Porträt„Mozart hebt die Stimmung“
Was war zuerst da, die Liebe oder das gemeinsam-vierhändige Klavierspiel? Herbert Schuch lacht: „Bei uns war es schon zuerst die Liebe, Klavier vierhändig hatte ich damals gar nicht auf dem Schirm. Wir haben auch erst nur zum Spaß zusammengespielt, dann aber schnell gemerkt, wie toll das ist.“ Zum zweiten Mal haben Schuch und seine Ehefrau Gülru Ensari jetzt die Früchte dieser Begeisterung auf CD verewigt. Nach dem Programm „Go East“ von 2017, das unter anderem eine Klavierbearbeitung von Strawinskys „Sacre du printemps“ enthält, ist soeben beim Kölner Label AvI eine weitere Aufnahme erschienen – mit Mozarts Sonate KV 521 sowie an zwei Klavieren Debussys „En Blanc et noir“ und Bernd Alois Zimmermanns „Monologen“.
Einander kennen (und lieben) lernten die aus Istanbul gebürtige Ensari (31) und der Rumäniendeutsche Schuch (39), dessen Familie 1988 ins bayerische Rosenheim übergesiedelt war, in Salzburg, wo sie beide am Mozarteum eine Meisterklasse bzw. einen Meisterkurs besuchten. Seit einigen Jahren leben sie, die 2014 heirateten, in – Köln. Zunächst im Gereonsviertel und seit anderthalb Jahren in einem frei stehenden Backsteinhaus in Niehl, das sie erst kauften und dann renovierten – es war, so Schuch, „ziemlich heruntergekommen“.
Dort findet, bei Kaffee und mit leckerem Gebäck aus dem Ofen von Schuchs Mutter, auch das Gespräch statt – gelegentlich unterbrochen vom missbilligenden Blick der Eigentümer auf die Terrasse, wo eine Elster den von Schuch/Ensari gehegten Nussbaum zu plündern sich anschickt. Im Hintergrund steht Schuchs Bösendorfer-Flügel – „der Preis für meinen Gewinn des Wiener Beethoven-Wettbewerbs“ –, und zwei Steinways befinden sich noch im Studiokeller. Das Paar hat also genug Platz auch zum separaten Üben.
Von Salzburg nach Niehl – wie das? „Gülru“, erklärt Schuch, „studierte hier an der Musikhochschule, und ich habe dann irgendwann gesagt, dass ich nach Köln ziehe wollte“. Fiel das schwer? „Nein, in Salzburg bleibt man nicht, das wird einem irgendwann zu eng und provinziell.“ Und Köln? „Prima, das ist toll, wie offen die Leute hier sind, wie sie einen einfach anquatschen.“
„Köln ist spannend“, pflichtet Ensari bei, „nicht so groß wie Berlin und erst recht nicht wie Istanbul. Ich war die langen Wege satt, und trotzdem entdecken wir immer wieder Neues.“ Neulich hätten sie eine Fahrradtour auf der rechten Rheinseite gemacht – die Pianistin spricht von der „schäl Sick“ – und dabei „das Wasserschloss in Dellbrück“ gefunden: „Wirklich schön.“
Allzu oft sind die beiden Künstler, die sich mit zahlreichen Preisen, mit Aufnahmen sowie Duo- und Soloauftritten in die vorderen Reihen der internationalen Pianistenszene gespielt haben, allerdings nicht vor Ort – man reist halt viel. Demnächst seien sie „zwei Wochen am Stück“ in Köln, sagt Ensari – was für die Musiker offensichtlich eine lange Zeit ist.
Kritiker rühmen immer wieder – und die neue Aufnahme bestätigt das Urteil – die symbiotische Homogenität ihres Musizierens. Was dann noch einmal die Frage aufwirft, ob Liebe – selbst wenn sie zuerst da war – das Musikergebnis nicht zumindest beflügelt. Zumal privat liierte Künstlerpaare ja nicht gerade selten sind. „Klar“, sagt Schuch, „das gemeinsame Leben hat schon zur Folge, dass wir über Vieles gar nicht mehr sprechen müssen; wir haben da die Antennen, die uns spüren lassen, wo der andere hin will.“
Dennoch muss die Qualität immer wieder hergestellt werden: „Vierhändig spielen ist von Haus aus“, führt Ensari aus, „viel komplexer, weil man so dicht aufeinanderhängt – es ist einfach sehr eng.“ Und sehr wohl gehe „es da auch um ein Abstecken von Claims, und das kann mal schwierig werden, denn durch Abstecken kommt man nicht weiter.“
Ein Beispiel? Die Künstler verweisen auf die Mozart-Sonate: „Da denke ich, ich mache eine besonders schöne Verzierung, und Gülru sagt dann: Das kannst du in der Pfeife rauchen.“ Jeder habe halt sein eigenes Balancegefühl entwickelt. Wie soll der Bass im Verhältnis zur Oberstimme klingen (bei Mozart spielt Schuch „oben“)? Wie „sprechend“ soll eine Stelle sein? „Da will ich“, sagt Ensari, „dies, und er will das.“
Bei Mozart ergibt sich die Möglichkeit, bei Wiederholungen zwei Versionen im spielerischen Rollenwechsel zu realisieren. Die Sonate sei eh wie eine Opernszene mit unterschiedlichen Charakteren angelegt. Gülru und Herbert als Susanne und Figaro? „Nun ja, wenn Sie es so sehen wollen.“
Und wie verhält es sich bei Zimmermann? Da seien, so Schuch, allein die technischen Anforderungen so hoch, dass man gar nicht dazu komme, einander in die Haare zu geraten. Dies lenkt zu der Frage nach der leitenden Idee für die CD-Agenda. Ausgangspunkt war, sagt Schuch, in der Tat Zimmermann: „2018 ist sein 100. Geburtstag, er war Kölner, wir versuchen, hier Wurzeln zu schlagen. Also...“ Freilich sei die Erarbeitung der „Monologe“ stressig und frustrationsanfällig gewesen: „Bei Zimmermann steht alles genau in den Noten, es ist fast schon übernotiert. Aber manches ist einfach nicht machbar – da haben wir unsere eigene Interpretation entwickelt.“ Die Bildproduktion hat dabei geholfen: „Da gibt es so eine lustige Stelle, die an das Kommunizieren von Hühnern erinnert.“
2018 ist zugleich der 100. Todestag von Debussy, dessen „Jeux“ Zimmermann zitiert. Schuch sieht auch zwischen „En Blanc et Noir“ „Parallelen in der Klanglichkeit“. Debussys im Ersten Weltkrieg entstandenes Werk sei trotz seiner deutschfeindlichen Tendenz – da wird ein Lutherchoral von der Marseillaise auseinandergenommen – „stark nach innen gewandt; sehr poetisch und fein“. Und Mozart? Dessen Klavierkonzert KV 467 zitiert Zimmermann ebenfalls, und ist ob der sprühenden Vitalität der Sonate eh ein Muss. Ensari: „Mozart hebt immer die Stimmung.“
Gülru Ensari spricht ausgezeichnet Deutsch – sie hat in Istanbul eine deutsche Schule besucht – und verfügt überhaupt über den Appeal einer liberalen, weltläufigen Westeuropäerin. Da liegt die Frage nach Erdogan und den Friktionen im deutsch-türkischen Verhältnis nahe. Ensari nimmt kein Blatt vor den Mund: „Ich überlege, meine türkische Staatsbürgerschaft auf- und die deutsche anzunehmen. Die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr, niemand darf die ökonomische Krise erwähnen. Das ist eine gefährliche Richtung: Man kann es fast nicht ernst nehmen, wie er redet; aber er ist ein Fakt unseres Lebens geworden.“