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„Sollten Angst und Wut nicht wegdrücken“Was Psychologe und Podcaster Leon Windscheid vor seinem Köln-Auftritt fühlt

Lesezeit 10 Minuten
Leon Windscheid tritt mit seinem neuen Bühnenprogramm „Gute Gefühle“ in der Lanxess-Arena auf.

Leon Windscheid tritt mit seinem neuen Bühnenprogramm „Gute Gefühle“ in der Lanxess-Arena auf.

Windscheid spricht über die gefährlichen Versprechen mancher Coaches, sein neues Bühnenprogramm, mit dem er nach Köln kommt, und sein gespaltenes Verhältnis zum Smartphone.

Herr Windscheid, am 13. April sind Sie mit Ihrem neuen Programm „Gute Gefühle“ in der Lanxess-Arena. Wie werden Sie sich denn fühlen vor diesem Auftritt?

Ich schlafe ich jetzt schon nicht mehr so gut, weil ich aufgeregt bin, aber ich weiß, dass das etwas Positives ist. Der schönste Moment ist, wenn man rauskommt und die Leute klatschen. Dass in diesen Zeiten, wo so viel geschwurbelt wird, viele Leute Lust auf Wissenschaft und Psychologie haben, macht mir Hoffnung. Ich spüre eine Wertschätzung von Evidenz und Fakten. Es wird kein Coaching-Bla.

Was stört Sie denn an Coachings?

Die Leute müssen zum Teil monatelang auf Therapieplätze warten. Wenn man bedenkt, dass rund jeder vierte Deutsche einmal im Jahr die Kriterien einer psychischen Störung erfüllt, ist das kein Zustand. Psychische Störungen, Ängste, und Depressionen sind kein Einzelphänomen, sondern ein Massenproblem. Dass man die Leute allein lässt und das Gesundheitssystem viel zu wenig macht, viel zu wenig Geld mobilisiert wird, ist ein Problem. Zudem ist die Scham ohnehin riesig.

Und diese Situation nutzen manche aus?

Ja, das ist das gefundene Fressen für irgendwelche Life-Coaches und Gurus. Die sagen: Mit meinem Programm für 3500 Euro in zehn Wochen verkaufe ich dir ein komplett neues Leben. Da sitzen zum Teil Leute, die wissen nicht, wohin mit sich. Die sind in Not. Und dann verspricht da jemand etwas, das keinen Sinn macht und nutzt diese Not aus. Es gibt bestimmt auch tolle Coaches, aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, wir müssen uns sehr davor schützen, dass Life-Coaches die Lücke ausfüllen, die unser Gesundheitssystem in der Psychologie offenlässt.

Warum ist das so gefährlich? Vielleicht geben die ja auch ein paar ganz gute Tipps?

Die stehen in riesigen Hallen und sagen: Du brauchst keine Angst zu haben. Besiege deine Ängste! Das ist nicht nur wissenschaftlich falsch, sondern aus psychologischer Sicht zum Teil sogar gefährlich. Das verkauft sich natürlich besser, als wenn ich sage, die Forschung zeigt, Ängste sind belastend, Ängste sind etwas Schwieriges. Wir können lernen, mit ihnen umzugehen, aber das geht nicht einfach so. Wir müssen uns ihnen stellen, das braucht Zeit, das ist vielleicht unangenehm, aber es gibt Wege und Mittel, um das hinzukriegen. Das ist natürlich nicht so geil wie zu sagen: Mach deine Angst platt, dann hast du ein geiles Leben. Mich macht das wütend.

Ihr Programm heißt „Gute Gefühle“, dabei betonen Sie doch auch immer wieder, wie wichtig es ist, die vermeintlich schlechten Gefühle zu wertschätzen.

Die Kernbotschaft des Programms ist, dass alle Gefühle gute Gefühle sind. Auch die, die sich nicht gut anfühlen. Wir sollten unsere Ängste und Sorgen, unsere Wut, unsere Unzufriedenheit, nicht wegdrücken, sondern versuchen, aus einem etwas anderen Blickwinkel darauf zu gucken. Wir müssen viel eher fragen: Warum bin ich wütend? Welche Information steckt in meiner Wut, warum habe ich davor Angst? Warum bin ich unzufrieden? Und wie kann ich das vielleicht verändern, statt mich mit Netflix und Selbstdarstellung in Social Media davon abzulenken, dass es mir gerade nicht gut geht? Das ist für mich die Botschaft, dass wir verstehen, all unsere Gefühle haben auch eine positive Seite, auch wenn das oft nicht so ersichtlich ist.

Ein Gefühl, das viele Menschen wegdrücken möchten, ist die eben schon beschriebene Angst.

Jeder Mensch hat Angst. Auch die, die behaupten, sie seien total mutig und Angst spiele überhaupt keine Rolle in ihrem Leben. Die haben zum Beispiel Angst, nicht gut genug zu sein und hängen im Hamsterrad. Sie schaffen viel und strahlen nach außen Stärke aus, aber der innere Antrieb ist die Angst, sie könnten nicht genügen. Oder es gibt Ängste, die uns bremsen, dann bleiben wir in einer Beziehung, die uns nicht guttut, oder trauen uns nicht, den Job zu wechseln. Der erste Punkt ist zu erkennen, Angst ist ganz normal und wird von allen Menschen empfunden.

Welche Funktion hat sie?

Sie zeigt uns, hier ist etwas, das nicht passt. Im nächsten Schritt stellt sie uns Energie bereit, um damit klarzukommen. Nehmen wir das Beispiel, ein Referat in der Schule oder einen Vortrag in der Firma zu halten. Da hat man erstmal Angst. In einer Untersuchung wurde ein neuer Blick auf die Angst untersucht. Man hat junge Menschen auf eine Bühne geschickt. Sie mussten singen oder einen Vortrag halten. Das ganze Experiment hatte aber schon vorher stattgefunden. Man hatte sie vorher in zwei Gruppen aufgeteilt. Der einen Gruppe sagte man, wenn ihr auf die Bühne geht, lasst eure Angst zu. Ihr könnt auch versuchen, euch runterzufahren, zu entspannen, eure Angst zu besiegen. Der anderen Gruppe sagte man, nennt das, was ihr fühlt, nicht Angst, sondern Erregung, Hochfahren, Energie. Dieser kleine Etikettenschwindel reicht aus, dass die Gruppe, die ihre Angst umbenannt hatte, im Durchschnitt besser sang und bessere Vorträge hielt.


Leon Windscheid (34) wurde bekannt, als er als Student bei „Wer wird Milionär?“ die Millionen gewann. Er investierte den Gewinn in ein Partyschiff. Der promovierte Psychologe schreibt Bücher („Besser fühlen“, Rowohlt) und hat mehrere Podcasts, unter anderem mit Atze Schröder („Betreutes Fühlen“). Mit seinem neuen Programm „Gute Gefühle“ tritt er am 13. April in er Lanxess-Arena auf. Es gibt noch einige Tickets.

Das ganze Gespräch mit Leon Windscheid hören Sie im Podcast „Talk mit K“, den Sie bei allen Podcastplattformen finden und unter ksta.de/podcast


Wir können uns selbst überlisten?

Das ist eine total schöne Botschaft. Wenn man auf die Angst guckt, kann man sie zum grausamen Monster erklären, die dir den Boden unter den Füßen wegreißt wie ein Brecher im Atlantik. Oder wir merken, die Angst ist da, damit ich hochfahre und meinen Fokus auf die Herausforderung richte, die vor mir liegt. Dann ist die Angst plötzlich kein Brecher, der mich mitreißt, sondern eher eine Mittelmeer-Welle, auf der ich surfen kann.

Sie sagen, Sorgen seien Junkfood für die Seele. Was soll das heißen?

Vielleicht nehmen wir ein konkretes Beispiel. Jetzt steht die Tour bei mir an, und es ist noch nicht alles fertig. Wenn es auf die Zielgerade geht, werde ich manchmal nachts wach um 4.30 Uhr, liege im Bett und in meinem Kopf ist ein komplettes Karussell. Alles dreht sich und ich fange an, mir Sorgen zu machen. Nachts löst man kein einziges Problem, aber der Kopf kriegt das Gefühl, ich setze mich ja zumindest damit auseinander. Ich bereite mich darauf vor, dass es schiefgehen könnte. Das gibt mir das Gefühl von Kontrolle, und das ist wie ein Biss in einen Burger. Das fühlt sich kurz gut an, aber eine halbe Stunde später hast du Bauchschmerzen.

Leon Windscheid, als er 2015 in der RTL-Show „Wer wird Millionär?“ die Million gewann. Windscheid hatte versprochen, bei einem ausreichend hohen Gewinn in der Sendung ein Partyschiff zu kaufen, das er nach Günther Jauch benennen und in Münster betreiben wolle – und so kam es dann auch.

Leon Windscheid, als er 2015 in der RTL-Show „Wer wird Millionär?“ die Million gewann. Windscheid hatte versprochen, bei einem ausreichend hohen Gewinn in der Sendung ein Partyschiff zu kaufen, das er nach Günther Jauch benennen und in Münster betreiben wolle – und so kam es dann auch.

Und was macht man stattdessen?

Wenn ich nachts im Bett liege und merke, die Sorgen kicken so rein, sollte ich mich nicht in diesen Junkfood-Modus begeben. Wir wissen aus der Schlaf- und der „Grübel“-Forschung, dass es wichtig ist, sich abzulenken. Der Trick dabei ist, sich nicht irgendwas rauspicken, das ein bisschen ablenkt, sondern etwas, das den Kopf beansprucht, um sich von diesem Sorgensog loszureißen. Ich höre dann zum Beispiel einen spannenden Thriller. Das ist für mich nachts eine Akuthilfe. Und über den Tag verteilt hilft mir total, sich gewisse Zeiten zu setzen, in denen man Sorgen zulässt. Sie haben sonst die Eigenschaft, dass sie wie Nebel im Kopf ausufern.

Nun gehen ja viele Menschen sehr hart mit sich ins Gericht, weil sie es nicht schaffen, solche guten Vorsätze umzusetzen.

Es gibt etwas, das ich total interessant finde, weil ich es nicht kannte. Wir haben im Deutschen kein Wort dafür: Selbstmitgefühl. Mitgefühl kennen wir für andere, aber das Buddhistische kennt Mitgefühl auch für sich selbst. Selbstmitgefühl bedeutet, dass ich mir selbst begegne wie einer guten Freundin. Wenn die im Graben liegt, weil es nicht läuft, tritt man ja nicht nach als Freund, sondern streckt die Hand aus, ermutigt sie und ist nachsichtig. Und bei den guten Gefühlen? Auch da denkt man an eine Freundin, die Erfolg hat. Man freut sich mit. Also gestehe ich mir zu, wenn ich einen Erfolg eingefahren habe, dass nicht nur die anderen sich um mich herum freuen, sondern ich mich auch mit mir freue.

Grundsätzlich bin ich sehr technologieskeptisch als Psychologe. Diese Dinge, die da erfunden werden, werden nur auf den ersten Blick für uns gemacht
Leon Windscheid

Welchen Einfluss hat unser Umgang mit modernen Technologien auf unsere Gefühlswelten? Was macht das mit uns, wenn wir permanent unser Smartphone in der Hand haben und uns nur ganz bestimmte Dinge gezeigt werden und andere eben nicht?

Grundsätzlich bin ich sehr technologieskeptisch als Psychologe. Diese Dinge, die da erfunden werden, werden nur auf den ersten Blick für uns gemacht. In Wirklichkeit werden sie für Konzerne gemacht, die damit Geld verdienen. Das Smartphone ist das beste Beispiel. Schlaue Köpfen haben es so designed, dass es uns maximal abhängig macht. Wir geben sogar ein Stück weit unsere Persönlichkeit hinein und verlieren unser Selbst in diesem digitalen Gerät. Man muss einen Umgang damit erlernen, der einen davor schützt, sich in Bubbles zu begeben, in denen nur noch die eigene Meinung rausgebrüllt wird.

Wie kann man dem entgehen?

Ich folge einer ganzen Reihe von Leuten auf Instagram, die ich ablehne. Ich finde das fast schon grausam, aber dadurch sehe ich andere Meinungen und versuche, mir die Neugier zu erhalten. Nicht zu sagen, ich weiß ja schon, wie die ticken. Das ist der Kern der Psychologie. Verstehen heißt nicht Verständnis. Verstehen heißt nicht, ich finde gut, was sie sagen, und akzeptiere das einfach. Verstehen wollen heißt zu begreifen, warum sie das sagen, was vielleicht dahintersteckt. Ich habe selten so viel gelernt, wie wenn ich einem Menschen, dem ich eigentlich gar nicht zuhören will, zugehört habe. Das hat Grenzen, ich will nicht, dass wir der AfD immer neugierig zuhören. Aber wir müssen uns trotzdem bemühen in einer Welt, die von der Technologie her überhaupt nicht unser Gutes will. Man muss sich bewusst dagegen wehren.

Helfen Faktenchecks gegen Fake News, wenn es dabei immer auch um Emotionen geht?

Wenn ich mich in eine Talkshow setze und sage: „Wir haben es in der Silvesternacht gesehen. Die Verbrecher in Deutschland sind immer die Ausländer“, hat das eine unglaubliche emotionale Strahlkraft. Da können sich Leute reinsteigern, und schon habe ich die Aufmerksamkeit, weil ich die Diskussion lenke und bestimme. Das ist für viele natürlich verlockend. Jetzt aber daraus zu schließen, dann springen wir auf diesen Emotionalisierungs-Zug auf und uns sind die Fakten egal, ist falsch. Das geht nicht. Ich mache Wissenschaftskommunikation. In der Wissenschaft sind die einfachen Antworten sehr selten. Für mich steht immer an erster Stelle, dass es korrekt sein muss. Wenn ich dafür 23 Sätze brauche und deshalb eben nicht die Schlagzeile kriege, ist das eben so. Ich kann nicht in Kauf nehmen, dass die Qualität leidet.

Sie sagen, wir verändern unsere Persönlichkeit unser Leben lang. Ist das Segen oder Fluch?

Der Mensch ist nie fertig. Wir hätten so gerne eine Antwort auf die Frage, wer wir eigentlich sind. Gewonnen hat man in dem Moment, indem man diese Frage gar nicht mehr stellt. Dass man das final beantworten könnte, ist ausgeschlossen. Das sollte auch nicht der Anspruch sein. Man weiß aus der Wissenschaft, dass sich Persönlichkeit verändert, dass sich anpasst, wer wir sind. Auch Menschen jenseits der 60 können sich noch mal total in ihrer Persönlichkeit verändern. Das kann uns Angst machen, weil wir das gerne klar hätten in einer Welt, wo so viel unklar ist. Aber ich finde, wenn man das mit einer gewissen Neugier betrachtet, ist es nichts, was beängstigend ist, sondern eher Lust macht, weiter zu verstehen, weiter zu hinterfragen und sich immer wieder selbst zu reflektieren. Das ist ein sehr viel menschlicherer Umgang, als wenn ich den Anspruch habe, irgendwann muss und will ich fertig sein.