Prominent verteidigtWie Dolly Parton uns allen den Arsch rettet
Der Bruder meiner Großmutter war eine magische Präsenz in unserer Familie: Als der Einzige, der es wirklich zu etwas gebracht hatte. Völlig mittellos war er Ende der 1920er Jahre aus der Schleswig-Holsteinischen Provinz nach Amerika ausgewandert und hatte sich dort zum Direktor einer Seifenfabrik hochgearbeitet. Erzählte man sich. Zwischen den Geschwistern hatte es jahrzehntelang keinen Kontakt gegeben. Oma sprach kein Englisch, Onkel Henry hatte sein Deutsch vergessen, bis auf die Namen einiger Wurstsorten. Anfang der 90er war ich der Erste, der den amerikanischen Teil der Familie in Cincinetti, Ohio besuchte. Onkel Henry, stellte sich heraus, war gar kein Fabrikdirektor. Er hatte seinen Lebensunterhalt als einfacher Arbeiter beim Waschmittelhersteller Procter&Gamble verdient.
Auf einer Rundfahrt durch die architektonisch reizlose Stadt zeigten mir Onkel Henrys Tochter und Enkeltochter dann die dicken, sich nach oben verjüngenden Doppeltürme des Procter&Gamble-Hauptsitzes. „Die heißen im Volksmund die Dolly-Parton-Towers“, verkündete die Enkelin feixend und ich war jung und dumm genug, das witzig zu finden.
War Dolly Parton nicht selbst schuld daran, dass sie für zotige Witze herhalten musste? Hatte sie, deren Talent als Sängerin und Songschreiberin ja unbestreitbar ist, nicht selbst dafür gesorgt, dass sich ihr zierliches Äußeres – sie ist nur 1,52 Meter groß – durch Stöckelschuhe, blonde Big-Hair-Perücken und kosmetische Eingriffe nach unten, oben und vorne prominent ausbreitete, bis hin zur Selbstparodie?
Wussten Sie, dass Dolly, das berühmte erste Klonschaf, nach der Countrysängerin benannt wurde, weil es aus der Brustdrüsen-Zelle eines erwachsenen Mutterschafes geklont worden war?
„Man braucht viel Geld, um so billig auszusehen“, pflegt Parton ihr Äußeres zu kommentieren. Die — vielleicht ernüchternde — Wahrheit ist, dass sich heute nur noch einige wenige Genrefans an Dolly Parton als dralles Anhängsel des Country-Sängers Porter Wagoner in dessen TV-Show erinnern würden, hätte sie die Dinge nicht selbst in die Hand genommen und sich als lebendiges Markenzeichen neu erfunden, so wiedererkennbar wie Mickey Mouse und der Coca-Cola-Schriftzug.
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Ihren Abschiedssong an Wagoner, „I Will Always Love You“, kennt man heute vor allem in der Version von Whitney Houston. Eigentlich hätte das Stück ein großer Hit für Elvis Presley werden sollen, aber Parton weigerte sich, ihre Autorenrechte an dessen Manager abzutreten. Unter der Barbie-Hülle verbirgt sich eine kluge Geschäftsfrau. Parton ist in einer Ein-Zimmer-Hütte im Osten Tennessees in äußerster Armut aufgewachsen. Dementsprechend entschlossen ist sie, ihr Geld zusammenzuhalten.
Singen von Armut und Tod
In ihrer eigentlichen Kunst, dem Schreiben von Songs, geht sie keine Kompromisse ein: Sie singt von Armut, Verwahrlosung und Tod, von der Machtlosigkeit und Selbstermächtigung der Frauen. „Mein Zaubertrick“, sagt Dolly Parton, „besteht darin, völlig künstlich auszusehen, während ich völlig wahrhaftig bin.“
Ein erfolgreicher Podcast — „Dolly Parton’s America“ — und eine Netflix-Doku haben die 74-Jährige nun auch zur Ikone der Generation Z erhoben. Eigentlich muss sie nicht mehr verteidigt werden, genau genommen musste sie das noch nie. Und bestimmt nicht von einem Mann.
Trotz allem: Diese Woche wurde mir klar, dass wir Dolly Parton noch immer unterschätzen. Als nämlich bekannt wurde, dass die Entwicklung des zu 94 Prozent effektiven Corona-Impfstoffes der Vanderbilt-Universität in Nashville mit einer Eine-Million-Dollar-Spende von Dolly Parton mitfinanziert wurde. Noch ein Grund, sie für immer zu lieben und den Kopf in Demut zu senken. Um es einmal in ländlicher Deutlichkeit sagen: Wir reißen Witze über ihre Brüste und sie rettet uns den Arsch.