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Bibel-Theater„Genesis“ in voller Pracht auf der Bühne

Lesezeit 5 Minuten

Köln – Am Anfang schuf Gott, nein, halt, Himmel und Erde sind ja schon da. Der Himmel eher als Vermutung, jedes Mal, wenn eine Maschine im Landeanflug auf Köln/Bonn durch den Mülheimer Luftraum donnert. Die Erde dafür aber umso gewisser. Wüst und leer steht sie im Depot 1 des Schauspiel Köln, von Bühnenbildner Simeon Meier zu einem gigantischen Lehmberg aufgeschichtet. Eine tonnenschwere Metapher, die den ganzen Abend trägt. Nicht unähnlich jenem „Devils Tower“, den Richard Dreyfuss in „Unheimliche Begegnungen der Dritten Art“ manisch aus Kartoffelbrei formt.

So wie es geschrieben steht, begrüßt Stefan Bachmann seine Zuschauer, werde man das Erste Buch Mose, die Genesis, in den nächsten Stunden erleben. Ungekürzt, mit all den endlosen Geschlechtsregistern, und zeugte, und zeugte, und zeugte, die man bei der Bibellektüre für gewöhnlich überblättert. Die das Ensemble aber hier als reines Wortgewucher zu Höhenflügen nutzt – etwa wenn Benjamin Höppner als maskentragender Verlierer Esau trotzig seine Nachkommenschaft vom Berge donnert.Im Anfang (das steht nicht im Text, sondern im Johannesevangelium) ist für Bachmann also das Wort, und als sich das Licht wieder von der Finsternis scheidet, stapft Michael Neuenschwander durch den Lehm, setzt sich vor ein Pult und berichtet von der Schöpfung.

Laut Besetzungsliste spielt er Gott und nicht irgendeinen anonymen Erzähler, sein buschiger Vollbart spricht dafür. Nicht jedoch sein Desperadohut, sein ärmelloser Ledermantel, die Cowboystiefel, alles in pechschwarz.

Dieser Gott ist ein einsamer Rächer. Es war einmal im Nahen Osten, hätte Bachmann seinen langen Abend auch betiteln können. Noch eher als aus einem Sergio-Leone-Epos (wie es Max Küngs Musik andeutet) könnte Neuenschwander jedoch Alejandro Jodorowskys surrealem Wüstenwestern „El Topo“ entsprungen sein, ein halb wahnsinniger Revolverheld, der von einer unterirdischen Gemeinde aus Krüppeln als Gott angebetet wird. Könnte, wohlgemerkt. Das interpretieren überlässt der Regisseur weitgehend seinem Publikum, er selbst erzählt lediglich – wie es im Programmheft heißt – „die Geschichte eines kleinen, unbedeutenden Stammes, in einem verlassenen Landstrich, vor 4000 Jahren.

Blut zwischen den Schenkeln

Lange bleibt es bei der dramatischen Lesung, Noahs Arche lässt Gott als Papierschiffchen zu Wasser, die Sintflut hatte er zuvor aus einer großen Mineralwasserflasche auf die Erde geschüttet.

Erst nach dem Turmbau zu Babel – Gott kickt nonchalant eine kleine Sandburg weg – öffnet sich der Monolog zum Spiel, zur Geschichte von Abram und Sarai. Neuenschwander thront jetzt zumeist auf dem Gipfel des Berges, für seine Geschöpfe immer schwerer zu erreichen. Dementsprechend von Demut gebeugt, das Gesicht mit Lehm bedeckt, spielt Niklas Kohrt den Abram.

Was, fragt man sich zwischendurch, unterscheidet Bachmanns Herangehensweise eigentlich von jenen illustrierten Bibelgeschichten, die im Kindergottesdienst oder im Nachmittagsfernsehen die Sonntagslangeweile eher dürftig vertrieben? Die Antwort findet man schnell. Wenn Lots Töchter den betrunkenen Vater verführen, oder wenn das Beschneidungsgebot erstaunlich drastisch umgesetzt wird. Nackt stehen die Männer Schlange, schreiend und stöhnend winden sie sich nach erfolgtem Schnitt fort, Blut läuft an den Innenseiten ihrer Schenkel herunter. Wird das Zusammenleben unter den Namen des Vaters gestellt – und so überhaupt Gemeinschaft möglich gemacht – tut das eben verdammt weh.

Ja, hier wird wirklich nur das Erste Buch Mose erzählt, aber eben ohne Überhöhungen und Auslassungen. Ein wenig so, wie bei der scheinbar naiven Genesis-Bebilderung Robert Crumbs. Der Comic-Künstler hatte zuerst eine Satire geplant, erlag dann aber der Eigenartigkeit des Textes.

In die erste Pause geht Bachmann mit einem echten Cliffhanger: Abram auf dem Gipfel des Berges, den Dolch über seinen Sohn Isaak haltend, zum Opfer bereit. Der Ton schwankt auch in den folgenden Stunden zwischen Mysterienspiel und Daily Soap zwischen Oberammergau und Morricone-Märchen. Es bleibt sogar Zeit für Stefko Hanushevksys ausgedehntes Panflöten-Solo im Vollplayback. Beim „Streik“, seiner ersten Kölner Premiere, oszillierte Bachmann ganz ähnlich zwischen fabulierendem Furor und sanfter Parodie. Seine „Genesis“ ist schon vor über einem Jahr entstanden, die Inszenierung ist eine Übernahme vom Schauspielhaus Zürich. Doch was man ihm in seiner Dramatisierung von Ayn Rands romanhafter Kampfschrift als Unentschlossenheit auslegen musste, hier passt es, erfasst ganz wunderbar die Widersprüche und Wiederholungen, Abschweifungen und Auslassungen der Quelle.

Das Menschenmögliche ist überschritten

Wenn Jakob am Fluss Jabbok mit Gott ringt, gilt dies als der letzte körperliche Kontakt zwischen einem Mensch und seinem Schöpfer. In Köln wird der Kampf zum Rollentausch, Gottdarsteller Neuenschwander übernimmt jetzt den Part des Stammvaters Israels, die Genesis vermenschlicht sich endgültig zum Familiendrama mit Inzest, Brudermord und Erbstreit.

Die Josefsgeschichte schließlich geht Bachmann wie eine zeitgenössische Brecht-Inszenierung an, ein grell ausgestellte Parabel. Marek Harloff trägt erst nichts, dann ein silbern glänzendes Disco-Höschen, seine Brüder stehen starr als Western-Karikaturen in der Landschaft herum, öffnen stumm die Münder, synchronisiert von einem von nun gleich mehreren Erzählern am Rande der Szenerie.

Endlich sitzen sie gemeinsam am Tisch, die zwölf Stämme Israels, im Vorgriff auf ein späteres Abendmahl. Sie essen denselben Eintopf, den es auch für die Zuschauer in der zweiten Pause gab.

Dann stirbt Jakob, stirbt Josef, am liebsten bliebe man sitzen, und hörte noch von Moses Geburt. Doch nach fünf Stunden und 40 Minuten ist das menschenmögliche Maß überschritten. Und darum, den Urtext dreier Weltreligionen in menschliches Maß zu fassen, ist es Bachmann ja wohl gegangen. Das jetzt wieder bibelfeste Publikum jubelt ihm zu. Eine Welt hat er hier mit leichter Hand erschaffen, vertraut, bizarr, zwingend – und unerwartet kurzweilig.