AboAbonnieren

Refik Anadol in DüsseldorfKI an Menschheit: Ich sehe was, was du nicht siehst

Lesezeit 4 Minuten
Mehrere Besucher betrachten Refik Anadols Installation Maschinen-Halluzinationen.

Refik Anadols Maschinen-Halluzinationen in Düsseldorf

Refik Anadol ist der Star der digitalen Kunst. In Düsseldorf zeigt sich der Hype um die künstliche Intelligenz von seiner traumverlorenen Seite.

Was sehen wir, wenn wir zu den Sternen blicken: ein behütendes Himmelszelt oder doch eher das endlose Schwarz eines kalten, luftleeren, lebensfeindlichen Raums? Die Angst vor der riesigen, alles Leben überwölbenden Leere begleitet uns romantische Sternengucker, seit wir denken können, und sie hat uns nie verlassen. In der Antike hängte der Philosoph Platon die Sonne als Idee des Guten und Trophäe fortgeschrittenen Wunschdenkens über unsere Köpfe; heute finden die Nasa-Teleskope im Weltall stets einen dichten Farbnebel oder ein mit Sternen vollgestopftes Himmelsfeld.

Man hätte also darauf wetten können, dass die künstlichen Intelligenzen, die der international gefeierte Künstler Refik Anadol mit über zwei Millionen Weltraumbildern fütterte, nicht allzu schwarz malen würden. Aber dann steht man doch verblüfft im Düsseldorfer Kunstpalast vor einer haushohen Leinwand, auf der es in allen Regenbogenfarben wabert. „Maschinelle Halluzinationen“ nennt Anadol seine sich ständig wandelnden Datenskulpturen, die lebenden Organismen gleichen und ansonsten jeder Beschreibung spotten. Was hat man nicht alles in ihnen gesehen: ein psychedelisches Bällebad, das Licht einer gigantischen Lavalampe, Oktopusarme in Ententeichgrütze oder, als neue Ergänzung, eine in Superzeitlupe aufgenommene Meeresbrandung im Farbeimer.

Im Kunstpalast rührt Anadol aus Millionen Weltraumbildern eine ziemlich dicke Pampe an

In jedem Fall lässt sich sagen, dass die von Anadol programmierte KI-Maschine eine ziemlich dicke Pampe angerührt hat. Von den Weiten des Universums findet sich auf ihnen keine Spur, was selbstredend die Pointe ist. Zwar behauptet Anadol, dass er abbilden wollte, wie die Menschheit versucht, die Tiefen des Weltraums zu erforschen. Aber seine selbstlernenden Computerprogramme haben offensichtlich vor allem gelernt, dass es im Weltall keine Science ohne Fiction gibt. Nichts gegen die Aufnahmen von Hubble, ISS und des Magdalena-Ridge-Observatoriums. Aber diese Milchstraße führt dann doch eher in die fantastischen Welten eines Stanislaw Lem.

Refik Anadol, 1985 in Istanbul geboren, ist der aktuelle Star der digitalen Kunst. Seine Datenskulpturen laufen in den großen Museen dieser Welt, für das New Yorker MoMA schuf er eine Installation, die aus sämtlichen Arbeiten der weltberühmten Sammlung in Echtzeit nie gesehene neue Kunstwerke schafft. Im Grunde schreibt Anadol damit eine Gegengeschichte der modernen Kunst aus dem Geiste der Künstlichen Intelligenz. „Unsupervised“ heißt die MoMA-Arbeit, nach den beteiligten GANs: sich selbst überlassenen, lernenden Netzwerken, die im Wettstreit miteinander neue Daten aus alten Datenmassen generieren.

Im Reich der Fantasie wacht jetzt die künstliche Intelligenz

Auch die Düsseldorfer Installation aus wissenschaftlichen Weltraumbildern funktioniert nach diesem Prinzip. Anadol sagt, er lasse die von ihm (und seinen Studiomitarbeitern) trainierten GANs träumen, als besäßen sie bereits ein eigenes Bewusstsein. Diese Illusion funktioniert umso besser, je weiter sich die Traumbilder von der Wirklichkeit entfernen. Man blickt in Düsseldorf also mit der Scham des natürlichen Intelligenzlers auf eine Animation, die unseren stumpfen Blick ins Weltall nur noch als Anlass für traumverlorene Exkursionen nimmt. Im Reich der Fantasie wacht die künstliche Intelligenz.

Allerdings funktioniert das alles vorerst nur in der überhitzten Theorie. Anadols GANs haben einen vertrauten Hang zum psychedelisch verbrämten Kitsch, den der Künstler mit dem Einsatz von Meditationsmusik und Sitzsäcken noch verstärkt. Aber vor allem dürften die GANs den Weltraum deshalb nicht vor lauter Farben sehen, weil sie in Anadols Studio darauf trainiert wurden. Fütterte man die Software ChatGPT mit denselben Daten, käme ein deutlich realistischeres Bild des Weltalls dabei heraus.

Aktuell verkauft uns Anadol also nur die Illusion einer eigenständig träumenden Maschinen-Intelligenz – aber das macht er immerhin sehr gut. Seine Datenskulpturen stehen ohnehin in einer langen Tradition, die Anfänge der grafischen Computerkunst reichen bis mindestens in die 1950er Jahre zurück. Es ist wohl ein sehr menschliches Begehren, die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens zu sprengen; während einige Künstler mit bewusstseinserweiternden Halluzinogenen experimentieren, setzen die anderen ihre Rechner mit selbstverfassten Programmen unter Drogen. Gleichzeitig verdanken Anadols KIs auch den stimmungsvollen Lichtkunstwerken eines Olafur Eliasson oder James Turrell einen guten Teil ihrer Inspiration.

Als Zweitstück hat Refik Anadol im Kunstpalast eine ähnlich monumentale Arbeit mit generativen Landschaften errichten lassen. Für sie speiste er 1,3 Millionen Bilder aus Nationalparks in seine KI-Maschine ein, der man allerdings ihren Ursprung noch deutlich ansieht. Die Natur wirkt wie hinter Milchglas, zugleich scheint sie in einem Netz aus feinen, sich ständig neu bildenden Strichen ein- und auszuatmen. Im Grunde sieht man hier wohl neuronalen Netzen bei der Arbeit zu, wobei die KI eine erstaunliche Vorliebe für Sonnenuntergänge und klassische Landschaftskompositionen hat. Aber wer will ihr das verdenken? Als Diener des Menschen weiß sie, was uns gefällt. Unheimlich wird es erst, wenn sie sich darum nicht mehr schert.


„Refik Anadol: Machine Hallucinations“, Kunstpalast, Düsseldorf, bis 7. Mai 2023