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Literatur-EmpfehlungenDas sind die Lieblingsbücher 2023 von Kölner Promis

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau liest, während sie auf dem Sofa im Wohnzimmer mit geschmücktem Weihnachtsbaum liegt

Fünf bekannte Kölnerinnen und Kölner haben die Bücher zusammengestellt, die sie in diesem Jahr besonders gefesselt haben.

Sie leben in Köln und lieben Literatur: Mona Ameziane, Bettina Böttinger, Annette Frier, Christian Huber und Christine Westermann erzählen, welche Bücher sie 2023 begeistert haben.

Mona Ameziane

Mona Ameziane

Mona Ameziane empfiehlt „Schweig!“ von Judith Merchant

Eigentlich lese ich nie Psychothriller, aber „Schweig!“ lebt nicht vom Gemetzel, sondern von der Spannung. Deswegen ist das Buch auch etwas für alle, die – wie ich – das Genre sonst nicht so mögen und gerne Familiengeschichten mit Drama und Geheimnis lesen. Es geht um zwei Schwestern, die ein sehr konträres Leben führen: Die eine wohnt mit ihrem Mann und ihren Kindern in einer größeren Stadt. Die andere hat sich vor kurzem getrennt und lebt jetzt total abgeschieden mitten im Wald.

Die Geschichte wird abwechselnd aus den Perspektiven der beiden erzählt, und es wird ganz schnell klar, dass sie ein sehr vergiftetes Verhältnis haben. Der Roman spielt an einem einzigen Tag: Am Tag vor Heiligabend fährt die Schwester aus der Stadt fährt zu der anderen, um ihr ein Geschenk und eine Flasche Wein vorbeizubringen. Ihr Mann protestiert noch und sagt: „Bist du dir sicher, dass du dir das wieder antun willst? Letztes Jahr war es doch so schlimm mit ihr...“. Doch sie fährt trotzdem und die Flasche Wein wird an dem Abend getrunken. Aber das Geschenk wird niemals geöffnet und nicht alle werden diesen Tag überleben...

Das Ganze entwickelt sich als eine Art Kammerspiel, bei dem man mehr und mehr über das Verhältnis dieser Schwestern und ihre Kindheit erfährt. Auch über ihre Charaktere – die aber je nachdem, wer erzählt, wieder komplett anders erscheinen. Und so wechselt man auch als Leser*in die ganze Zeit die Sympathien für die Figuren. Dass sich das Gegenüber gar nicht so wahrnimmt, wie man selbst – das führt Judith Merchant richtig gut auf die Spitze und kreiert dadurch eine Spannung, die nicht brutal ist, sondern sehr subtil.

Judith Merchant: „Schweig!“, KiWi-Taschenbuch, 352 Seiten, 13 Euro.

Bettina Böttinger empfiehlt „Die Zeit der Verluste“ von Daniel Schreiber

Bettina Böttinger

Bettina Böttinger

„Die Zeit der Verluste“ ist ein Buch, das uns als Lesende auch fordert, denn Daniel Schreiber beschäftigt sich mit Themen, die wir gerne tabuisieren. Beim letzten Buch war es Einsamkeit - und das ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie - und nun eben Verluste, private genauso wie kollektive.

Wie in seinen vorherigen Essays traut Daniel Schreiber sich, über seine tiefe Trauer um Vieles und seine eigenen Ängste in einer Offenheit zu schreiben, die einen wirklich anrührt. Es geht vor allen Dingen um unsere Fähigkeit oder eben Unfähigkeit zu trauern. Und ich finde es faszinierend, dass er sich da auch mit seiner ganzen Verletzlichkeit vor den Lesenden öffnet. Weil er es immer in einem sehr eleganten Stil tut, philosophische Gedanken mit einfließen lässt und viel zitiert.

Das Buch spielt an einem Tag in Venedig und ist durch die Beschreibung der Kunst und der Atmosphäre auch eine spannende Lektüre über diese einzigartige Stadt. Ich habe Daniel Schreiber 2014 in der Schweiz kennen gelernt, wo ich immer ein literarisches Wochenende mit queeren Autor*innen moderiere. Damals machte er mit seinem ersten Essay „Nüchtern“ Furore – und wir haben sofort eine Verbundenheit gespürt. Ein zentraler Satz für mich steht ganz am Schluss: „Wir erkennen die glücklichen Momente im Leben nur selten“.

Daniel Schreiber: „Die Zeit der Verluste“, Hanser Berlin, 144 Seiten, 22 Euro.

Christian Huber empfiehlt „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens

Christian Huber

ChristianHuber

Ich wäre jetzt gerne jemand, der einen extravaganten Buchtipp für Sie hat. Einen echten Geheimtipp. Zum Beispiel einen Autoren aus der georgischen Provinz, dessen Debüt-Roman in winziger Auflage bei einem Indie-Verlag erschienen ist, welcher dann kommendes Jahr aus dem Nichts sämtliche Buchpreise abräumt und wochenlang an der Spitze der Bestsellerlisten steht. Dann könnte ich behaupten: Sehen Sie, ich hab es Ihnen doch gesagt. Jemand mit solch einem Buchtipp bin ich leider nicht.

Das beste Buch, das ich 2023 gelesen habe, ist: „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens. Ein absoluter Megaerfolg. Millionenfach verkauft und längst verfilmt. Wahrscheinlich war ich der letzte Mensch, der diesen Roman noch nicht gelesen hatte. Keine andere Geschichte hat mich dieses Jahr so gefesselt, wie die des Außenseiter-Mädchens Kya, die sich wider aller Umstände durchs Leben kämpft. Ein packendes Abenteuer, erzählt in atemberaubend eindrucksvoller Sprache. Das wussten Sie sicher schon. Falls nicht: Lesen Sie dieses Buch.

Delia Owens: „Der Gesang der Flusskrebse“, Heyne , 464 Seiten, 12 Euro.

Annette Frier empfiehlt Bücher von Mely Kiyak und Cho Nam Joo

Annette Frier in ihrem Film #undwarumbistduhier.

Annette Frier in ihrem Film #undwarumbistduhier.

Ich kann mich nicht für ein Buch entscheiden, deshalb empfehle ich zwei: „Frausein“ von Mely Kiyak ist die Lebensgeschichte einer typischen „Gastarbeitertochter“. Beim Lesen konnte ich ständig die Groschen fallen hören — im Gehirn und im Herzen. Plötzlich ging mir auf, dass Günter Wallraffs Bestseller „Ganz unten“ von 1985, für mich seinerzeit ein großes Aufklärungsbuch, für Mely Kiyak ein Stigma war: „Wir, die Türken in Deutschland, waren nicht nur unten, wir waren `Ganz unten`. Unser Repräsentant: ein Deutscher namens Ali.“

Ein ehemaliger türkischen Mitschüler, den ich als selbstverständlichen Teil unserer Clique gesehen hatte, erzählte mir vor ein paar Jahren, dass er sich ständig fremd und oft nicht wertgeschätzt gefühlt habe. Durch Kiyaks Buch habe ich zu verstehen begonnen, was er gemeint haben könnte.

Nach Kiyaks saukomischen Dialogen ist „Kim Jiyoung, geboren 1982“ ein echter Kontrast. Der Weltbestseller von Cho Nam Joo über eine sehr durchschnittliche, überaus fleißige und – sorry! – fast langweilige Koreanerin, die mit Anfang 30 auf einmal verrückt wird, wirkt in seiner Kühle manchmal eher wie eine soziologische Studie - mit Fußnoten zu Statistiken und Sach-Artikeln. Er hat mir vor Augen geführt, wie alltäglich Misogynie in Korea bis heute ist. Krass! Erkenntnis - wieder einmal: Die großen Fragen werden nicht in der Tagesschau beantwortet, sondern in der Kunst.

Mely Kiyak: Frausein, Carl Hanser Verlag 2020, 128 Seiten, 20 Euro.

Cho Nam Joo: Kim Jiyoung, geboren 1982, Verlag Kiepenheuer & Witsch 2021, 208 Seiten, 18 Euro.

Christine Westermann empfiehlt „Kleine Kratzer“ von Jane Campbell

Christine Westermann

Christine Westermann

Wenn die Frau die alte Katze bürstet, macht die vor Behagen einen Buckel. Die Frau ist auch schon alt, aber als sie sieht, wie die Katze sich räkelt, erinnert sie sich an wohlige Zeiten und ehemalige Liebhaber. Nach dem Bürsten zieht sie sich an der Tischkante hoch. Gute Übung für die Schenkel. Und es kommen ihr „unweigerlich die anderen Übungen in den Sinn, in die meine Schenkel einst involviert waren“.

Der Katzenbuckel ist eine von 13 Episoden in „Kleine Kratzer“ der Psychotherapeutin Jane Campbell. Der Eindruck, es könne in Richtung Softporno abdriften, täuscht. Es wird aufgeräumt mit den merkwürdigen Vorstellungen vom Alter. Mehr als einmal wird die blöde These, gut zu essen sei der Sex des Alters, auf den Kopf gestellt.

Das Buch hat einen wunderbaren, weil abgründigen Humor. Ich bin auch jenseits der 70, mit schönem Rücken und guten Erinnerungen, ziehe mich an Tischkanten hoch und würde das Buch ohne Zögern der Generation Z empfehlen. Und allen anderen sowieso.

Jane Campbell, „Kleine Kratzer“, Kjona-Verlag, 192 Seiten, 23 Euro.