Kay Voges, demnächst Kölner Schauspiel-Chef, inszenierte am Berliner Ensemble die Correctiv-Reportage „Geheimplan gegen Deutschland“.
Rechtes GeheimtreffenIst die Bühne der richtige Ort für Correctiv-Enthüllungen?
Auf der Bühne des Theaters am Schiffbauerdamm wird die Tafel gedeckt, weißes Tischtuch, Servietten im Aperitif-Glas. Im Gegenschuss der Blick auf die stuckverzierten Ränge des neobarocken Hauses. Gehobenes Bürgertum, hier wie dort. Veit Schubert begrüßt das Publikum zum diesjährigen Düsseldorfer Forum „hier im wunderschönen Landhaus Adlon am Lehnitzsee in Potsdam“ und bittet um Applaus für die Gastgeber, die Herren Dr. Gernot Mörig und Hans Christian Limmer, letzterer, „ein reicher Mann, der Sachen möglich macht“, könne leider nicht persönlich anwesend sein.
Wenige klatschen, man ist sich unsicher, inwieweit man Teil der Inszenierung, was hier fiktionaler Rahmen, was szenische Aufbereitung investigativer Recherche ist. Die Enthüllungen des Recherchenetzwerkes Correctiv über das von rechtsextremen Aktivisten organisierte Treffen in besagter Potsdamer Villa, bei dem unter anderem ein „Masterplan“ zur „Remigration“, sprich: zur Deportation und Vertreibung von Millionen Menschen ausländischer Herkunft aus Deutschland vorgestellt wurde, haben eine Welle der Empörung und des Widerstands ausgelöst. Auch der Angst: Selten zuvor schien die Demokratie derart konkret bedroht.
Die szenische Lesung am Berliner Ensemble, inszeniert von Kay Voges, dem designierten Intendanten des Kölner Schauspiels, gehörte von Anfang an zum Veröffentlichungsplan von Correctiv. Allerdings entschied man sich nach dem riesigen Echo auf die Recherchen dazu, den Abend der Allgemeinheit als Livestream anzubieten. Veit Schubert und Andreas Beck spielen sich genüsslich Informationen zu den rechten bis offen neonazistischen Hintergründen der Veranstalter zu, bis Rotlicht und Buzzer-Alarm sie unterbricht.
„Stopp, Stopp, Stopp!“, gebietet Constanze Becker, das sei hier doch nicht die „Dreigroschenoper“, man müsse, genau wie Correctiv, höchsten journalistischen Standards folgen. Das berührt den Kern des Abends: Man staunt über die abenteuerliche Weise, in der die Correctiv-Reporter und Reporterinnen das rechte Geheimtreffen unterwandert haben, verwanzte Sitzungsräume, ein auf dem See vor der Villa vor Anker gegangenes Saunaboot mit bester Aussicht für Teleobjektive. Mehrmals stolpert Laura Talenti mit schlecht angeklebtem Schnurrbart und übergroßer Armbanduhr-Kamera ins konspirative Geschehen, angeblich auf der Suche nach Kaffee.
Dem Verfassungsschutz gelingt nur ein Foto durchs geschlossene Tor des Landhauses Adlon
Die realen Bilder der Kameras werden auf eine Leinwand projiziert. Auch das Video eines mutmaßlichen Verfassungsschützers, dem nur ein Bild durchs geschlossene Villentor gelingt, und dem prompt eine Investigativfortbildung von Correctiv angeboten wird. Das alles zum diebischen Vergnügen des Publikums. „Ich wusste, dass James Bond echt ist“, ruft einer der Schauspieler aus und man fragt sich, ob das nicht ein wenig zu viel der journalistischen Selbstbeweihräucherung ist, zu viel auch der gemütlichen Selbstvergewisserung im Parkett und auf den Rängen, Gott sei Dank zu den Guten zu gehören.
Die Regisseurin Simone Dede Ayivi warf der Veranstaltung deshalb schon im Vorfeld Eierschaukelei und Sensationsgeilheit vor, zudem erreiche Theater einfach nicht so viele Leute, wie Theaterleute denken. Oder eben nur die immer gleiche Blase.
Der Livestream wurde indes mehr als 100.000 Mal auf Youtube abgerufen und von 40 Theatern, Opernhäuser, Festivals und Kultureinrichtungen in ganz Deutschland verbreitet. Begreift sich das Theater weiterhin als Agora, als Versammlungsplatz der Menschen einer Stadt, ist die Bühne genau der richtige Ort, um die Feinde der offenen Gesellschaft zu decouvrieren.
Immer wieder stellen sich die Schauspieler als österreichischer Identitärer Martin Sellner oder AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy vor, nur um sich anschließend zu korrigieren: Sie stellten nur eine Bühnenfigur jenes Namens dar. So erfüllt das Berliner Ensemble in einem Schwung die ästhetischen Anforderungen seines Gründers Bert Brecht und die juristischen Anforderungen des Presserechts.
Trotz der Distanzierungen wirken die Aussagen der Forumsteilnehmer von der Bühne gesprochen noch erschreckender als im Reportagetext. 25 Millionen Menschen, davon 15 Millionen deutsche Staatsangehörige, müsse man „zurücksiedeln“, zitiert Bühnenfigur Sellner die Überschlagsrechnung eines AfD-Mitglieds. Und der „gewaltbereite Neonazi Mario Müller“ beschreibt – das ist der eigentliche Scoop des Abends –, wie er als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines AfD-MdBs Geheiminformationen sammelt, um nach Gestapo-Art systematische Hetze auf Antifaschisten zu ermöglichen.
Am Ende bilanziert Veit Schubert: „Die Zerstörung der Demokratie ist im Gange. Sie passiert. Jetzt. Aber wir lassen uns unsere Demokratie nicht kaputt machen.“ Anschließend zeigt die Leinwand zeigt Bilder einer Demonstration gegen rechts. Ist es Köln, Berlin? Egal: das Publikum im Theatersaal fällt in den Chor der Masse mit ein: „Alle zusammen gegen die Faschisten!“ Geschmacksfragen beiseite, nur darauf kommt es jetzt an.