaftliche Kategorie. Aber gleichzeitig war Blossfeldt Künstler genug, um überhaupt einen Sinn für die verborgene Ästhetik der Pflanzen zu entwickeln.

In diesem Geiste hängen die Bilder in Köln nicht nach Themen geordnet an der Wand, sondern nach botanischen Kategorien. Das wirkt ein wenig wie Spielverderben, denn natürlich gehört das vergleichende Schauen zur Blossfeldt-Faszination dazu. Bis heute scheint zu gelten, was im Juli 1926 in der „Illustrierten Reichsbanner-Zeitung“ stand: „In den Stilformen der Pflanzen erkennen wir den Keim der menschlichen Kunstformen: die ägyptische und indische Säule, das korinthische Kapitell, das Maßwerk der Gotik, das Rankenwerk des Barock, die maurische Kuppel und die krausen Verzierungen der islamischen Spruchbänder.“ Bei Blossfeldt ähnelt die Welt einem von der Evolution zu unserem Vergnügen erdachten Memory-Spiel: Im großen Haufen der Urformen gibt es zu jedem Pflanzenbild eine passende Erfindung aus Menschenhand.

Die Kölner Präsentation soll den unverfälschten Blossfeldt zeigen

Aber die Kölner Präsentation sucht nach anderen Qualitäten. Sie will den unverfälschten Blossfeldt zeigen, und dazu gehört eine gewisse Entzauberung seines Werks. Es beginnt bereits damit, dass man nicht wenigen Originalen ihren Charakter als Gebrauchsgut ansieht. Mit diesen gerahmten Bildern wurde einst gearbeitet, sie gingen von Hand zu Hand, und bei der Produktion ging es Blossfeldt sichtlich nicht darum, seine Aufnahmen zu komponieren. Statt Pflanzenporträts schuf er Arbeitsvorlagen, der graue Detailreichtum seiner Bilder genügte sich nicht selbst, sondern diente einem Zweck. Er wollte Detailreichtum und die bestmögliche Sichtbarkeit.

Zu dieser lehrreichen Sichtweise auf Blossfeldt gehören auch einige in Vitrinen ausgelegte und für die Besucher transkribierte Briefe, in denen es selten um Kunst und oft um administrative Banalitäten aus dem akademischen Mittelbau geht. Unter Glas finden sich auch dezente Hinweise darauf, dass der Ruhm des 1932 verstorbenen „Pflanzenprofessors“ nach Kriegsende rasch verblasste. In den 1970er Jahren bedurfte es einiger Anstrengungen etwa des Kölner Sammlerpaars Ann und Jürgen Wilde, um ihn als Systematiker der sachlichen Fotografie wieder in der Kunstwelt zu etablieren.

Mitunter griff der Zufallsavantgardist auch zu unlauteren Mitteln und präparierte seine Pflanzen mit Pinzette und Skalpell in die gesuchte „Urform“. In Köln gibt es dazu einen herrlichen Beweis, zwei Vorher-Nachher-Aufnahmen eines Bachnelkenwurz, dem Blossfeldt die Kelchblätter stutzte, um ihm das Aussehen eines Lampenschirms zu verleihen. Unverfälscht, aber ungewöhnlich sind ein tanzender Traubenholunder und Blossfeldts All-Over-Bilder, auf denen die Modelle nicht freigestellt wurden, sondern die gesamte Fläche einnehmen. Selten hat man Lauch und Hahnenkamm so schön wuchern gesehen wie hier. Offenbar lernt man nicht nur bei der Natur nicht aus. Sondern auch bei ihrem berühmtesten Lichtbildner.


„Karl Blossfeldt – Photographie im Licht der Kunst“, Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Köln, Do.-Di. 14-19 Uhr, bis 2. Februar 2025. Der Katalog zur Ausstellung kostet 98 Euro.