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Rafik Schami über „Suppen für Syrien“„Die Hilfe ist heute viel besser als zu Beginn“

Lesezeit 7 Minuten
  1. Rafik Schami stellt an diesem Donnerstag, 23. März, in Köln das Buch „Suppen für Syrien“ vor, dessen Erlös zu 100 Prozent Kindern zugutekommt. (Alle Infos unten)

Herr Schami, wie kam es zu diesem sehr besonderen Kochbuch mit dem Titel „Suppen für Syrien“?

Rafik Schami: Die Idee stammt von Barbara Abdeni Massaad, die nicht weit entfernt von einem Flüchtlingslager im Libanon lebt. Veröffentlicht wurde es bereits unter anderem in den USA, und der Erlös ging an das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Der amerikanische Verleger, der auch meine Bücher veröffentlicht, hat mich dann auf der Frankfurter Buchmesse angesprochen und gefragt, ob ich nicht dieses Buch für den deutschsprachigen Markt herausbringen könnte. Da habe ich dann zugesagt unter der Bedingung, dass der Erlös einem Hilfswerk zukommt, das ich sehr gut kenne und dem ich ganz vertraue: dem Schams e.V.

Dieser Hilfsverein für Kinder und Jugendliche unter den syrischen Flüchtlingen ist vor fünf Jahren gegründet worden. Warum?

Rafik Schami: Der Grund lag darin, dass ich mit meinen Vorschlägen auf höherer, ministerieller Ebene kein Gehör gefunden hatte. Meine Rede war immer wieder: Helft den Flüchtlingen – aber helft ihnen dort unten, helft vor Ort. Doch darauf antwortete man mir: Das ist zu teuer. Darum habe ich mit meinem Freund, dem Verleger Hans Schiler, in Tübingen die Initiative ergriffen und mit Freundinnen und Freunden den Verein gegründet. Durchschnittlich können wir bis 130000 Euro im Jahr für die Ausbildung in den Flüchtlingslagern im Libanon und in der Türkei zur Verfügung stellen. Dort betreuen wir 1500 Kinder. Gerade erst haben wir die ersten Abiturienten gefeiert. Die können jetzt ins Leben gehen – da kommen mir fast die Tränen.

Könnte die politische Entwicklung in der Türkei einen Einfluss haben auf ihre Hilfe in Iskenderun?

Rafik Schami: Wir machen uns Sorgen. Ich fürchte, dass Erdogan, dieser zu spät gekommene Sultan, das Werk von Kemal Atatürk und damit die Errungenschaften eines städtischen Bürgertums zerstört und die Islamisierung vorantreibt. Das heißt Religion und Politik mischt, und das ging in der Geschichte immer schlecht aus. Wir sprechen uns gegen eine solche Entwicklung aus: Wir sperren uns gegen den Ausschluss von Frauen und gegen die Benachteiligung einer Religion oder Ethnie, seien es Juden, Jesiden, Drusen oder Christen, Kurden, Tscherkessen oder Assyrer.

Syrische Mädchen – wie sie im Buche stehen.

Den syrischen Flüchtlingskindern soll nun auch das Suppenbuch-Projekt helfen. Ist die deutsche Ausgabe identisch mit der amerikanischen?

Rafik Schami: Nein. Der DuMont Buchverlag, an den ich mich gewandt habe, hat das Werk sehr schön neu gestaltet. Da gibt es eine besondere Aufmachung, neuere Fotografien, weitere Rezepte von in Deutschland bekannten Köchen wie Sarah Wiener, Ralf Zacherl, Mario Kotaska und anderen, und ich habe ein Vorwort geschrieben. Was für mich etwas Herausragendes ist: Ich habe damit gerechnet, dass der Verlag etwa zehn Prozent des Erlöses für die Flüchtlinge geben würde. Aber dann kam die wahnsinnig tolle Nachricht: Nein, wir geben 100 Prozent. Auf Großzügigkeit darf man nicht mit Kleinkariertheit antworten: Ich hatte ursprünglich fünf Auftritte mit dem Buch zugesagt, um es bekanntzumachen – jetzt habe ich die Zahl auf 30 erhöht. Die Premiere wird in Köln sein – und dann geht es weiter nach Bayreuth, Zürich Freiburg, Frankfurt, Berlin und so weiter.

Die Hilfsbereitschaft der Deutschen war zu Beginn der Flüchtlingskrise sehr groß. Wie steht es inzwischen darum?

Rafik Schami: Sie werden sich wundern: Ich finde die heutige Unterstützung unglaublich gut im Vergleich zu damals. Warum? Weil die Romantik und die da und dort vorhandene Liebe zur Exotik verschwunden ist. An diese Stelle ist Nüchternheit getreten. Nüchternheit ist eine Lehrmeisterin in der Krise. Grundsätzlich wissen jetzt die meisten hier im Land, dass wir bei dem großen Zustrom der Flüchtlinge human vorgehen müssen, aber auch kontrolliert. Das ist keine Kälte, sondern bittere Erfahrung. Dazu gehört auch, dass ich bereit bin, mich nicht nur bei Fremdenhassern, sondern auch bei Flüchtlingen unbeliebt zu machen, wenn ich direkt und offen mit ihnen rede. In diesem Sinne habe ich auch die zehn Ratschläge geschrieben (erstveröffentlicht im Kölner Stadt-Anzeiger, Anm. d. Red.). Die Flucht ist eine Möglichkeit nicht nur das Leben, sondern auch den Geist von all dem Schrott der Sippe zu retten, um nachzudenken, warum die Araber trotz Unabhängigkeit in einer Dauerkrise sind. Ich weiß, das ist hart. Aber es ist wichtig, um der Freiheit, die man hier genießt, würdig zu werden. Auf meinen Lesereisen sehe ich weiterhin alle möglichen mutigen Initiativen. Da kann die AfD, die ja langsam an Zustimmung verliert, noch so viel hetzen. Die Demokratie in Deutschland ist gefestigt. Die hilfsbereiten Menschen sind da.

Gewalt gegen Kinder

Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder in Syrien haben 2016 einen Höchststand erreicht. Dies geht aus einer aktuellen Statistik des UN-Kinderhilfswerks Unicef hervor. Offiziell dokumentiert wurden 2500 Fälle von Gewalt . Die Dunkelziffer ist weit höher.

Unicef wies 2016 den gewaltsamen Tod von 652 Minderjährigen nach, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon starben 255 Kinder in oder bei Schulen. Insgesamt wurden 87 Angriffe auf Schulen gezählt. Jede dritte Schule ist entweder zerstört, wird als Unterkunft für Verletzte genutzt oder ist vom Militär besetzt, so haben 1,75 Millionen Kinder nicht die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen.

Zusätzlich zu den Todesfällen wurden 647 schwer verletzte Kinder gezählt – ein Anstieg um 25 Prozent im Vergleich zu 2015. Zudem wurden 851 Mädchen und Jungen durch bewaffnete Gruppen zwangsrekrutiert – doppelt so viele wie im Vorjahr. Hinzu kommen etliche Fälle von Entführungen und sexuellem Missbrauch. (nam)

Hilfe heißt auch Gastfreundschaft. Dass diese im arabischen Raum eine lange Tradition hat, kann man in Ihren Romanen nachlesen ...

Rafik Schami: Das hat die Wüste diktiert: Gastfreundschaft heißt Leben retten. Geiz aber bedeutet Tod – deshalb wird ein Geizkragen noch mehr verachtet als etwa ein Zuhälter. Der Fremde erfährt, wenn er sich einem Lagerplatz nähert, eine Metamorphose. Wenn er fern ist, ist er für die Menschen im Zelt noch ein Feind, weil man nicht weiß, wen er alles mitbringt; kommt er näher, verschwindet bei der Sippe die Angst vor ihm, denn was soll er schon anstellen; betritt er das Zelt, wird er bedient wie ein Prinz. Allerdings gilt: Er wird verwöhnt, hat aber nichts zu melden. Er darf keine Emotionen durcheinanderbringen und keine Kritik am System der Sippe üben. Diese Stufe nenne ich „vornehmer Gefangener“. Meine Mutter sagte immer, dass ein zufriedener Gast das Haus des Gastgebers segne – und das sei ein Gewinn.

Im Vorwort zu „Suppen für Syrien“ schreiben Sie auch, dass ein Beduine einem Fremden immer helfe, weil er schon morgen selbst ein Fremder sein könnte.

Rafik Schami: Das kennen die Deutschen aus eigener Erfahrung, waren sie doch gestern selbst noch Fremde auf der Flucht. Wir sollten uns nie zu sicher sein. Wir leben in unruhigen Zeiten. Da können wir von Glück sagen, dass wir die Europäische Union haben. Bei aller Kritik: Sie hat uns über viele Jahrzehnte Frieden beschert – und damit Freiheit.

Rezepte von 80 Spitzenköchen sollen helfen

Benefiz-Abend mit Rafik Schami in Köln: „Ein poetischer Spaziergang durch Damaskus“, an diesem Donnerstag, 23. März 2017, um 19.30 Uhr in der Kölner Johanneskirche, Nonnenwerthstraße 78, 50937 Köln (Klettenberg). Eintritt 15 Euro – inklusive Suppe. Karten in der Buchhandlung Olitzky (Köln, Luxemburger Straße 275, Telefon: 0221/9417016).

Der Reinerlös aus Eintrittsgeldern und Buchverkauf kommen der Hilfsorganisation Schams e.V. zugute, die in der Türkei und im Libanon Projekte zugunsten syrischer Kinder langfristig betreut.

„Suppen für Syrien – 80 Lieblingsrezepte aus aller Welt“ von Barbara Abdeni Massaad und mit einem Vorwort von Rafik Schami, erscheint im DuMont Buchverlag (224 S., 115 Abbildungen, 34 Euro). Die Gewinne aus dem Verkauf gehen zu 100 Prozent an Schams e.V.

Rafik Schami war Autor des „Buch für die Stadt 2015“ und hat zuletzt den Roman „Sophia“ veröffentlicht.

Welche Rolle haben Suppen in ihrer Kindheit und Jugend in Syrien gespielt?

Rafik Schami: Im Winter gaben sie mir das Gefühl: Dir kann nichts passieren. Suppen können trösten. Bei meiner Mutter wurde auch vieles in Suppe verwandelt, was als Essensreste übrig geblieben war: Ein paar Bohnen, etwas Reis. Da gab sie Gewürze oder Brühe und Wasser dazu – und schon war das eine schmackhafte Suppe.

Sie haben 2010 ein Kochbuch mit Ihrer Schwester Marie Fadel veröffentlicht: „Damaskus – Der Geschmack einer Stadt“. Dort stellen Sie eine Verbindung zwischen dem Schreiben und dem Kochen her ...

Rafik Schami: Beide sind in mancherlei Hinsicht verwandt. Unter anderem ist es so, dass weder beim Schreiben noch beim Kochen Routine aufkommen darf, wenn es wirklich gut werden soll. Man muss sich öffnen für Experimente. Darum ist bei mir auch kein Roman wie der andere. Allerdings kann der Preis dafür auch mal das Scheitern sein: Schon ein Wort zu wenig oder eine Prise Salz zu viel kann viel verderben.

Das Gespräch führte Martin Oehlen

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