Normalerweise steht Rou Reynolds auf den größten Festivalbühnen. In der Kulturkirche Nippes lässt der Brite im Rahmen der Poetica tiefe Einblicke in seine Kunst zu.
Sänger von Enter Shikari auf der PoeticaRou Reynolds großer Antrieb war einst die Wut – jetzt ist es Liebe
Enter Shikari gelang 2006 mit „Sorry you're not a Winner“ der Durchbruch. Sie ließen die Teenager-Band aus der mittelgroßen Stadt St. Albans, 30 Kilometer nordwestlich von London, hinter sich und etablierten sich zu einer großen Rockband, die jedes Jahr etliche Konzerte auf den größten Festival- und Konzertbühnen spielt.
Enter-Shikari-Sänger tritt in Köln in ungewohntem Setting auf
Genau das macht den Auftritt von Roughton „Rou“ Reynolds am Dienstagabend (23. Januar) in Köln so besonders. Der 38-jährige Sänger von Enter Shikari ist Teil der Poetica. In der fast ausverkauften Kulturkirche in Nippes haben sich viele Fans der britischen Rockband eingefunden. Erkennbar an ihren Bandshirts, aber vor allem an dem lauten Jubel, als Reynolds gemeinsam mit Moderatorin Daniela Danz, die ebenfalls ein Enter-Shikari-Shirt trägt, die kleine Bühne betritt.
Mehrere seiner Songs stellt er bei „We'll write Songs in the Dark“ vor, allerdings in einem anderen Gewand als sonst. Ohne seine drei Schlagzeug-, Bass- und Gitarre-spielenden Bandkollegen. Statt lautem, alternativem Rock ungewohnt leise. Teilweise rezitiert er seine Songtexte als Gedicht, meist aber begleitet er sich selbst mit der Akustikgitarre.
Klimawandel macht Rou Reynolds wütend
Reynolds Texte haben eine starke politische Komponente, vor allem die Umwelt ist Thema. In „Arguing with Thermometers“, 2012 auf dem Album „A Flash Flood of Colour“ erschienen, vergleicht er die Gier nach Öl von großen Konzernen wie BP oder Shell mit der Sucht von Heroin-Junkies. Sie nehmen bewusst in Kauf, dass die Polkappen schmelzen, weil sie hoffen, dass es Öl unter dem Eis gibt.
Auf die Idee für den Text kam Reynolds, als er sich 2010 mit den Hintergründen des Klimawandels auseinandersetzte. Schon damals sei die wissenschaftliche Faktenlage eindeutig gewesen. Doch die Öl-Lobby, erzählt Reynolds, sorge mit Millionenbeträgen dafür, dass Zweifel am menschengemachten Klimawandel gesät werde. Oder Gesetze, Aktionen oder sogar technologische Entwicklungen aufgehalten werden.
Das habe ihn wütend gemacht. Rohe Wut über Missstände sei vor allem früher ein großer Antrieb für Enter Shikari und ihn gewesen. Ähnlich wie einst Rage Against The Machine. Doch mittlerweile habe er verstanden, dass bloßes Fingerzeigen nicht konstruktiv sei, sondern nur dazu, dass sich die Menschen sperren.
Junge Klimaproteste stimmen Enter-Shikari-Sänger Reynolds optimistisch
Ob Reynolds trotzdem jemanden lieben könnte, der mit voller Absicht den Planeten zerstört, will Poetica-Kuratorin Danz von ihm wissen. Ja, meint der Brite. „Hassen bringt nicht viel, und Wut ist wie eine Mauer zwischen uns“, habe er mittlerweile festgestellt. So kitschig es auch klingen mag – er ist davon überzeugt, dass Menschen verändert werden können, wenn man ihnen mit Liebe begegnet.
Darum habe er den Hass und die Wut in einen Käfig gepackt, erzählt der Enter-Shikari-Sänger. Seine Lyrik werde inzwischen viel mehr durch seine eigene Verletzlichkeit beeinflusst. Mitgefühl und Empathie hätten einfach eine größere Wirkung als Hass und Wut. Genauso wie Hoffnung – selbst beim fast hoffnungslosen Thema Klimawandel.
Die eloquenten und überzeugenden Reden von Teenagern bei einem Klimaprotest in Texas hätten ihn zu „Crossing the Rubicon“ inspiriert. Bei dem Song vom 2020 erschienenen Album „Nothing is true & everything is possible“ geht es darum, dass es eben noch nicht zu spät ist, die Ärmel hochzukrempeln. Dass Systemwandel gefordert werde, sei heute keine Seltenheit mehr. Anders noch vor ein paar Jahren, als Enter Shikari wegen solcher Forderungen als Häretiker bezeichnet wurden, scherzt Reynolds. Doch mit Blick auf die Zukunft ist er enthusiastisch: „Die heutige Generation lässt nicht mehr alles mit sich machen und wehrt sich“.