Jorinde Dröse inszeniert zum ersten Mal am Schauspiel Köln, „We Are Family“. Ein Gespräch über Mutterschaft und Machtmissbrauch am Theater.
Regisseurin Jorinde Dröse„Die rumschreienden Männer sind ja zum Teil noch immer erfolgreich“
Jorinde Dröse, Sie haben Anfang der Nuller Jahre erste Erfolge als Regisseurin im Stadttheater gefeiert. Das damalige System beschreiben Sie als durch und durch patriarchal orientiertes.
Jorinde Dröse: Ich bin von einem patriarchalen Theatersystem sozialisiert worden. Da wurde noch rumgeschrien und Intendanten hatten Königsstatus. Es gab sehr viel Angst und Druck an den Theatern, man traute sich kaum, die Meinung zu sagen, und es gab kein Zutrauen in die Kompetenzen der Mitarbeitenden. Ich habe schon damals anders gearbeitet, aber natürlich blieb das System spürbar. 2003, als ich mit dem Studium fertig war, gab es auch nicht so viele Regisseurinnen. Noch vor zehn Jahren trug eine Ausstellung über Regisseurinnen den Titel „Ein Männerberuf in Frauenhand“.
Aber seitdem hat sich etwas getan?
Vor allem dank #MeToo hat sich im ganzen System etwas verändert. Mir geht der Wandel aber noch nicht schnell genug.
Sie haben vor zehn Jahren einen Cut gemacht, weil sie Mutter geworden sind und gesagt haben, das lässt sich nicht miteinander vereinbaren.
Ich war schon vier Jahre Mutter, als ich mit dem Inszenieren aufhörte. Ich habe gemerkt, wie schwierig die Vereinbarkeit von Familienleben und Regieführen ist, weil ich als Regisseurin einfach immer unterwegs bin. Wer dann Care-Arbeit gerecht verteilen möchte, kommt schnell an seine Grenzen.
Und wie war das, aus dem System Theater mal raus zu sein?
Jede Theaterproduktion ist für die Beteiligten sehr existenziell, weil alle so viel Kraft und Liebe reinstecken. Für mich war es erstmal toll zu sehen, dass ich ein ganzer Mensch bleibe, auch wenn ich in einem anderen Beruf arbeite. Außerdem war es erstaunlich zu sehen, wie viele meiner Kompetenzen ich mitnehmen kann, wenn ich mich in ein ganz anderes Berufsfeld begebe.
Sie haben als Erzieherin gearbeitet. Haben Sie da Kompetenzen erworben, die Sie jetzt wieder als Regisseurin anwenden können?
Als Regisseurin arbeite ich viel über Beobachtung und Beschreibung, das habe ich in der Kita auch gemacht. Ein Publikumsgespräch ist einem Elternabend ähnlich und ebenso gibt es Parallelen zwischen einem Gespräch mit Eltern über die Entwicklung ihres Kindes und einem Gespräch über eine Rolle. Natürlich ist es etwas anderes, mit erwachsenen Menschen zu arbeiten, aber die Arbeit im Team und im Miteinander, die konnte ich von dem einen zum anderen übertragen. Ich habe auch viel von dem neuerworbenen Wissen über Intersektionalität, Feminismus, Diversity und Kommunikation in meine jetzige Arbeitsweise integriert. Rückblickend bringt mir die Erfahrung von Mutterschaft, die Ausbildung zur Erzieherin und mein Aus- und Wiedereinstieg als Künstlerin eine Bandbreite und Komplexität von Wissen, Gefühlen und Erfahrungen.
Sie sind nach sechs Jahren wieder zurück ans Theater gegangen. Warum?
Mir hat das Theater gefehlt. Im Lockdown habe ich gemerkt, wie sehr mich der Gemeinschaftsmoment interessiert, in dem viele Menschen in einem Raum zusammenkommen, um sich eine Geschichte anzuschauen. Und mir hat auch der Prozess des Erschaffens und Machens gefehlt, mit Fiktionen etwas über die Realität zu erzählen.
Sie wollten aber nicht mehr einfach so weiter machen wie zuvor?
Genau. In meiner ersten Regiephase war es selbstverständlich, auf den klassischen Kanon zurückzugreifen. Klar gab es ein Bewusstsein dafür, dass es auch andere Formate und Uraufführungen geben sollte, aber Autor*innen wurden kaum gefördert. Von meinen 55 Regiearbeiten waren 51 von Autoren und nur vier von Autorinnen geschrieben.
Sie haben sich Ihre eigene Quote gesetzt?
Ja, zumindest gleiche ich erstmal die 54 Inszenierungen aus. Das erfordert eine andere Stoffsuche, daher lese ich sehr viel. Für diese Position am Schauspiel Köln haben die Dramaturgin Sibylle Dudek und ich sehr viel gelesen, bevor wir uns schließlich entschieden haben, eine Autorin zu fragen, ob sie Lust hat, diesen antiken Stoffe zu überschreiben.
Jetzt hat also Tine Rahel Völcker unter dem Titel „We Are Family“ die tragische Geschichte der Atriden – von Agamemnon bis Elektra – noch einmal neu geschrieben. Warum gerade dieser Stoff?
Wir wussten, dass der Abend entweder hier im Depot 1 oder im neu eröffneten Haus stattfinden wird – das verlangt nach einer gewissen Größe der Geschichte. Also gingen wir zurück zur Antike: Diese Familie eignet sich perfekt, um etwas über Machtverteilung, Herrschaft, Gewalt und das patriarchale Systeme zu erzählen.
Könnte man nicht einfach die Texte der alten Griechen nehmen und diese feministisch gegen den Strich bürsten?
Es gibt Euripides’ „Iphigenie in Aulis“ und die „Elektra“ von Sophokles, es gibt die „Orestie“ von Aischylos, aber die Kombination dieser Handlungsstränge, die gibt es eben noch nicht.
Was wollen Sie mit dem Mythos erzählen?
Die Griechen stehen in Aulis und haben keinen Wind. Die Göttin Artemis fordert die Opferung von Iphigenie. Es geht um die Entscheidung des Vaters: Opfert Agamemnon seine Tochter, oder nicht? Patriarchaler geht es kaum. Der zweite Teil spielt zehn Jahre später, der Trojanische Krieg ist vorbei. Wir haben uns die Frage gestellt, was hat Klytaimnestra in diesen zehn Jahren gemacht? Welches Staatssystem hat sie eingesetzt? Was hat sie verändert? Und welches System will sie etablieren, nachdem Agamemnon tot ist?
Das sind ja nicht nur sanfte Veränderungen. Agamemnon opfert seine Tochter, Klytaimnestra ermordet ihren Mann.
Im Mythos entschwebt Iphigenie durch Götterhand auf eine andere Insel, das ist ein verharmlosendes Narrativ. Das ist ein Femizid. Inwiefern reproduziert Elektra das Trauma von Gewalt, wenn sie plant, ihre Mutter umzubringen? Ich finde, wir haben im Stück gute Lösungen gefunden, aber die spoilere ich jetzt mal nicht.
Bei Tine Rahel Völcker stößt noch eine dritte Frau dazu, eine Hetäre.
Die Figur des Alten, der ein Vertrauter von Agamemnon ist und die des Aigisthos ...
... des Liebhabers von Klytaimnestra ...
... aus diesen Figuren hat Tine Rahel Völcker eine durchgehende Figur geschrieben. Sie führt mit Klytaimnestra den Diskurs darüber, welche Veränderungen man durchsetzen will, wenn man als Frau an der Macht ist. Erzählen wir das One-Hero-Narrativ mit einer Frau weiter, oder geht es nicht um eine viel größere Form von Umverteilung von Macht?
Sie überschreiben den männerbestimmten Kanon. Haben Sie auch ihre eigene Arbeitsweise verändert?
Ich habe immer schon stark im Team gearbeitet. Ich glaube, ich bin am besten, wenn ich im Vertrauen und im Miteinander arbeiten kann, dann bin ich am kreativsten und auch die Menschen um mich herum.
Kann man diese Arbeitsbedingungen den fertigen Arbeiten ansehen?
Ja, Arbeiten, die aus einem gemeinsamen Flow heraus entstehen, haben eine andere Strahlkraft.
Nun gibt es Kunstwerke, von deren toxischen Entstehungsbedingungen man weiß, und die man trotzdem nicht umhinkann, zu bewundern. Bleibt am Ende vielleicht nur die Befriedigung, zu wissen, dass man es richtig gemacht hat?
Das bleibt die Frage. Die rumschreienden und machtmissbrauchenden Männer sind ja zum Teil noch immer erfolgreich. Da treffen wir uns in zehn Jahren noch mal, dann gebe ich Ihnen eine Antwort.
Wenn Sie jetzt das Angebot bekämen, noch mal einen Shakespeare zu inszenieren, würden Sie das kategorisch ablehnen?
Ich lese das Stück noch einmal und frage mich, ob es mich anspricht, ob bei mir eine Fantasie darüber entsteht, wie man es machen könnte? Den größten Zugang habe ich tatsächlich noch zu Shakespeare. Aber selbst bei Shakespeare geht es mir so, dass ich mich frage, ob nicht die Übersetzungsarbeit, die das Team leisten muss, viel zu anstrengend ist und es nicht sinnvoller ist, gleich etwas anderes zu machen?
Jorinde Dröse, geboren 1976, hat als Regisseurin unter anderem am Berliner Ensemble, dem Thalia Theater und den Salzburger Festspielen gearbeitet. In Köln inszeniert sie zum ersten Mal: die Uraufführung von Tine Rahel Völckers „We are Family“. Die Premiere ist am 28. September im Depot 1 des Schauspiels Köln. Weitere Termine: 2., 8., 13., 18., 22. Oktober, jeweils 19.30 Uhr