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Premiere am Schauspiel KölnWenn die Zuschauer zum Mitleiden auf die Bühne gebeten werden

Lesezeit 3 Minuten
Links hinten stehen eng beieinander fünf rot bekleidete Frauen, vorne rechts die Schauspielerin Lola Klamroth als Helena. Sie hat sich aus einem weißen Vorhang ein Kleid gewickelt, ihr roter BH blitzt heraus. Sie hat den Kopf zurückgeworfen und lacht.

Szene aus „Die Troerinnen“ im Depot 1

Regisseurin Lucia Bihler setzt Euripides Tragödie „Die Troerinnen“ im Depot 1 fast ohne Worte um. Ob das stumme Drama trotzdem überzeugen kann?

Gleich beim Eintritt ins Depot 1 wird das Premierenpublikum von Lucia Bihlers Inszenierung von „Die Troerinnen“ in zwei Gruppen gespalten. Je nachdem, ob man einen roten oder einen grünen Sticker trägt, steht man links oder rechts eines Abstandhalters, als würde man verschiedene Flugzeuge boarden. Für die einen geht es in die oberen Reihen der Tribüne, die anderen werden direkt auf die Bühne (von Wolfgang Menardi) geführt.

Erstere lauschen auf Empfangsgeräten mit Kopfhörern Kassandras Bericht von der Eroberung Trojas. Beziehungsweise ihrer Vorahnung; Apollon hat die Königstochter mit der Gabe der Weissagung gesegnet – und, als sie seine Avancen ablehnte, mit dem Fluch belegt, dass niemand ihren Gesichten Glauben schenken wird.

Die Unausweichlichkeit des Futur II

Alina Heipe bewegt sich in der Rolle der Ungehörten langsam vom linken zum rechten Bühnenrand. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht wird in extremer Großaufnahme auf das weiße Tuch projiziert, das den Blick auf die Bühne versperrt. Bis auf eine ins Tuch geschnittene Tür, in der mal Hekabe mit der jüngsten Tochter Polyxena, mal Helena mit Paris erscheinen, noch häufiger jedoch Neugierige aus der zweiten Gruppe, die sich fragen, was Erstere wohl gerade hören und sehen? „Das hier wird Troja gewesen sein“, klagt Kassandra, für immer zur Unausweichlichkeit des Futur II verdammt.

Dann tauschen die Gruppen. Das Troja auf der Bühne ist eine Abfolge von geisterhaften geweißten Räumen, Schlaf- und Wohnzimmer, Küche, Bad, um ein Atrium mit einem flachen Pool herumgruppiert. Die Zuschauer durchmessen sie nach eigenem Gutdünken, interagieren, so sie wollen, mit den Frauen Trojas (die Männer sind sämtlich Statisten), brechen frisch gebackenes Brot, lassen ein Papierschiffchen zu Wasser.

Eine nackte Griechen-Statue als Centerfold

Hier ist alles bereits verblassende Erinnerung, die über alle Räume verstreuten Fotos sind verwischt, die Alltagshandlungen der Bewohnerinnen nur die Wiederholungszwänge Traumatisierter. Königin Hekabe (Monika Oschek) masturbiert zum ausgeklappten Centerfold einer griechischen Statue – der einzige Anflug von Humor in Bihlers Inszenierung – und schreibt Lästerbrief über die verhasste Schwiegertochter Helena (Lola Klamroth). Die turtelt unbeschwert mit ihrem Entführer. Doch immer wieder und immer häufiger durchbricht ein großes Schreien die Normalitätsnachstellung, blitzt das Licht, bricht der Schmerz sich Bahn. Im Atrium vereinen sich Kriegswitwen – sie tragen plötzlich blutrote Kleider – und Zuschauer zum Klagegesang.

Dann ist es Zeit, die auf den Karten angegebenen Plätze einzunehmen. Publikum und Performer sind wieder getrennt. Mit lautem Rumms fallen die hochgezogenen Trennwände vom Bühnenhimmel, verwandeln die Bühne in einen Palast nach der Schlacht.

Auch der Dramentext ist unter den Kriegsopfern

Wer jetzt auf den Euripides-Text gehofft hatte, wird weiter enttäuscht. Die Sprache, so scheint es, ist ein weiteres Opfer des Krieges. Das Drama vollzieht sich größtenteils stumm. Und Lucia Bihlers Bilder sind fast durchweg stark genug, um den gestrichenen Griechen-Text zu tragen.

Die Frauen pflegen die Toten, bahren Priamos auf, Polyxena verschwindet, sie finden ihre Leiche, Andromache (Paulina Alpen) muss den griechischen Besatzern ihr Baby, den letzten Erben Trojas, übergeben. Darüber, dass ihr Kind sterben soll, informiert sie ein scheppernder Lautsprecher. Yvon Jansen rafft ihr Kleid hoch, die anderen eifern ihr nach, posieren auf ins Leere laufenden Treppchen: sexuelle Gefügigkeit als Überlebensstrategie.

Wieder bellt der Lautsprecher: Die Frauen werden versklavt, sollen getrennt die Bühne verlassen, so wie die Zuschauer das Depot betreten hatten. Stattdessen verhüllen sich die Troerinnen von Kopf bis Fuß in rotes Organzagewebe (Kostüme: Ran Chai Bar-Zvi), ein maximal eindrucksvolles Bild, zwischen Mythos und Modenschau schillernd. Dann rotten sie sich zusammen. Sie sind jetzt Hündinnen des Krieges, Erinnyen.

In ihrer gebündelten Wut liegt die Kraft. Man könnte den gut zweistündigen Abend auch in diesen Satz bündeln. Aber es geht ja gerade um das Teilen der Wut – und das funktioniert nur im gemeinsamen Erleben.