ARD und ZDF werden reformiert: In diesen Tagen entscheidet sich, ob der Zwergkanal mit Arte verschmolzen wird.
Empörung und Petition3sat – Wie das Bildungsbürgertum um „seinen“ Kultursender kämpft
Die Maus ist verschwunden, ausgerechnet die Maus. Aufregung in Köln. An der Mörsergasse in der Innenstadt, wo bisher eine Statue der klimperäugigen WDR-Herzensfigur stand, fand sich statt ihrer ein kleines Schild: „Ich muss was Wichtiges erledigen.“ Die Kampagnenorganisation Campact hat sich zum Mausnapping bekannt. Sie protestiert mit der Entführung gegen die „drastischen Kürzungen“ im Informations- und Bildungsangebot von ARD und ZDF.
Der WDR ließ Milde walten. Man verzichtete auf eine Diebstahlsanzeige. Intendant Tom Buhrow forderte aber die umgehende Rückkehr der Maus – „egal, ob einem die Reformen jetzt passen oder nicht“.
Was bleibt bei ARD und ZDF auf der Strecke?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland steht vor dem größten Umbau seiner Geschichte. In dieser Woche entscheiden die 16 Ministerpräsidenten bei ihrer Jahreskonferenz in Leipzig über den Entwurf zum neuen Reformstaatsvertrag. Das klingt sperrig. Es geht um die Frage, wie ARD und ZDF moderner, schlanker und (mittelfristig) auch günstiger werden sollen. Und was dabei auf der Strecke bleibt.
Das Papier birgt Zündstoff: 18 von 69 ARD-Radiokanälen sollen wegfallen, dazu knapp die Hälfte der zehn TV-Spartenkanäle. Von den vier Info-Sendern Tagesschau24, Phoenix, ARD alpha und ZDFinfo etwa sollen nur „ein oder zwei“ übrigbleiben, weil sie sich zu sehr ähneln.
Die heftigsten Abwehrreflexe aber hat ein anderes Detail ausgelöst: In Paragraf 28a heißt es, die Inhalte des kleinen Kulturkanals 3sat (Marktanteil im laufenden Jahr: 1,4 Prozent) sollen „teilweise oder vollständig“ in den deutsch-französischen Sender Arte (Marktanteil: 1,3 Prozent) „integriert“ werden. Faktisch wäre es eine Verschmelzung – und das Ende von 3sat nach 40 Jahren. Ausgerechnet Kultur und Bildung also, eigentlich Kernkompetenzen des öffentlich-rechtlichen, vom Quotendruck theoretisch befreiten Rundfunks, soll es an den Kragen gehen.
3sat ist ein wunderliches Ding. Am 1. Dezember 1984 ging der Dreiländersender in nur 8000 Haushalten als „Satelliten-Versuchsprogramm“ auf Sendung – daher der Name „3sat“. ARD und das (federführende) ZDF liefern heute jeweils 32,5 Prozent des Programms, 25 Prozent kommen vom österreichischen Rundfunk ORF, 10 Prozent aus der Schweiz.
3sat: Kultur gegen Massenbespaßung, Bildung gegen Bundesliga
Der langjährige 3sat-Chef Gottfried Langenstein wollte nicht weniger als „den positiven Kräften der Aufklärung und der deutschsprachigen Geistesgeschichte im modernen gesellschaftlichen Denkraum des Fernsehens eine Ausdrucksfläche geben“. Darunter tun sie‘s nicht bei 3sat. Er sagte auch: „Mit den Kosten für den Bau eines Sportstadions könnte man zehn Jahre lang 3sat betreiben.“ Womit er mal eben schön die Fronten aufzeigte: Kultur gegen Massenbespaßung, Bildung gegen Bundesliga. Man sah sich als Avantgarde, von Anfang an. „Wir waren so die Verrückten und Wilden“, sagte der frühere 3sat-Koordinator Engelbert Sauter einst. Ungefähr auf die gleiche Art verrückt wie Markus Söder auf einem AC/DC-Konzert.
3sat war – schon quotenmäßig – immer das Gegenteil von Massenbespaßung. In seiner Glückwunschbotschaft zum 20. Sendergeburtstag freute sich Roger Willemsen (gestorben 2016) über eine Doku über „kaspische Seegurkentaucher“. 1995 startete die „Kulturzeit“, das einzige werktägliche Kulturmagazin im deutschsprachigen Fernsehen. Zu den 3sat-Renommierkräften gehören Gert Scobel, Esther Schweins, Andrea Meier oder Gero von Boehm. Den Ruf eines Zweitverwerters mit einem Hauch von Volkshochschulmuffigkeit konnte man aber nie so recht abstreifen.
Zu vergiftetem Ruhm kam der Sender 2008, als sich Marcel Reich-Ranicki beim Deutschen Fernsehpreis in einer legendären Wutrede über die Frechheit echauffierte, ihn als Preisträger in eine Reihe zu stellen mit all diesen „Köchen, Köchen, Köchen“. Er habe ja nichts gegen Fernsehen an sich, sagte Reich-Ranicki damals, 88 Jahre alt. Man könne zum Beispiel bei Arte „manchmal sehr schöne, wichtige Sachen sehen. Ich habe auch früher häufig Wichtiges im 3sat-Programm gesehen – aber das hat sich jetzt geändert. Meist kommen da schwache Sachen.“
Das ist lange her. Längst zeigt 3sat wieder mehr Vielfalt beim Versuch, dem Geist Nahrung zu geben. Allein: Die wenigsten bekommen es mit. Spitzenquoten erzielte 3sat höchstens mal mit einer „extra“-Ausgabe der „Kulturzeit“ komplett auf Latein: 3,3 Prozent! Da knallten die Sektkorken. Das ist echtes Zielgruppenfernsehen. 92 Millionen Euro pro Jahr lassen sich ARD und ZDF ihre Beteiligung aktuell kosten – das entspricht fast genau dem Etat des Kinderkanals. Aus der Schweiz kommen wenig Selbsterhaltungssignale. Der ORF in Österreich hingegen spricht sich für den Fortbestand von 3sat aus. „Ein möglicher Wegfall wäre ein schwerer Verlust für die Medienlandschaft“, sagt ORF-Generaldirektor Roland Weißmann.
„Wir können jetzt nicht einen Zaun bauen“
Seit Jahren ruft die deutsche Politik in der Debatte um einen schlankeren Rundfunk nach einem „Skalp“, einem echten Zeichen des guten Willens bei den traditionell reformbockigen, mit 10 Milliarden Beitragseuro pro Jahr fürstlich ausgestatteten Sendern. Nun scheint es, als müsse 3sat als dieser symbolische „Skalp“ herhalten. Zwar soll die Fusion mit Arte „nicht verpflichtend“ sei. Doch die Signale bereiten dem 3sat-Team Sorgen. Selbst WDR-Chef Buhrow sagt: „Wir können jetzt nicht einen Zaun bauen und sagen, der Status quo darf gar nicht verändert werden.“
Auffällig: ZDF-Intendant Norbert Himmler bezeichnet Phoenix – und nicht 3sat – jüngst als „unabdingbar“. Und Malu Dreyer, bis Ende Juli Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und lange maßgebliche Medienpolitikerin des Landes, machte sich für ZDF Neo und ZDF Info stark. Es wäre kein Wunder, munkeln manche, wenn die Länderchefs lieber einen wehrlosen Kulturkanal opfern als „ihr“ drittes Programm, ZDF Neo oder Phoenix – schließlich sind sie selbst kaum zu Gast bei 3sat.
Auf den Fluren in Mainz geht die Angst um. „Alles wird nur noch vom Quotenerfolg her bewertet“, sagt einer, der seit Jahrzehnten dabei ist. „Wir machen Programm mit Liebe und Anspruch. Das hat doch seinen Wert!“ Statt 3sat plump zu streichen, sagt er, solle man lieber darüber nachdenken, wie ein zeitgemäßer, frischer Kultursender aussehen könne. „3sat und Arte halte ich für nicht kompatibel.“
Natalie Müller-Elmau, 3sat-Koordinatorin beim ZDF, geht es ähnlich. „Mir fehlt die Fantasie, wie das alles funktionieren soll“, sagte sie im Deutschlandfunk. „Ein Tag hat nur 24 Stunden, und sowohl Arte als auch wir haben ausreichend Programm für 24 Stunden.“ Auch die ARD-Personalratsgremien tadeln, dass es eher um „politisch gewollte Symbolkraft“ gehe. Wie viele Mitarbeiter betroffen wären, ist nicht bezifferbar, weil viele, die 3sat zuarbeiten, bei ARD und ZDF beschäftigt sind. Allein die „Kulturzeit“ verfügt über eine gut 40-köpfige Redaktion.
Laut, sehr laut, ist der Protest vor allem aus der Kulturszene. Dort fürchtet man um nicht weniger als den Bildungsstandort. Außerdem droht – auch nicht ganz unwichtig – eine wichtige Plattform für das eigene Schaffen verloren zu gehen. Ein wahrer Candystorm von Kreativen ergießt sich deshalb über den kleinen Sender, es ist ein regelrechtes Füllhorn der Liebe.
Es gebe schon genug „Kacksender“, zürnte etwa die Schriftstellerin Sybille Berg. Die „Flachpfeifen“, die für die Kürzungen verantwortlich seien, sollten mal besser ihre eigenen Löhne kürzen. 3sat-Moderator Gert Scobel schrieb in einem „F.A.Z.“-Gastbeitrag von einer „populistischen Idee, abschalten zu wollen, was auf den ersten Blick sperriger erscheint als Mainstream“. Auch Elke Heidenreich schimpfte über die „Idioten“.
Bildungsdeutschland ist geschlossen auf dem Baum. 3sat aufzugeben wäre „eine antieuropäische Untat“, poltert Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“, die „taz“ fürchtet gar „ein ärmeres Deutschland“. Der Plan sei „bedenklich“ (DGB, Deutsches Rotes Kreuz, BUND), eine „völlig falsche politische Weichenstellung“ (Verdi) sowie „kurzsichtig und fahrlässig“ (Deutscher Musikrat) und offenbar „übers Knie gebrochen“ (Deutscher Journalisten-Verband) und „ohne Wissen und Kenntnis entstanden“ (Deutsche Filmhochschulen).
Fast 150.000 Unterschriften gegen das Ende von 3sat
Die Berliner TV-Journalistin Katja Riha, selbst regelmäßig für die „Kulturzeit“ tätig, hat mit einer Onlinepetition („Rettet 3sat – unser Kultursender darf nicht verschwinden“) knapp 150.000 Unterschriften gesammelt. Mit dabei sind Iris Berben, die Toten Hosen, Jan Delay, Elke Heidenreich, Sandra Hüller und Volker Schlöndorff.
Treten wir einen Schritt zurück. Mit dem Ende von 3sat stürbe nicht das deutsche Kulturfernsehen. Es ist korrekt und bedauerlich, dass journalistische Kulturberichterstattung fast überall reduziert wird. Es ist auch richtig, dass ARD und ZDF mehr auf die Quote schielen, als sie müssten. Aber warum sollte es nicht möglich sein, 3sat-Perlen wie die „Kulturzeit“ oder das Wissensmagazin „Nano“ bei arte zu zeigen plus in den Mediatheken? Und so ehrlich muss man sein: Der „Kultursender“ ist über weite Strecken gar keiner. Ein nicht unerheblicher Anteil des Programms besteht aus Konservenmaterial über „Italiens Inseln“ oder das „Alpenpanorama“.
Insofern ist es nicht abwegig, mit dem (noch nicht bezifferbaren) eingesparten Geld im Kernangebot von ARD und ZDF eine moderne, verlässliche Kulturberichterstattung zu organisieren, die nicht als exklavisches, verplombtes Bildungsbiotop aufgebaut ist, sondern das gesamte Angebot organisch und verlässlich durchzieht.
Eine (letzte?) Party zum 40. Geburtstag
Das Geld bleibt ohnehin die größte Baustelle. ARD und ZDF hätten gern (noch) mehr Einnahmen, um den gewaltigen Umbau, der nun ansteht, zu finanzieren. Die zuständige Gebührenkommission hatte im Februar vorgeschlagen, den Rundfunkbeitrag ab Januar 2025 von 18,36 Euro um 58 Cent auf 18,94 Euro pro Monat anzuheben. Doch aus sechs Bundesländern kommt Widerstand. Deshalb klammerten die Länderchefs das heikle Thema vorerst aus. Denkbar, dass man sich Anfang des Jahres vor dem Bundesverfassungsgericht wiedersieht.
Vorher aber wollen sie noch einmal feiern bei 3sat, vielleicht ein letztes Mal. 40 Jahre alt wird der Sender in diesem Jahr. 40 Jahre alt wurde auch die DDR – und ging dann unter. Tod im Jubiläumsjahr. Man hat für den 7. November zu einer Geburtstagsfeier in der österreichischen Botschaft in Berlin eingeladen. Es könnte eine traurige Party werden.