Zum 50. Todestag Pablo Picassos zeigt das Kölner Museum Ludwig dessen druckgrafisches Spätwerk „Suite 156“. Das ist nicht ganz unkontrovers.
Picasso-Schau in KölnFrauen, die dem Betrachter ihre Geschlechtsteile entgegenstrecken
Zu seinem 50. Todestag am 8. April 2023 wird Pablo Picasso mit rund 50 Ausstellungen in Europa und Nordamerika geehrt. Und war gleichzeitig noch nie so umstritten, als Oberpascha und kultureller Aneigner. „Pablo Picasso was never called an asshole“ sang Jonathan Richman ein Jahr vorm Tod des Meisters mit den Modern Lovers. Das kann man heute nicht mehr ohne weiteres behaupten.
Das Kölner Museum Ludwig ist dem prekären Jubelreigen 2021 mit einer augenöffnenden Schau zur höchst unterschiedlichen Picasso-Rezeption in BRD und DDR klug vorausgeeilt. Doch nennt das Ludwig immerhin, nach Paris und Barcelona, die weltweit drittgrößte Sammlung des wichtigsten Künstlers des 20. Jahrhunderts sein eigen. Da kann man auch nicht nichts machen.
Weshalb das Museum nun aus eigenen Beständen Picassos späte „Suite 156“ zeigt, eine Gruppe von 155 Radierungen aus den Jahren 1968 bis 1972, seine letzte. Ein Blatt wurde bereits bei der ersten Ausstellung zehn Wochen vorm Tod in der Pariser Galerie Louise Leiris nicht in die Suite aufgenommen, die Druckplatte war verloren gegangen, das erklärt den Fehlbetrag.
Eine undankbare Aufgabe, Picassos erotomanes Spätwerk einem jüngeren Publikum nahezubringen
Was bleibt, ist reichlich, ja überreichlich, und die enge, chronologische Hängung, für die sich die Kuratorin Eboa Itondo entschieden hat, betont den ungebremsten Schaffensdrang des fast 90-Jährigen zusätzlich. Als Leiterin der Grafischen Sammlung folgt sie auf Julia Friedrich, die die vorhergehende Picasso-Ausstellung kuratiert hat, jetzt fällt ihr die etwas undankbare Aufgabe zu, ausgerechnet dem erotomanen Spätwerk des Künstlers eine neue und auch für ein jüngeres Publikum relevante Sichtweise abzutrotzen.
Denn die „Suite 156“ strotzt nur so vor Odalisken, Prostituierten, mythische Figuren, Tänzerinnen und Malermodellen (und auch früheren Partnerinnen des Malers), die dem Betrachter forsch ihre Geschlechtsteile entgegenstrecken. Männer erscheinen in den Radierungen nahezu ausschließlich als ebensolche gehemmten Voyeure am Bildrand. Unterziehen sie die Frauen der Gewalt des männlichen Blicks, oder zeigt Picasso, wohl auch mit dem eigenen Alter harrend, sie vielmehr als impotente Hanswurste?
Picasso konnte seine Vulven und Brüste nach Lust und Laune drucken
Jedenfalls bedient er sich hier auf einer Weise des westlichen Kunstkanons, die so bewundernd wie lästerlich erscheint, zitiert mal einen Alten Meister wie Rembrandt, mal eine jener wenig bekannten Bordell-Monotypien von Edgar Degas, die er leidenschaftlich sammelte. Immer wieder tauchen dann eine typische Rembrandt-Figur oder im Fall von Degas der Künstler selbst in der Rolle des Betrachters auf, überwältigt und erstarrt ob der dargebotenen Fülle.
Eboa Itondo konterkariert diese wehmütige Feier des männlichen Sexus mit Ausgaben der zeitgleich erschienenen feministischen Zeitschrift „Le torchon brûle“ (das kann man der Bedeutung nach mit „Der Haussegen hängt schief“ übersetzen). Als die 1970 eine illustrierte Doppelseite über die Macht der Vulva druckt, fangen sich die Herausgeberinnen eine Klage wegen unsittlichen Verhaltens ein. Picasso konnte seine Vulven und Brüste dagegen nach Lust und Laune drucken. Man mag den Frauenschinder Picasso verachten, und wird sich doch von seinem flüssigen Strich überwältigen lassen, der keine Männerfantasien zeichnet, sondern reale Frauen in ihrer konkreten Körperlichkeit.
Die Kuratorin lässt auch noch eine zweite, diesmal aktuelle Gegenposition den Fluss der „Suite“ unterbrechen: Die afghanische Malerin und Performancekünstlerin Kubra Khademi reagiert mit drei neuen großformatigen Gouachezeichnungen auf die Drucke des alternden Lüstlings: Sie zeigen in fröhlicher Obszönität und mit ebenso ungebremst weiblicher Lust gewaltig ausgestattete Esel.
Oder auch schlicht einen, belassen wir es beim Originaltitel, „Huge hard dick“. Der Esel, so Itondo, steht in der mündlichen Tradition afghanischer Frauen sinnbildlich für den Mann: Potent, eher schlicht und von ungerechtfertigtem Stolz.
Die Sammlungspräsentation „Picasso: Suite 156“ ist noch bis zum 4. Februar 2024 im Museum Ludwig zu sehen. Weitere Arbeiten von Kubra Khademi zeigt die Kölner Galerie Martin Kudlek bis zum 6. Dezember.