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Poetica in KölnSwetlana Alexijewitsch über Putin, Russland und die Ukraine

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Swetlana Alexijewitsch

Köln – „Nie wieder!“ sagt Swetlana Alexijewitsch auf der Poetica in Köln. Nie wieder habe sie ein Buch über den Krieg schreiben wollen. Doch Putins Angriff auf die Ukraine habe die Situation radikal verändert. Die Literaturnobelpreisträgerin und Friedenspreisträgerin stellt im Gespräch mit der Übersetzerin Katharina Narbutovic in der Aula der Universität fest: „Hier beginnt ein russischer Faschismus, vor dem wir immer Angst gehabt haben.“ Der „rote Mensch“ oder „homo sovieticus“, wie sie den vom Kommunismus geprägten Menschen bezeichne, sei nicht gestorben: „Er kämpft in der Ukraine, er bombt und schießt.“ Und so werde sie doch wieder über den Krieg schreiben müssen.

Swetlana Alexijewitsch zweifelt am Verstand der Kreml-Führung

Der Afghanistan-Krieg sei etwas anderes gewesen, sagt Swetlana Alexijewitsch, die Gast des siebten „Festival der Weltliteratur“ ist. Der Unterschied bestehe nicht nur darin, dass jener Krieg fernab vom sowjetischen Staatsgebiet stattgefunden habe. „Er wurde auch vor einem gewissen ideellen Hintergrund geführt – denn dahinter stand der Gedanke der kommunistischen Weltrevolution.“

Doch was nun mit der Ukraine passiere, könne bislang niemand erklären: „Wenn wir hören, was die Verantwortlichen im Kreml sagen, müssen wir an deren Verstand zweifeln.“ Das gelte zumal für den Hinweis, dass Nazis zu bekämpfen seien: „Was meinen die damit?“ Als besonders bizarren Fall führt die Autorin den Patriarchen von Moskau an, der gesagt habe, mit dem Krieg sollten die Menschen vor Gay-Paraden geschützt werden.

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Als Swetlana Alexijewitsch, 1948 in der Westukraine geboren und in Weißrussland aufgewachsen, die Bilder vom Aufmarsch der Russen im Fernsehen sah, schwante ihr nichts Gutes. Auch erreichten sie Anrufe aus Russland mit der Frage: „Was ist denn hier los?“ Bis zuletzt habe sie gehofft, dass es nicht zu diesem Verbrechen kommen werde. Doch vergeblich. „Blut wird vergossen, Städte werden ausgelöscht – wie auch Charkiw, das ich so liebe.“

Wladimir Putin halte diplomatische Bemühungen, wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron unternommen habe, für ein Zeichen der Schwäche. Er hege Allmachtsgefühle, pfeife auf historische Tatsachen und erkenne nur Stärke an. Bezeichnend dafür sei, dass Putin zuweilen Zar Alexander III. zitiere: „Wir haben nur zwei verlässliche Freunde - die russische Armee und die russische Flotte.“

In Russland sind die Archive geschlossen

Swetlana Alexijewitsch resümiert ihre Eindrücke: „Wir haben die Freiheit nicht hingekriegt.“ Die Ära der Perestroika zu Zeiten von Michail Gorbatschow und Boris Jelzin sei schnell zu Ende gegangen. Sie hält es für ein zentrales Versäumnis, dass das Nachdenken über den Gulag eingestellt worden sei. „In unserer offiziellen Geschichte gibt es nur Opfer – keine Täter und keine Henker.“ Das sei ungerecht. „Die Obrigkeit habe es geschafft, das selbst die letzten Gulag-Gedenkstätten verschwunden sind. Jetzt erzählen die Henker, wie schlimm es war, dort zu arbeiten – wie kalt es war.“

Länder wie Deutschland und Japan hätten gezeigt, dass es sehr wichtig ist, sich den Verbrechen der Vergangenheit zu stellen. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. „Wenn so etwas geschieht, dann muss man darüber reden. Wenn man hingegen verschweigt, wird es sich wiederholen.“

In Russland seien die einschlägigen Archive geschlossen worden. Damit habe der Staat die Türe zugeschlagen. „Wahrscheinlich könnte ich heute meine Bücher nicht mehr schreiben.“ sagt Swetlana Alexijewitsch. „Die meisten Menschen hätten Angst, mir jetzt zu erzählen, was sie mir während der Perestroika erzählt haben.“

Uljana Wolf trug Passagen aus Alexijewitschs Büchern vor

Swetlana Alexijewitsch ist berühmt geworden mit Büchern, in denen sie den „kleinen Menschen“, „das Sandkorn der Geschichte“ zu Wort kommen lässt. Sie sammelte Stimmen von Soldatinnen („Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“), Afghanistan-Kriegern („Zinkjungen“) und Zeugen der postsowjetischen Ära („Secondhand-Zeit“). Aus den deutschen Übersetzungen trug nun Poetica-Kuratorin Uljana Wolf zwei niederschmetternde Passagen vor. Nach diesem Eintauchen in Gewalt und Leid wollte Swetlana Alexijewitsch endlich etwas anderes schreiben: Ein Buch über die Liebe. Allerdings blieb das Manuskript zurück, als sie vor zwei Jahren aus Weißrussland floh, nachdem Machthaber Alexander Lukaschenko die Revolution brutal niedergeschlagen hatte.

Mittlerweile in Sicherheit in Berlin lebend, wofür sie der Bundesrepublik sehr dankbar sei, wie sie sagt, hat sie Stimmen über die die gescheiterte Revolution gesammelt. Das Manuskript sei nahezu abgeschlossen. „Doch jetzt werde ich noch einen zweiten Teil anhängen – darin wird es um den Krieg in der Ukraine gehen.“

Die Poetica 7 läuft bis zum 7. Mai. An diesem Donnerstag gibt es Veranstaltungen in der KHM (14 Uhr) und im Historischen Archiv (19 Uhr).